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# taz.de -- Spekulation auf Nahrungsmittel: Mit dem Zucker spielt man nicht
> Spekulation verschärft die Steigerung bei den Lebensmittelpreisen um ein
> Fünftel - sagen Ökonomen. Ministerin Aigner erwägt nun eine bessere
> Regulierung.
Bild: Zuckerwatte wie Wolken wie Zuckerwatte.
BERLIN taz | Etwa 20 Prozent der Preissteigerung bei Nahrungsmitteln
weltweit werden durch Börsenspekulation verursacht. Diese Berechnung hat
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung am Dienstag veröffentlicht.
Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) setzt sich deshalb für bessere
Regulierungen des Börsenhandels ein. Ein internationaler Konsens ist aber
noch nicht in Sicht.
Wegen des starken Preisanstiegs ist die Finanzspekulation bei
Grundnahrungsmitteln ab 2008 großes politisches Thema geworden. Europäische
Regierungen befürchten, dass die Zahl der Hungernden weltweit zunimmt und
mehr Flüchtlinge kommen. Frankreichs Staatspräsident Nicholas Sarkozy hat
die Spekulation mit Lebensmitteln und anderen Rohstoffen deshalb zu einem
zentralen Punkt seiner aktuellen Präsidentschaft der G-20-Gruppe der
wichtigsten Wirtschaftsnationen gemacht.
Neuen Zahlen der Welternährungsorganisation FAO zufolge lag beispielsweise
der Preis für Weizen im März 2011 mit 332 Dollar pro Tonne um mehr als die
Hälfte über dem Niveau von 2010. Der Anteil der Spekulation an diesen
Preiserhöhungen ist bislang allerdings umstritten. Das DIW macht nun einen
der ersten Versuche zur Berechnung.
"Unseren Schätzungen zufolge erklärt die globale Liquidität ungefähr 20
Prozent der Lebensmittelpreisveränderung", sagt DIW-Expertin Kerstin
Bernoth. Der zugrunde liegende ökonomische Mechanismus, den das DIW
analysiert, sieht so aus: Um die Wirtschaft während der Finanzkrise zu
stützen, haben Regierungen viele hundert Milliarden Euro in den
Geldkreislauf gepumpt. Nun befürchten private Investoren Inflation und
legen ihr Geld in vermeintlich sicheren Sachwerten an. Dazu gehören
Nahrungsmittel wie Getreide und Zucker. Steigende Nachfrage aber treibt die
Preise.
## Steigende Nachfrage treibt die Preise
Im Auftrag der Deutschen Welthungerhilfe kam unlängst der Bremer Ökonom
Hans Bass zu einem ähnlichen Ergebnis wie das DIW. Er berechnete, dass die
weltweite Finanzspekulation die Preise zwischen 2007 und 2009 um bis zu 15
Prozent erhöht habe. Bei einem Weizenpreis von 332 Dollar betrüge der
spekulative Anteil rund 20 Dollar pro Tonne.
DIW-Expertin Bernoth legt allerdings Wert auf die Feststellung, dass andere
Faktoren als die Spekulation den Preis stärker beeinflussen. "Insgesamt
hält sich die Wirkung der globalen Liquidität in Grenzen", sagt die
Ökonomin, "ein bedeutenderer Faktor, welcher die Lebensmittelpreise
beeinflusst, ist das wirtschaftliche Wachstum in den Schwellenländern."
Wenn die Bevölkerung in Staaten wie China oder Brasilien insgesamt an
Wohlstand gewinnt, nimmt die Nachfrage etwa nach Fleisch zu. Auch so wird
Getreide teurer.
## Aigner für "zentrales Transaktionsregister"
Im Zuge dieser Debatten setzt sich Agrarministerin Aigner an diesem
Mittwoch abermals für eine bessere Regulierung der Geschäfte mit
Nahrungsmitteln ein. Sie plädiert dafür, ein "zentrales
Transaktionsregister" für den Handel mit Agrarrohstoffen einzurichten.
Dieses solle Transparenz über Händler und Verträge schaffen, um
Fehlentwicklungen rechtzeitig aufzudecken.
Außerdem sagt Aigner: "Notwendig sind realistische Grenzen für die
täglichen Preisschwankungen bei Produkten wie Getreide und Soja an
Warenterminbörsen." Ob die Vorschläge umgesetzt werden, ist fraglich.
Bislang haben die G-20-Staaten weder eine gemeinsame Einschätzung zum
Einfluss der Spekulation noch zu Gegenmaßnahmen.
Christian Dreger, Konjunkturchef des DIW, warnt vor übereilten Aktionen:
"Weil der Großteil der Preisentwicklung von Fundamentaldaten wie Angebot
und Nachfrage bestimmt wird, wäre es falsch, mit zu starker Regulierung in
den Handel einzugreifen." Sinnvoller erscheine es, etwa das Angebot an
Nahrungsmitteln zu steigern, so Dreger. "Dazu beitragen könnten
beispielsweise mehr und bessere Kredite für Kleinbauern in
Entwicklungsländern."
12 Apr 2011
## AUTOREN
Hannes Koch
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