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# taz.de -- Debatte Schwarz-Grün: Kann Merkel Werte?
> Die Kanzlerin hat begriffen, dass die Union erneuert werden muss, wenn
> sie Regierungspartei bleiben will. Doch der Weg dahin ist riskant.
Bild: Wer ist hier, schwarz, wer grün gekleidet? Jürgen Trittin und Angela Me…
Die Lehren aus der historischen Niederlage der CDU in Baden-Württemberg
liegen auf der Hand: Die Union bedarf einer programmatischen Erneuerung,
die schwarz-grüne Koalitionen ermöglicht. Nun liegt es an Angela Merkel,
diesen Prozess einzuläuten. Das Unterfangen lohnt sich für die Union wie
für die Bundeskanzlerin, im Erfolgsfall darf sie auf eine dritte Amtszeit
hoffen.
Das Stuttgarter Ergebnis könnte sich dabei sogar noch als Segen erweisen.
Denn erst ein solcher externer Schock - dies zeigen zahlreiche Studien zu
organisatorischem Wandel - gibt Führungskräften nicht nur ein Zeitfenster,
um eingespielte Mechanismen und Wertemuster in Frage zu stellen, sondern
darüber hinaus auch die Möglichkeit, eine grundlegende Transformation
einzuleiten.
Angela Merkel hat weit vor ihrer Partei erkannt, dass die Union in den
letzten Jahren ihre Stellung als politischer Resonanzboden des Bürgertums
mehr und mehr eingebüßt hat - nur hat sie nicht immer konsequent danach
gehandelt. Als Partei hat die CDU die "stille Revolution" (Ronald
Inglehart) der deutschen Gesellschaft verschlafen, welche nicht nur stetig
säkularer wird, sondern auch ein immer stärkeres ökologisches Bewusstsein
ausgebildet hat.
## Neuer Konsens gesucht
Die CDU mit dieser Entwicklung zu versöhnen ist die Mammutaufgabe, der sich
die Vorsitzende Merkel stellen muss: Sie muss die teilweise erstarrte CDU
zu einer "ambidexten" Partei umformen - mit diesem Begriff bezeichnet der
Harvard-Professor Michael Tushman Organisationen, die einerseits das
Bestehende nutzen und andererseits mit der Erforschung von Neuem verbinden.
Genau das brauchen CDU wie CSU. Denn die Wahlen in Baden-Württemberg haben
nicht nur den ökologischen Wertewandel der Republik dokumentiert. Sie sind
zugleich Beleg dafür, dass das bürgerliche Lager - in erneuertem Gewande -
durchaus noch mehrheitsfähig ist.
Die Union braucht einen neuen Konsens, an welchen Leitlinien in Zukunft
christlich-demokratische Politik sich orientieren soll. Dies mag die Partei
zu ihren Wurzeln zurückführen, indem ihre Politik wieder vermehrt die Mitte
der Gesellschaft fördert, die sich für Sozialstaat und Gemeinwohl engagiert
und deren Leistungskraft stärkt. Zudem bedarf die Union weiterer
programmatischer Erneuerung, welche die Kanzlerin in Fragen der
Einwanderungs-, Familien- oder Sozialpolitik ihrer Partei in den
vergangenen Jahren eher aufgezwungen hat, als dass eine Mehrheit ihrer
Stammklientel von diesem Kurs wirklich tief überzeugt gewesen wäre. Dieser
Teil des Merkelschen Kurses ergibt jetzt jedoch Schnittmengen zu anderen
Lagern.
## Umweltpolitik umsteuern
Besonders schwierig wird das Umsteuern in der Umweltpolitik. Hier muss die
einstige Fachministerin zunächst Räume und Foren schaffen, in denen sich
Parteimitglieder ohne kulturelle Zwangsjacken an programmatischer
Erneuerung versuchen können, um sie dann in einem parteiinternen Wettstreit
abzuwägen. Herauskommen müsste eine Politik, die für einen Wohlstand
eintritt, der das Klima so wenig wie möglich belastet, und ein verstärktes
Engagement für Hochtechnologie, die für moderne Energieversorgung,
Mobilität und nachhaltige Städte unverzichtbar ist.
Und da gibt es durchaus konservative Wurzeln, an die die Partei anknüpfen
kann. So lässt sich im Großen die Losung "Schöpfung bewahren" mit "öko"
übersetzen. Im Kleinen zeigt sich, dass gerade in vielen süddeutschen
Kommunen, den konservativen Bastionen, ein ausgeprägtes Umweltempfinden
existiert.
Dennoch verlangt die Transformation ihrer Partei Angela Merkel etwas ab,
das sie bislang tunlichst vermieden hat: Sie muss aktiv eine offene Debatte
über Programmatik und Politikinhalte beginnen. Es ist verständlich, dass
sie bislang einen solchen Diskurs gescheut hat, da er erhebliche
machtpolitische Risiken birgt: Als Kanzlerin hat sie ihre Stärke in der
Konsensfindung bewiesen.
Doch allein pragmatisches Problemlösen, zu dem die gelernte Physikerin
neigt, wird für eine grüne Wende nicht ausreichen. Schon wegen der - nie
überzeugend begründeten - Verlängerung der Atomlaufzeiten haben die Union
und die Kanzlerin ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem, wollen sie neue
koalitionäre Ufer ansteuern. Diese Kluft ist durch Merkels antigrüne
Rhetorik, mit der sie Stefan Mappus unterstützt hat, noch gewachsen. Wie
bei der Causa zu Guttenberg zeigt sich: Je stärker die Kanzlerin von
machtpolitischen Erwägungen getrieben wird, umso weniger sichtbar ist ihr
Wertefundament.
## Glaubwürdigkeitslücken
Offenbar hatte Frau Merkel nach der breiten Debatte um ihre
Führungskompetenz im letzten Jahr einen innerparteilichen Schwenk
vollzogen, der nun neue Koalitionsoptionen deutlich erschwert. Ob ihr Wille
zur raschen Energiewende jetzt tatsächlich echter Überzeugung folgt oder
allein eine aus "demoskopiegeleitetem Opportunismus" (Jürgen Habermas)
resultierende Kurzschlussreaktion ist, lässt sich noch nicht sagen.
Zweifelsohne gibt es hier, diplomatisch formuliert, noch
Glaubwürdigkeitslücken.
Der CDU-Vorsitzenden ist kaum zuzutrauen, dass sie intern eine grüne Wende
einleitet, um dann anderen Bewerbern das Feld zu überlassen - etwa dem
umweltpolitisch anschlussfähigeren Norbert Röttgen oder der in vielen
politischen Gretchenfragen noch unverbrauchten Ursula von der Leyen. Viele
Beobachter attestieren ihr jedoch die Fähigkeit, auf den richtigen Moment
warten zu können. Das könnte jetzt helfen, denn gewählt wird erst in
zweieinhalb Jahren - viel Zeit, um wieder Vertrauen zu gewinnen. Lange
wurde Angela Merkel unterschätzt. Das könnte auch diesmal gelten.
18 Apr 2011
## AUTOREN
K. Bergmann
M. T. Fliegauf
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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