# taz.de -- Montagsinterview Gartenaktivistin Gerda Münnich: "Die Gartenbewegu… | |
> Einst saß sie in dunklen Büros, jetzt beackert sie öffentliche Flächen. | |
> Gartenaktivistin Gerda Münnich planzt gegen soziale Unterschiede und | |
> Gentrifizierung - seit Samstag auch auf dem Tempelhofer Feld. | |
Bild: Hält nichts von Gartenzwergen: Gerda Münnich im Wuhlegarten. | |
taz: Frau Münnich, was bringt eine Computerfachfrau zum Gärtnern? | |
Gerda Münnich: Die Frage müsste andersrum lauten: Was bringt eine | |
Naturverbundene zum Computer? | |
Na gut. Sie kommen aus dem Spreewald, sind auf dem Bauernhof ihrer | |
Großeltern großgeworden. Liegen da die Wurzeln Ihres Gartenengagements? | |
Ich war fünf Jahre, als 45 der Krieg zu Ende ging. Das war genau die | |
Jahreszeit wie jetzt - März, April. Es gab nur noch alte Leute, Mütter und | |
Kinder. Wir mussten dafür sorgen, dass überhaupt Essen auf dem Tisch stand. | |
Fast ohne Maschinen und ohne männliche Hilfe. Kartoffeln, Getreide und | |
Gemüse haben wir angebaut, Saatgut gesammelt. Das ist mir bis heute | |
präsent, trotz aller virtuellen Welten, in die ich mich später | |
eingearbeitet habe. | |
Das klingt mehr nach Zwang als nach Lust zum Gärtnern. | |
Damals gings ums Notwendige. Gleichzeitig war aber auch ein besonderes | |
Bewusstsein da. Für mich ist immer noch mein Großvater, ein alter Bauer, | |
der erste Ökologe. Der hatte dieses Wort zwar noch nicht gekannt, aber er | |
hatte immer eine ganzheitliche Sicht auf das Leben, die den Menschen, | |
Pflanzen und Tiere, Boden, Luft und Wasser einschloss. Das Spannende ist, | |
dass das den Generationen heute wieder bewusst wird. | |
Ihr Großvater hat Sie geprägt? | |
Sicher. Es gibt Leute, die könnten zehn Jahre ohne Blumentopf leben, ich | |
könnte das nie. Auch im kleinsten Raum brauche ich Pflanzen. | |
Und wie sind Sie dann zur Informatik gekommen? | |
Ich habe Bankkaufmann gelernt - diese Bezeichnung hat mich schon damals | |
gestört, aber so stehts in der offiziellen Urkunde. Danach habe ich | |
Bankorganisation studiert, woraus in der DDR später die Studienrichtung | |
Angewandte EDV entstanden ist. Inhaltlich war das das, was heute | |
Wirtschaftsinformatik heißt. | |
Informatik in der DDR, wie hat man sich das vorzustellen? | |
Ich war im Leitzentrum für Anwendungsforschung in Berlin beschäftigt. | |
Unsere Hauptaufgabe war, Informationen für Führungskräfte zu sammeln. | |
Gleichzeitig haben wir damals schon an offenen Systemen wie Unix | |
gearbeitet. Das glaubt heute kaum noch jemand! Anfangs gab es noch nicht | |
mal Bildschirmtechnik. Unsere Programme liefen noch über Lochkarten, die | |
mit dem Auto ins Großforschungszentrum nach Dresden gefahren wurden. Hatten | |
wir da schlecht gelocht, sind die Arbeitsaufträge erst gar nicht gelaufen. | |
Rechner und Rechenzeiten waren knapp, gearbeitet wurde oft nur nachts. Da | |
war man entweder Single und Freak - oder man suchte die Balance im | |
wirklichen Leben. | |
Ihr Ausgleich war das Gärtnern? | |
Ja, zum Beispiel unser Pachtgarten in Zeuthen. | |
Heute sind Sie eine der umtriebigsten GartenaktivistInnen Berlins. Warum | |
ist gerade die Hauptstadt eine Hochburg des Community Gardening geworden? | |
Weil hier Ost und West, Altes und Neues zusammenkommt. Das ist noch keine | |
sortierte Gesellschaft. Und wo es anfängt, sich zu sortieren, wird das eher | |
skeptisch angesehen. Außerdem gibt es in Berlin nach deutschem Maßstab | |
viele arme Leute. Gemeinschaftsgärten aber kosten keinen Eintritt. Es gibt | |
keinen Kleiderzwang und keine Hierarchien. Man kann selber etwas machen und | |
trifft die spannendsten Leute. | |
Wenn man sich etwa die Prinzessinnengärten in Kreuzberg anguckt, sind es | |
nicht die Armen, die dort graben, sondern die jungen Hippen. | |
Das stimmt nicht. Dort sind Nachbarn aus allen Schichten und Kulturen | |
beteiligt - Deutsch, Türkisch, Französisch oder sonst wie Sprechende. | |
Aber ist die neue Lust am Stadtgärtnern nicht auch nur ein | |
Lifestyle-Fragment der Bionade-Boheme? | |
Nicht nur Fragment, das ist sogar eine ganze Bewegung. Und da kann man sich | |
eigentlich nur drüber freuen. | |
Sie denken nicht, dass das nur eine oberflächliche Episode ist? | |
Nein! Man kann ja vieles oberflächlich tun, aber pflanzen nicht. Ein Garten | |
ist etwas Lebendiges, das, wenn es da ist, auch Forderungen stellt. Das | |
kann man nicht einfach so wegwerfen. Über das neue grüne Bewusstsein wird | |
ja viel geredet. Die Gärten sind Orte, an denen es auch authentisch | |
praktiziert wird. | |
Woher kommt diese urbane Garteneuphorie? | |
Das hat verschiedene Wurzeln. Ein Stichwort wäre Ernährungssouveränität: | |
Die Leute wollen wieder wissen, was da auf ihrem Teller liegt. Und in dem | |
Moment, in dem man einmal richtig gegessen hat, lässt man sich nicht mehr | |
so leicht täuschen. Außerdem steckt dahinter eine unbewusste Sehnsucht nach | |
Orientierung, nach einem Ort, an dem man sich wohlfühlt. Gerade bei den | |
Jüngeren. | |
Der Garten als Schutzraum? | |
Und der Begegnung! Gärten sollten Orte sein, die der Gemeinschaft zur | |
Verfügung stehen. Orte, an denen der Mensch lernt, im Einklang mit der | |
Natur zu leben und daraus Kraft zu ziehen. Vielleicht ist es etwas hoch, zu | |
sagen, damit wäre die Gesellschaft zu retten. Aber alles, was ich unter | |
Lebensqualität und gutem Leben verstehe, finde ich in den Gärten. | |
Wir sitzen gerade im Wuhlegarten, Berlins erstem interkulturellen Garten. | |
Sie haben ihn mitgegründet. Was können solche Orte vermitteln, was | |
Populisten wie Thilo Sarrazin nicht vermitteln können? | |
Ich zeige Ihnen mal ein Foto von der Eröffnung. Schauen Sie: der deutsche | |
Arbeitslose, hier der Spätaussiedler aus Russland, die Vietnamesin, der | |
Ägypter. Diese Gärten bringen vom Analphabeten bis zum Hochschulprofessor | |
die verschiedensten Menschen zusammen. Wenn die gemeinsam ihren Subbotnik | |
machen, sehen Sie nicht mehr, wer der Professor ist. Dann zählt nur noch, | |
wer wie mitmacht und Hand anlegt. Das schafft Selbstbewusstsein und | |
Achtung. | |
War diese Idee die Initialzündung für Ihr Engagement? | |
Es war eine Idee, die mich in ihrer praktischen Umsetzung überzeugt hat, | |
ja. Außerdem finde ich oft eine emotionale Ebene, eine Verständigungsebene | |
mit den Menschen aus den Kriegsgebieten, die in den Gärten neue Wurzeln | |
schlagen. Wenn man wie ich noch selbst Krieg erlebt hat, kann man manche | |
Reaktionen von Migranten viel besser verstehen. | |
Gibt es gärtnerische Unterschiede zwischen Kulturen? | |
Oh ja, das ist ja das Spannende! Die Ukrainerinnen etwa pflanzen das, was | |
sie auch zu Hause in ihrem Garten hatten: Kartoffeln, Tomaten, Erdbeeren, | |
Gladiolen, Dahlien. Und die bosnischen Frauen am Gleisdreieck - | |
Kriegstraumatisierte - rekultivieren alte Rosenstöcke, die es traditionell | |
in Bosnien gibt und machen daraus Rosenöl. | |
Und die Berliner? | |
Den Berliner gibts nicht. Es gibt Alte und Junge, langjährige Gärtner und | |
Menschen, die zum ersten Mal eine Schaufel in der Hand halten. Und jeder | |
und jede hat seine und ihre Vorlieben. | |
Okay, anders gefragt: Was pflanzen Sie denn am liebsten? | |
Auch eine schlechte Frage. Jeder Garten ergibt sich doch aus seiner | |
Grundstruktur, ich würde nie einem Ort etwas aufzwingen. Ich habe aber ein | |
ganz genaues Gefühl, welche Jahreszeiten wie riechen, schmecken und | |
aussehen. Ich setze mich hin, gucke, wo die Sonne scheint und überlege, was | |
wo wachsen könnte. | |
Haben Sie denn keine Lieblingspflanze? | |
Doch, vielleicht Jasmin. Falscher Jasmin, um genau zu sein. Dieser Duft | |
weckt Kindheitserinnerungen. Sommer auf dem Dorf, Freizeit und Freiheit. | |
Vom Urban Gardening zum Schrebergarten ist es nicht weit. Stellen Sie | |
inzwischen auch mal Gartenzwerge auf? | |
Natürlich nicht. Ein Garten ist etwas Lebendiges, da stelle ich nichts | |
Künstliches rein. | |
In Berlin sind es vor allem Brachflächen, die mit Gärten als | |
Zwischennutzung aufgehübscht werden. Wird man so nicht Teil der | |
Gentrifizierung? | |
In dieser Diskussion befinden wir uns auch gerade in der Gartenszene. Das | |
hängt an der Frage: Reprivatisieren wir Freiflächen? Das tun | |
Gemeinschaftsgärten in der Regel nicht, weil sie der Nachbarschaft zur | |
Verfügung stehen. Jemand, der nur für sich sein Beet machen will, wird es | |
schwerhaben, in unsere Gärten aufgenommen zu werden. | |
Am Ende steht meistens dennoch ein blühender, attraktiver Ort. | |
Natürlich ist das erst einmal eine Aufwertung. Aber eine, die man nicht | |
wieder so schnell wegschieben kann. Wir fordern mit unseren Gärten ja auch | |
öffentliche Räume ein, die nicht immer den Investoren überlassen werden | |
sollen. Stellen Sie sich mal vor, was hier los wäre, wenn jetzt nach den | |
ganzen Jahren jemand käme und den Wuhlegarten wegwälzen wollte! Das traut | |
sich niemand mehr. | |
Können Gemeinschaftsgärten denn einen Beitrag für eine partizipative | |
Stadtentwicklung leisten? | |
Auf alle Fälle. Nehmen wir noch mal den Wuhlegarten. Als wir den im Rathaus | |
Köpenick geplant haben, saß da plötzlich die Ausländerbeauftragte mit | |
Vertretern des Grünflächenamts und des Arbeitsamts zusammen an einem Tisch | |
- Ämter, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Dazu kamen die Aktiven | |
der Lokalen Agenda 21 und die verschiedensten Vereine und Verbände. Da gab | |
es keinen "top down"- oder "bottom up"-Ansatz. Da gab es nur den | |
gemeinsamen, großen runden Tisch. Innerhalb eines halben Jahres war der | |
Garten eröffnet. Und zum ersten Gartenfest kamen schon dreihundert Leute. | |
So entwickelt man Projekte! | |
Ihr neuestes Projekt ist das "Allmende-Kontor", ein Gemeinschaftsgarten auf | |
dem Tempelhofer Feld. Hoffen Sie auch hier: Was blüht, bleibt? | |
Das ist keine Hoffnung, das wäre mir zu passiv. Wir haben jetzt seit | |
Samstag diese Pionierfläche - genau dort, wo später mal Häuser als | |
Randbebauung stehen sollen. Mein Wunsch aber wäre die heutige Weite zu | |
erhalten und nicht zuzubauen. Das Bedürfnis nach solch einer freien | |
Flächen, nach Freiheit in der Stadt, das ist so was von existenziell, das | |
haben andere auch. | |
Der Senat hat aber längst seine Bebauungspläne. | |
Und wir haben jetzt drei Jahre die Chance, parallel zu den Planungen etwas | |
zu entwickeln, mit relativ wenig Vorschriften. Wenn wir das gut machen, | |
wird man das Resultat nicht übersehen können. | |
Und irgendwann wird das Tempelhofer Feld ein riesiger Gemeinschaftsgarten? | |
Natürlich nicht. Es gibt ja auch noch andere Lebensbereiche: Kunst, Kultur, | |
Sport zum Beispiel. Ich bin ja auch nicht ausschließlich Gärtnerin in der | |
Stadt. | |
Haben Sie denn eine andere Vision? | |
Mein Traum wäre ja, viel Wasser auf das Feld zu bekommen. Vielleicht kennen | |
Sie diesen Vorschlag, den mit dem großen See mit einer Insel in der Mitte? | |
Das wäre toll, aber das würde aktuell natürlich nie genehmigt werden. Auch | |
wenn ich immer dafür bin, sich etwas zu trauen. | |
Muss man als Gärtnerin eigentlich eine grüne Bürgermeisterin wählen? | |
Das kommt drauf an, welche Politik eine grüne Bürgermeisterin machen würde. | |
Das ist mir bisher noch nicht ganz klar. Für mich wird bei den Wahlen | |
entscheidend sein, wie Politiker mit Freiflächen umgehen. Und dazu zählt | |
dann auch der Umgang mit dem Weiterbau der A100. | |
Wo sehen Sie die Zukunft der Stadtgärten in Berlin? | |
Das Modell Bürgergarten wird zunehmen, egal ob auf freien Flächen oder auf | |
Dächern. Diese öffentlichen Räume von vornherein mitzudenken, sollte | |
Aufgabe von Architekten und Bauplanern sein. Davon wollen wir sie mit viel | |
Reden und guten Beispielen überzeugen. | |
Gehört dazu auch das Guerilla-Gardening, das klandestine Verstreuen von | |
Pflanzensamen in der Stadt? | |
Die gesamte Gartenbewegung ist doch eigentlich eine Guerillabewegung. Weil | |
wir von bestehenden Strukturen absehen und Neues sprießen lassen, | |
wortwörtlich. Ich ziehe dafür aber nicht nachts mit der Kapuze los und | |
verstreue Samen. Das wäre mir zu schade, wenn ich mich nachher nicht darum | |
kümmern kann. | |
Haben Sie als gebürtige Spreewälderin eigentlich den Wunsch, irgendwann | |
wieder raus ins Grüne zu ziehen? | |
Nein. Ich liebe den Spreewald, aber jetzt zurück in ein Bauernhäuschen, das | |
wäre mir finanziell nicht möglich. Ich will in der Stadt alt werden - mit | |
einer großen, grünen Wiese vor der Tür. Dazu ein kleines Kaffeehaus und | |
eine Bibliothek mit allen Tageszeitungen. Und dann den ganzen Tag draußen | |
lesen, quer durch den Blätterwald, und mit jungen Leuten und alten Menschen | |
darüber reden. Und natürlich auch ein bisschen gärtnern. Das ist meine | |
Lieblingsvorstellung vom Altwerden in der Stadt. | |
17 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Konrad Litschko | |
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