# taz.de -- Die Vision vom Geruchsinternet: Der digitale Apfelstrudel | |
> Das Internet zum Stinken bringen: Forscher arbeiten an der | |
> Digitalisierung und Ausgabe von Geschmack und Geruch. Doch das ist | |
> ziemlich komplex. | |
Bild: Glück für Sie: noch ist taz.de nicht ans Geruchsinternet angeschlossen. | |
Einen Apfelstrudel backen, genau wie ihn die Oma früher gemacht hat: Das | |
wär doch was. Wie das schon gerochen hat, damals, in ihrer Küche. Da | |
breitete sich ein warmer Duft nach Äpfeln und Zimt aus, und wenn dann erst | |
die Vanillesoße im Topf dampfte. Ihn selbst zu backen, wäre toll, aber sie | |
hat das Rezept nicht vererbt. | |
Man müsste eben reinriechen können, in all die Kochrezepte im Internet zum | |
Beispiel, oder in diese Kochsendungen. Dann erst könnte man wirklich sagen: | |
Das ist genau das richtige Rezept. Warum geht das eigentlich nicht? | |
"Man müsste ja zunächst mal diesen Duft genau herausfinden", sagt Hanns | |
Hatt. Der Biologe und Mediziner der Ruhr-Universität in Bochum ist | |
Deutschlands wohl bekanntester Geruchsforscher. Hatt und seine Kollegen | |
forschten vor einiger Zeit daran, Gerüche zu digitalisieren. Ihr Plan war, | |
den Duft eines Menschen übers Internet zu schicken oder Essensszenen in | |
Filmen mit Düften zu versehen. | |
Auch wer Rezepte digitalisieren will, bräuchte dazu deren Gerüche: Das | |
Gehirn wertet Informationen über Geruch und Geschmack gleichzeitig aus, so | |
kann man die beiden Sinne beim Essen oft nicht voneinander unterscheiden. | |
Ein Gericht in allen Feinheiten zu schmecken, heißt, es auch zu riechen. | |
Das fällt spätestens auf, wenn man mit verschnupfter Nase Wein trinkt. | |
## Hunderte Duftkomponenten | |
Doch Gerüche genau zu entschlüsseln, ist schwierig: Schon ein einfacher | |
Kaffeeduft enthält um die 200 Duftkomponenten, ein Rosenduft dürfte mehr | |
als 500 Bestandteile enthalten. Der Geruch eines Apfelstrudels kann aus | |
hunderten von unbekannten Bausteinen bestehen. Um diese herauszufinden, | |
müsste man seinen Duft einfangen und zum Beispiel durch einen | |
Gas-Chromatografen jagen. Das Analysegerät würde den Duft in seine | |
Bestandteile zerlegen, und am Ende eine Grafik ausspucken. Aus diesem Bild | |
ließen sich dann mit etwas Glück die Elemente des Duftes entschlüsseln. | |
Nur reicht es noch nicht, den Bausteinen eines Duftes auf die Schliche zu | |
kommen. "Man muss auch jeweils die exakt richtige Konzentration | |
herausfinden", sagt Hatt. Die wichtigsten Substanzen eines Geruches sind | |
oft nicht die, die darin am höchsten konzentriert sind. | |
Um diese Geruchsinformationen erst mal in eine digitale Welt | |
hineinzubefördern, braucht es entsprechende Computerprogramme. An so einem | |
Programm arbeitet Markus Waltl von der Universität Klagenfurt in Österreich | |
seit etwa eineinhalb Jahren. "Sensory experience" heißt es. | |
"Das Programm soll unter anderem Filmemachern ermöglichen, ihre Filme | |
zusätzlich mit Effekten wie Vibrationen, Wind oder eben Gerüchen zu | |
versehen", sagt der Informationstechnologe. Auch Online-Kochbuch-Betreiber | |
könnten damit ihre Gerüche und Geschmäcker theoretisch ins Internet | |
bringen. Die Betreiber müssten nur exakt die Informationen über die Gerüche | |
in ihr Programm eingeben. | |
Doch selbst wenn das klappt, wie kommen all die digitalisierten Düfte | |
letztlich aus dem Computer wieder raus? Etwas zu riechen, oder auch zu | |
schmecken, bedeutet, dass Moleküle in Nase oder Mund übertragen werden: | |
tatsächliche Materie. Daran kommt man nicht vorbei. Denn nur die kleinen | |
Teilchen stimulieren die Sinneszellen im Körper, diese geben dann die | |
Information darüber ans Gehirn weiter. Das heißt: Aus einer digitalen Welt | |
etwas zu riechen oder zu schmecken, klappt nur mit echter Materie. Und die | |
schwappt nicht einfach so aus dem Computer. Es braucht dazu Hilfsgeräte. | |
## Steck den Geschmacksdrucker in den Mund! | |
Das reine Schmecken spielt sich erst mal auf der Zunge ab. So müsste ein | |
Geschmackssimulator direkt im Mund stecken, um die Daten eines Gerichts aus | |
dem Computer zum Menschen zu vermitteln. Ein solches Gerät haben zum | |
Beispiel japanische Wissenschaftler entworfen. Es funktioniert nach dem | |
Prinzip Tintenstrahler. Fünf Tuben in dem Plastikbeißer enthalten | |
Chemikalien, die unsere Basisgeschmacksempfindungen simulieren können: süß, | |
sauer, bitter, salzig und Umami, der Sinn für glutamathaltiges Essen. | |
Soll zum Beispiel ein Bananengeschmack erzeugt werden, spritzt das Gerät | |
die entsprechende Kombination auf die Zunge des virtuellen Essers. Der | |
Geruch dazu fehlt bisher jedoch. So schmeckt der beste Wein mit dem | |
Simulator höchstens sauer. | |
Um Gerüche aus den Bildschirmen zu den Menschen zu bringen, kann man schon | |
einige Apparate kaufen, sogar Helme. Solche Simulatoren sind vor allem für | |
Computerspiele gemacht, doch auch Kinobetreiber setzen auf Duftmaschinen. | |
Sie funktionieren wie der Geschmackssimulator: So kann etwa Markus Waltls | |
Duftgerät aus vier Basisdüften weitere Gerüche mixen, einige Geräte mischen | |
bis zu zwanzig Basisdüfte zusammen – mehr sind bisher auch noch nicht | |
entschlüsselt. | |
Die menschliche Nase hat jedoch rund 350 Arten von Geruchsrezeptoren. Sie | |
reagieren alle auf unterschiedliche Duftmoleküle. Welche der Empfänger wann | |
und mit welcher Intensität stimuliert werden, das genau macht einen Duft | |
aus. Stimmt das Duftmuster nicht, kann aus einem wohlriechenden Parfüm ein | |
stinkendes Gewässer werden. Ein Gerät mit zwanzig Duftstoffen kann auch nur | |
zwanzig der Geruchsrezeptoren stimulieren. Ein komplexer Apfelstrudelduft | |
entsteht so wohl nicht. | |
## Problem Duftentsorgung | |
Dann ist da noch ein Problem: "Es gibt schon gewisse Lösungen, Düfte an den | |
Verbraucher zu bringen", sagt Hatt, "wofür es aber noch überhaupt keine | |
Lösung gibt, ist, diese Düfte wieder wegzubringen." Nach einer | |
Viertelstunde Betriebszeit eines Duftgeräts, wenn sich die Düfte dann auch | |
noch ordentlich vermischten, würde es wohl bestialisch stinken, meint der | |
Experte. | |
Markus Waltl kann sich vorstellen, dass sein Programm einmal das Anriechen | |
von Kochrezepten im Internet ermöglicht. Aber werden digitale Düfte auf so | |
viel Interesse stoßen, dass Investoren ausreichend Geld in die Entwicklung | |
stecken? Und: Wird man Düfte von Gerichten irgendwann so genau | |
entschlüsseln können, um sie dann in Basisdüfte, die ebenfalls noch keiner | |
kennt, übersetzen zu können? Damit sie schließlich in genau der richtigen | |
Dosierung aus einem Gerät am Computer strömen? "Ich glaube ja, das | |
ordentlich zu machen ist nahezu unmöglich", sagt Geruchsforscher Hatt. In | |
grober Annäherung würde es vielleicht funktionieren, oder mit einfachen | |
Gerüchen wie Banane oder Vanille. | |
So bliebe nach viel Zerlegung und digitalem Wiederzusammenbauen des Geruchs | |
am Ende vielleicht der Eindruck eines Apfelstrudels. Ob es aber ein gutes | |
Rezept ist, oder genau das von Oma, wird man aus einer digitalen Welt wohl | |
nie erkennen können. Dafür, meint Hatt, ist die Duftwelt einfach zu | |
komplex. | |
8 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
Maria Rossbauer | |
## TAGS | |
Auf die Mütze | |
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