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# taz.de -- Grüner Landesparteitag in Berlin: "Künast tritt nicht als Monarch…
> Die Grünen wollen Renate Künast zur Nr. 1 ihrer Kandidatenliste für die
> Abgeordnetenhauswahl machen. Die neuen Landesvorsitzenden über ihre
> Spitzenkandidatin, die Volkspartei und neue Bürgerlichkeit.
Bild: Die neuen Landesvorsitzenden Bettina Jarasch (l-r) und Daniel Wesener pos…
taz: Frau Jarasch, Herr Wesener, nennen Sie doch mal drei Gründe, warum ich
jenseits aller Umfrageergebnisse glauben soll, dass sich Renate Künast
wirklich für Berlin interessiert. Den Eindruck haben nämlich längst nicht
alle.
Bettina Jarasch: Da ist erst mal die Tatsache, dass sie seit über 30 Jahren
hier wohnt und dass das deshalb auch ein Heimspiel für sie ist. Und zwar
nicht nur, wenn sie auf dem Winterfeldtmarkt unterwegs ist, sondern auch in
Betrieben, Krankenhäusern und Schulen.
Daniel Wesener: Und zum Zweiten ist da ihre Entscheidung, die
Herausforderung anzunehmen und für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin
zu kandidieren.
Das muss nicht Interesse sein. Das kann genauso reine Strategie sein, um
den Berliner Grünen mit ihrer Bekanntheit am 18. September ein paar Prozent
mehr zu beschaffen und sich dann zurück in den Bundestag zu verabschieden.
Jarasch: Ich sehe das anders und will dafür den dritten Grund nennen:
Renate Künast hat in den letzten Monaten so viele Gespräche geführt und so
viel Handlungsbedarf definiert, aber auch so viel Unterstützung und
Hoffnung erlebt, die sich tatsächlich auf sie stützt. Ich glaube, dass das
für sie ein Motor ist, zu zeigen, dass man hier Dinge wirklich anders
angehen kann.
Wesener: Und wer Renate Künast kennt, der weiß, dass sie keine Frau für
Show und taktische Spielereien ist, sondern dass sie nach dem Prinzip "Ganz
oder gar nicht" Politik macht.
Mal angenommen, dass dem so ist: Kann sich dann Ihre Partei verweigern,
wenn Frau Künast nach einem entsprechenden Wahlergebnis im Herbst sagt: Ich
will mit der CDU koalieren, weil ich nur so Regierende Bürgermeisterin
werden kann?
Wesener: Die aktuellen Umfragen zeigen, dass eine realistische Chance
besteht, in Berlin stärkste politische Kraft zu werden. Wir glauben daran,
aber es bleibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum 18. September. Wir sind eine
politische Partei und keine Hellsehervereinigung. Wie die Wahl ausgeht, das
muss man abwarten.
Bei der Frage geht es ums Prinzipielle: Was hat Frau Künast von ihrer
Partei mitbekommen, als die Grünen sie zur Kandidatin ausgerufen haben? Bei
UN-Einsätzen würde man fragen: Wie robust ist ihr Mandat?
Jarasch: Renate Künast tritt nicht als Monarchin an, sie tritt als die
Spitzenkandidatin einer basisdemokratischen Partei an. Das weiß sie sehr
genau - sie kennt ja ihre Grünen. Wir sind uns einig, dass wir die
Koalitionsentscheidung am Ende gemeinsam treffen werden.
Herr Wesener, zum ersten Mal seit fast durchgängig acht Jahren - ein
knappes Jahr war Barbara Oesterheld zwischenzeitlich Vorsitzende - ist
wieder ein Vertreter des linken Parteiflügels Grünen-Landeschef. Was folgt
daraus?
Wesener: Daraus folgt, dass der Landesvorstand die ganze Partei abbildet
und nicht nur einen Flügel. Das halte ich für wichtig. Das bedeutet
allerdings nicht, dass diese Kategorien, die uns zugeschrieben werden - ich
Linker, Bettina Jarasch Reala -, die Basis unserer Politik sind oder wir
uns ausschließlich darüber definieren. Das mag eine Außensicht sein - mit
der Innenperspektive hat das relativ wenig zu tun.
Warum?
Wesener: Weil es Aufgabe des Landesvorstands ist, die gesamte Partei zu
repräsentieren und programmatisch weiter zu entwickeln. Und da gibt es
nicht nur einen, vielleicht auch nicht nur zwei Flügel, sondern über 5.000
Mitglieder.
Jarasch: Ich will ein Beispiel dafür nennen, warum dieses Flügeldenken
unsere Arbeit im Parteivorstand nicht dominiert. Es gilt als typisch links,
basisdemokratisch und für direkte Demokratie zu sein. Für mich, die Reala,
ist ein wichtiges Projekt die Öffnung zu den Bürgern und eine aktive
Bürgergesellschaft. Aus beidem heraus resultiert aber eine ganz ähnliche
Einstellung zu dem, was wir hier organisiert kriegen wollen. Deshalb sind
wir uns im Parteiverständnis ähnlicher, als man es vielleicht vermuten
würde.
Frau Jarasch, Sie haben Ihren Parteifreunden kurz nach Ihrer Wahl vor knapp
fünf Wochen gesagt: "Keine Angst vor der Volkspartei". Andere, auch Renate
Künast, scheuen diesen Begriff wie die Harry-Potter-Welt den Namen
Voldemort.
Jarasch: Harry Potter nennt ihn ja.
Warum sind sie also so ein grüner Harry Potter, und warum scheuen die
anderen davor zurück?
Jarasch: Weil der Begriff traditionell mit einem Politikkonzept verbunden
wird, bei dem man als Funktionär die Interessen bestimmter Gruppen
vertritt. Deshalb gibt es Volksparteien auch nur im Plural.
Volkspartei sagt doch vom Wortsinn her genau das Gegenteil: nicht für
Einzelinteressen, sondern für das Volk, die Bevölkerung, für alle.
Jarasch: In der Praxis war es lange doch so, dass die großen Parteien
jeweils für große Einzelgruppen standen: für die Arbeitgeber oder die
Arbeitnehmer, früher für die Katholiken oder die Protestanten. Wenn wir
jetzt Volkspartei werden, dann meinen wir tatsächlich nicht die Summe von
Einzelinteressen, sondern das Gemeinwohl. So haben wir ja auch unser
Wahlprogramm überschrieben: Eine Stadt für alle. In einem Porträt über
Winfried Kretschmann habe ich einen schönen Satz gelesen: Typisch für Grün
sei, dass man im Schützenverein und trotzdem für ein schärferes Waffenrecht
sein kann.
Herr Wesener, Sie verwenden den Begriff Volkspartei nicht, sagen aber auch:
Die Wahl am 18. September wird nicht allein in den Innenstadtbezirken
gewonnen. Das geht doch letztlich in die gleiche Richtung.
Wesener: Ich habe in der Tat meine Schwierigkeiten mit dem Begriff. Das hat
aber nicht unbedingt etwas mit dem Schubladendenken von links oder Realo zu
tun, denn ein Christian Ströbele (für den Wesener mehrere Jahre arbeitete,
d. Red.) spricht auch gerne von Volkspartei. Für mich ist dieser Begriff
ein Begriff von gestern, entstanden in der Nachkriegszeit. Wenn überhaupt,
dann würde ich mich vielleicht noch dazu hinreißen lassen, von
Bevölkerungspartei zu sprechen.
Da sind wir ja zurück bei der alten Diskussion über die Inschrift am Portal
des Reichstags "Dem deutschen Volke" und der Installation im Innenhof, "Der
Bevölkerung".
Wesener: In Berlin gibt es viele Menschen, die hier seit vielen Jahren
leben und keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Unseren Ansatz, für alle
dazu sein, darf man nicht verwechseln mit dem, was bisher für die
Volkspartei galt. Denn das würde heißen, dass SPD und CDU Politik für die
gesamte Bevölkerung gemacht hätten. Das würde ich in Abrede stellen, und
zwar ganz deutlich. Was uns als Grüne auszeichnet, ist, dass wir diese
Gemeinwohlorientierung haben und nicht nur die Interessen unserer
Wählerinnen und Wähler exekutieren.
Wo wir gerade bei Begriffsdefinitionen sind: Oft heißt es, die Grünen
würden "bürgerlich", was sonst immer Schwarz-Gelb zugeordnet wird. Ist das
für Sie negativ oder hat der Begriff etwas vom engagierten citoyen im Geist
der Aufklärung?
Jarasch: Ich persönlich sehe den Begriff nicht als Beleidigung. Es gibt ja
so ein paar Mythen in der Gründungsgeschichte der Grünen. Das waren ja
längst nicht alles antibürgerliche Bewegungen. Es gab die K-Gruppen aus
Hamburg, es gab aber zum Beispiel auch meine ehemalige Chefin Christa
Nickels (frühere Abgeordnete, Drogenbeauftragte der Bundesregierung,
Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken, d. Red.), die vom Land, vom
Niederrhein, kommend im weißen Spitzenblüschen den Lederjackenträgern und
Kettenrauchern gegenübersaß.
Bürger eines Landes eben.
Jarasch: Das sowieso, auch wenn ein Teil davon sich nicht so bezeichnet
hätte. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, wie breit unser Spektrum von
Anfang an war. Zum Zweiten hat für mich Bürgerlichkeit viel mit
Selbstbestimmung und Engagement zu tun. Bürger sind für mich die, die sich
als Teil eines politischen Gemeinwesens empfinden und mit entscheiden
wollen. In diesem Sinne begrüße ich eine neue Bürgerlichkeit.
Und Sie, Herr Wesener?
Wesener: Wenn man sagt, der moderne Bürger ist der Citoyen mit sozialer
Verantwortung, nicht der Bourgeois als Besitzstandswahrer, dann kann ich
nur sagen: Daccord.
Womit wir alle unsere Bildungsbürgerlichkeit unter Beweis gestellt hätten.
Wesener: Für irgendetwas muss es ja nütze sein. Spannender ist für mich
noch etwas anderes: Wenn man die vermeintlichen bürgerlichen Grünen-Wähler
fragen würde, ob sie sich als bürgerlich definieren, kämen da bestimmt sehr
unterschiedliche Antworten. Auch die Patchwork-Familie beispielweise kann
heute bürgerlich daherkommen - das wäre in den 50er-Jahren völlig undenkbar
gewesen.
Zu dieser neuen Bürgerlichkeit könnte etwas anderes gehören, was Sie, Frau
Jarasch, jüngst gesagt haben: Vielleicht müssten sich die Grünen jetzt auch
mit so spießigen Themen wie sauberen Straßen beschäftigen. Mal umgedreht:
Was war denn bislang grün, links oder alternativ an dreckigen Straßen und
Bürgersteigen?
Jarasch: Das war Selbstironie. An der Umdrehung merkt man ja, dass das
überzogen ist. Der Wunsch nach sauberen Straßen gilt klassischerweise als
spießig. Tatsächlich ist es doch so: Man kann noch so sehr im
linksalternativen Milieu verwurzelt sein - spätestens wenn man Kinder
bekommt, fängt man an zu denken: Etwas weniger Hundedreck und Scherben auf
dem Bürgersteig oder in den Parks wären auch ganz schön.
7 Apr 2011
## AUTOREN
Stefan Alberti
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