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# taz.de -- Ehrung von Fritz Rehbein: Berufskrankheit Ehrfurcht
> Ein Symposium in Bremen ehrt den Kinderchirurgen Fritz Rehbein. Der behob
> so manchen Geburtsfehler - wirkte aber auch mit an der umstrittenen
> "Korrektur" zweigeschlechtlich geborener Kinder.
Bild: Retter vieler Leben und "ausgesprochen warmherziger Mensch": Fritz Rehbei…
Die Verehrung hat religiöse Züge angenommen. Daran lässt das Grußwort von
Jörg Fuchs zum Bremer Fritz-Rehbein-Symposium kaum einen Zweifel: Rehbeins
100. Geburtstag, schreibt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Kinderchirurgie, solle "ein Tag voller Ehrfurcht" werden.
Von Ehrfurcht kündet nicht nur das. Ausgerichtet wird die Tagung in der
kommunalen Professor-Hess-Kinderklinik, die Rehbein von 1951 bis 1976
leitete. Und ausbaute zu einem international anerkannten "Zentrum einer
wagemutigen, fortschrittlichen Operationstechnik", wie 1961 der
Weser-Kurier schrieb. An der Wirkungsstätte des zweiten Präsidenten der
Kinderchirurgie-Gesellschaft also dürfen am Wochenende seine Nachfolger und
seine Geheilten sprechen. Die Opfer nicht.
Denn auch die hatte Rehbein: Von 1936 bis 1945 war er als Assistenz- und
später Oberarzt in der Göttinger Chirurgie angestellt. Seinem Chefarzt,
Rudolf Stich, war Hitler durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses "zum großen Arzt unseres Volkes" geworden. Die Folge:
Zwangssterilisationen standen in Göttingen ab 1934 auf der Tagesordnung -
etwas, das der Jubilar nie problematisierte.
Im Gegenteil: Als Rehbein 1977 Ehrenmitglied der Deutschen Chirurgischen
Gesellschaft wurde, bedankte er sich auch bei Stich: Nicht zuletzt von ihm
habe er "das Rüstzeug mitbekommen", das ihn "in den Stand versetzt hat, das
damals noch neue Gebiet der Kinderchirurgie überhaupt betreten zu dürfen".
Ehrfurcht? Vielleicht eine Berufskrankheit. Die zwingt dann auch zu
vergessen, dass Rehbein als Bremer Klinik-Chef mindestens mitverantwortlich
war für die in seiner Amtszeit durchgeführten Eingriffe zur vermeintlichen
"Korrektur" von Kindern mit nicht eindeutigem Geschlecht. Eine damals
kritiklos ausgeübte Praxis: "Das Recht ist in dieser Frage lange Zeit ein
Stück weit ignorant gewesen", sagt die Bremer Jura-Professorin Konstanze
Plett und "ein komplexes Feld" zwischen Elternrecht und Anspruch des Kindes
auf körperliche Unversehrtheit. Allerdings sei das ein "so
höchstpersönliches Recht", dass man da "nicht reinpfuschen" dürfe, es sei
denn "zur Lebensrettung". Schärfer ist der Ton von Zwischengeschlecht.org:
Die Menschrechtsorganisation nennt das anstehende Geburtstags-Symposium ein
"Genitalabschneider-Jubiläumstreffen".
Das ist, zweifellos, polemisch verengt. Ehemalige Patienten schilderten
Rehbein als "ausgesprochen warmherzigen Menschen", sagt Gerda Engelbracht,
die für die Ärztekammer seine Biografie skizziert hat. Und sein Ruf gründet
auf heilenden Eingriffen: So gelang es ihm jenen angeborenen Defekt zu
beseitigen, bei dem die Speiseröhre keine Verbindung mit dem Magen hat -
die zuvor tödliche Ösophagus-Atresie.
Als epochal galt seine Technik, den Morbus Hirschsprung zu operieren, eine
Dickdarmfehlbildung, die beim Neugeborenen zu dauerhafter Verstopfung und
Entzündungen führt. Eine Methode, die in Australien schon bald als
brauchbar erkannt wurde zur Vagina-Entfernung bei einem intersexuellen
Kind, "das als Mann erzogen werden sollte", wie es 1971 im Journal of
Pediatric Surgery heißt.
Das kann man Rehbein nicht anlasten. Und überhaupt: Viel beschworen wird
ein "Umdenken", angeblich sinkt die Zahl solcher Operationen. "Empirisch
ist das nirgends belegt", sagt dagegen die Juristin Plett. Nun ist das
Bremer Symposium keiner der ganz großen Kongresse. Es wird keine Mahnwache
geben, anders als beim Endokrinologen-Tag vergangene Woche in Hamburg.
Zwischengeschlecht.org aber verweist auf die Website der Bremer
Kinderurologie: Vier der darauf angebotenen OPs fielen in die Kategorie
"Genitalverstümmelung". Und die endokrinologische Spezialambulanz
verspricht nach wie vor die Therapie von "Intersexualität".
Dass die schon lange nicht mehr als Krankheit verstanden werde, hatte noch
Ende Februar Bremens Gesundheitsstaatsrat Hermann Schulte-Sasse (SPD)
suggeriert: Damals beschloss die Bürgerschaft, die Pflicht zum
Geschlechtseintrag in die Geburtsurkunde aufzuheben.
7 Apr 2011
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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des Nationalsozialismus wird auch bei der Bremer Tagung nicht hinterfragt.
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