# taz.de -- Reportage aus einer CDU-Hochburg im Ländle: Das schwarze Paradies | |
> Im baden-württembergischen Grundsheim haben 81,9 Prozent für die CDU | |
> gestimmt. Selbst hier finden die Dorfbewohner erneuerbare Energie nicht | |
> mehr befremdlich. | |
Bild: Nirgendwo in Baden-Württemberg ist die CDU so stark wie in Grundsheim - … | |
GRUNDSHEIM taz | Die Sache mit dem Biber ist heikel. Seit einiger Zeit | |
fühlt sich das hierzulande fast ausgestorbene Tier im Reutibach am Rande | |
von Grundsheim wieder heimisch. Das könnte ein Grund zur Freude sein. Aber | |
so ein Biber, der baut sich auch schon mal einen schönen Damm - und dann | |
staut sich das Wasser, bis so mancher Keller im Dorf vollläuft. Der Biber: | |
ein Symbol für die Ambivalenz von Naturschutz und Tradition. Gerade in | |
Grundsheim. | |
Grundsheim, zwischen sanften Hügeln im schwäbischen Alb-Donau-Kreis | |
gelegen, hat es in letzter Zeit zu einer gewissen Prominenz gebracht. Die | |
eigenständige 200-Seelen-Gemeinde darf als das "schwärzeste Dorf | |
Baden-Württembergs" gelten, denn in Grundsheim hat die CDU bei der | |
Landtagswahl Ende März ihr bestes Ergebnis eingefahren: 81,9 Prozent. | |
Die Christlich Demokratische Union schmierte landesweit enorm ab, verlor | |
nach Jahrzehnten den fest gebuchten Ministerpräsidentenstuhl. An Grundsheim | |
lag das nicht, denn hier legte die CDU im Vergleich zur letzten Wahl 2006 | |
(79 Prozent!) sogar noch zu. Im Jahr 1976 waren es schon einmal 99,2 | |
Prozent der Stimmen. Wie kommt das, warum hier? Bricht nun angesichts einer | |
grün-roten Landesregierung in Grundsheim die Welt zusammen? Und was hat das | |
mit dem Biber zu tun? | |
In der Kirche von Grundsheim macht eine Endvierzigerin sauber. Mit | |
ordentlich viel Wasser und Putzmittel reinigt sie die Kirchenbänke des | |
Gotteshauses aus dem Jahr 1723. Es ist ein prächtiger Barockbau. Die Kirche | |
war den Grundsheimern immer wichtig - bis heute. Zwanzig Messdiener habe | |
die Gemeinde noch, erzählt stolz die Frau, das sind rund ein Zehntel aller | |
Seelen im Dorf. Etwa 95 Prozent der Dorfbewohner sind katholisch. | |
Wie viele Grundsheimer kramt die Gläubige dem Besucher aus dem Norden | |
zuliebe ihr Hochdeutsch aus. Ihre Tochter, erzählt sie treuherzig, habe ihr | |
geraten, CDU zu wählen. Denn: "Wenn die Grünen drankommen, kann ich meinen | |
Job verlieren." Die Grünen seien nämlich gegen das Flurbereinigungsamt, wo | |
die Tochter arbeite. Überhaupt, die Grünen, denen sollte man auf die Gosch | |
geben, wenn die bloß blöd schwätze täte. | |
## Kein "Stadtschnösel, wo net aufs Land passe". | |
Der Wahltriumph für die CDU hat, das sagen hier fast alle, mit deren | |
Spitzenkandidat Karl Traub zu tun. Der 69-jährige Landwirt aus dem nahen | |
Ort Hausen hat den Wahlkreis Ehingen, zu dem Grundsheim gehört, furios mit | |
51 Prozent gewonnen, es war das beste CDU-Wahlkreis-Ergebnis landesweit. | |
Der Traub, sagt die putzende Katholikin, sei keiner dieser "Stadtschnösel, | |
wo net aufs Land passe". Die fleißige Frau hat auch eine Vermutung, woher | |
im Dorf wohl die vier Grünen-Wählerstimmen kämen: Da gebe es das | |
Lehrerehepaar, das sich für den Biber eingesetzt habe. Die hätten "Händel" | |
mit den Nachbarn bekommen. | |
Gleich gegenüber der Kirche gibt es einen Spielplatz. Er ist im | |
Wesentlichen, was vom Dorfkern übrig geblieben ist. Einen Bäcker, Metzger, | |
überhaupt einen Laden oder eine Gastwirtschaft, das gibt es in Grundsheim | |
nicht mehr. Ohne Auto läuft nichts. Ein kleines Plakat wirbt hier für das | |
Konzert "Rock meets Dirndl" in Oberdischingen. | |
## Die Grünen als Meckerpartei | |
Mit schleppendem Gang schiebt eine alte Frau mit buntem Kopftuch ihr | |
Enkelkind im Kinderwagen zum Spielplatz. Früher sei sie Landwirtin gewesen, | |
erzählt die 77-Jährige, aber "das hat ja keinen Wert mehr". | |
"Selbstverständlich" habe sie CDU gewählt, "die Alten wählen alle CDU", | |
denn: "Mit dene ist man halt zufrieden." Die Grünen würden vor allem | |
rummeckern. Jetzt dürfe man schon nicht mehr die Kühe anbinden, "das ist | |
ja'n Witz." Und was die Grünen alles vorhätten! "Wenn der letzte Bauer weg | |
ist, kommt die große Hungersnot", mahnt sie. | |
Alfons Harscher ist gleich neben dem Spielplatz unter einem Auto zugange. | |
Der Kfz-Meister hat eine große Autowerkstatt - und dass gerade sie im | |
Zentrum des Dorfes steht, sagt viel. | |
"Ja, freilich" habe auch er CDU gewählt, sagt der 56-Jährige. Andererseits | |
sei es "höchste Zeit" gewesen, dass es mal einen Wechsel an der | |
Landesregierung gegeben habe. Nun müsse man eben schauen, was die Grünen so | |
leisteten: "Denen muss man erst mal 'n bisschen die Flügel stutzen", meint | |
er. Klar, man könne natürlich Elektroautos fördern. "Aber wichtiger wär's, | |
dass sich's Schaffe mal wieder lohne tät", sagt er. | |
Neben dem Spielplatz steht das Haus der Familie Chosen. Es ist unverputzt, | |
was für schwäbische Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist - und an einem Mast | |
davor weht sogar die schwedische Fahne. Susanna Chosen steht mit | |
Töchterchen Kim Melodie auf dem Arm darunter, ihr Mann kommt aus Schweden. | |
## Das "große Miteinander" im Dorf | |
Der Name Chosen ist angenommen, er beruht auf dem englischen Wort für | |
"erwählt": Die Chosens gehören mit ihren drei kleinen Kindern zur | |
evangelikalen Gemeinde in Illertissen. Die 37-Jährige schwärmt vom "großen | |
Miteinander" im Dorf. Vielleicht ist das ja ein Teil der Erklärung, warum | |
man hier das wählt, was man schon immer gewählt hat. Susannas Mann Markus | |
meint: Die Leute im Dorf glaubten eben an Gott und wollten durch ihre Wahl | |
Angela Merkel und die CDU unterstützen. Als deutscher Staatsbürger würde er | |
sicher auch die Christdemokraten wählen, sagt Markus Chosen, denn "die | |
glauben an Gott". | |
Die direkte Nachbarin der Chosens, Maria Mayer, mistet gerade den Stall | |
aus. Seit 1713 bewirtschaftet die Familie Mayer diesen alten Hof. Maria | |
Mayers Mann und Sohn gehören zu den zwei, drei Vollerwerbsbauern in | |
Grundsheim, der Hof hat zweihundert Muttersauen. Maria Mayer arbeitet auch | |
als Krankenschwester. Sie habe CDU gewählt, weil der | |
Noch-CDU-Ministerpräsident Mappus auf sie "positiver gewirkt" habe, sagt | |
sie. | |
Reinhard Bauhofer ist der Leiter der Bauhofer Mühle im Ort. Sie wurde | |
erstmals 1656 erwähnt, aber klapperte wohl schon im 9. Jahrhundert hier. | |
Der Müllermeister repariert gerade mit einem Mitarbeiter eine Maschine, die | |
Hände sind ölig. Er habe CDU gewählt, weil sie immer "fürs Handwerk" war. | |
Hier würden Weizen, Dinkel und Roggen gemahlen, das brauche viel Strom - | |
ein möglicher Strompreisanstieg nach einer Abschaltung der Atomkraftwerke | |
könnte seinen Betrieb treffen, sagt Bauhofer. Auch der massive Maisanbau | |
für Biogasanlagen in der Gegend macht ihm Sorgen. Denn der Mais sei nicht | |
zu mahlen, Weizen schon, müsse aber von fern herangeschafft werden. | |
Andererseits, das Energiespar-Engagement der Grünen gefalle ihm. Nur die | |
Sache mit dem Biber nicht. Aber ist es nicht ökologisch toll, einen Biber | |
am Dorfrand zu haben? "Dann nehmen Sie ihn doch mit nach Frankfurt!", ruft | |
er lachend. | |
## Die Furcht vor teurem Benzin | |
Hildegunde Kosziol sieht die religiöse Prägung des Dorfes als Hauptgrund | |
für das CDU-Rekordergebnis: "Das C in der CDU wird wohl den Ausschlag | |
geben." Die 51-Jährige, von allen nur "Gundi" gerufen, ist Vorsitzende des | |
Kirchengemeinderates. Sie hat am Wahlsonntag bei der Auszählung der Stimmen | |
geholfen und erzählt, bei der "Wahlvesper" sei die Stimmung angesichts des | |
grün-roten Triumphs schon "etwas gedrückt" gewesen. Auch sie befürchtet | |
höhere Benzinkosten. Die Kosziols haben vier erwachsene Kinder und fünf | |
Autos - ohne die wäre man hier "total aufgeschmissen". | |
Die Strecke Berlin-Grundsheim schafft man mit Bahn und Bus bestenfalls in | |
knapp siebeneinhalb Stunden mit dreifachem Umsteigen - den letzten Bus muss | |
man einen Tag vorher telefonisch vorbestellen. Man könnte Grundsheim als | |
ein durchaus grünes Dorf begreifen, schaut man nur auf die vielen | |
Solardächer im Ort. Für deren Installation, sagt der ehrenamtliche | |
Bürgermeister Uwe Handgrätinger, "nimmt man gern das Sparbuch her" - und | |
das will in Schwaben schon was heißen. | |
## Ein schwarzes Loch? | |
Der 47-jährige Bürgermeister, der seit einem Vierteljahrhundert das Amt | |
innehat, ist deutlich darum bemüht, seinen Ort nicht als schwarzes Loch | |
porträtiert zu sehen - das sei "völliger Käse". Schließlich habe man doch | |
die Biogas-, die Hackschnitzel- und die Photovoltaikanlagen, alles | |
irgendwie Grün, oder? Und auch die 82 Prozent CDU-Wähler wären eigentlich | |
für die Abschaltung der Kernkraftwerke, meint er - tatsächlich hört man | |
dies im Dorf häufiger. Außerdem wolle man auch keinen Gen-Mais in der | |
Gegend haben. | |
Die kommende grün-rote Landesregierung sieht der Bürgermeister des | |
schwarzen Dorfes relativ gelassen. Den grünen Landesvater in spe, Winfried | |
Kretschmann, kann er sich als Ministerpräsidenten ganz gut vorstellen: "Ich | |
traue es ihm zu." Wahrscheinlich müssen auch grüne Revolutionen erst in | |
Dörfern wie Grundsheim angekommen sein, um unumkehrbar, besser: nachhaltig | |
zu sein. | |
Endlich ist das Ehepaar zurück, von dem einige vermuteten, es könne grün | |
gewählt haben. Die pensionierte Lehrerin sagt: Dass die CDU hier in | |
Grundsheim Rekordergebnisse einfährt, das sei schon zu Hans Filbingers | |
Zeiten so gewesen. Der frühere Nazirichter und spätere | |
CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs habe einst versprochen, Grundsheim | |
mal zu besuchen, aber "er kam nur bis Oberstadion", dem Nachbarort. Und, | |
fügt sie noch bittersüß hinzu, "es ist doch schön, wenn ein Dorf sich einig | |
ist". | |
Der Biber von Grundsheim kann wahrscheinlich froh um diese Familie sein. | |
Auch wenn sie nicht mal grün gewählt hat. | |
14 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Schwarz-Grün: Kann Merkel Werte? | |
Die Kanzlerin hat begriffen, dass die Union erneuert werden muss, wenn sie | |
Regierungspartei bleiben will. Doch der Weg dahin ist riskant. | |
Atomexperte der Union über Energiewende: "Stromleitungen kosten 50 Milliarden" | |
Joachim Pfeiffer ist Energieexperte der Union. 2010 votierte er für | |
AKW-Laufzeiten von 60 Jahren. Im Interview spricht er über saubere | |
Kernkraft, den deutschen Ausstieg und die hohen Kosten. | |
Papier des Umweltministeriums: Regierung fürchtet Strom-Knappheit | |
Das Bundesumweltministerium warnt intern vor Stromengpässen im Mai, wenn | |
weitere Atommeiler vom Netz gehen - zur Revision. Experten halten die Sorge | |
für übertrieben. | |
SPD in Baden-Württemberg: Die Anti-Spinnerei-Partei | |
Die SPD tut sich schwer, Juniorpartner zu sein. Die Vorbehalte gegenüber | |
den Grünen bleiben. Sich selbst will die Partei nun als Hort der | |
Zuverlässigkeit darstellen. |