# taz.de -- Getäuschte Fleischkäufer: Das Elend der Puten | |
> Die Tierschutzorganisation Peta hat einen Putenmastbetrieb in Emstek | |
> wegen Tierquälerei angezeigt. Der Betrieb wehrt sich mit einer | |
> Gegenanzeige. | |
Bild: Heidemark - Geflügel wie ich es mag, lautet der Werbeslogan. Mit Bildern… | |
BREMEN taz | Zivil- und strafrechtlich will sich der Geflügel-Produzent | |
Heidemark gegen die Tierrechtsorganisation Peta wehren. Das kündigte am | |
gestrigen Montag Walter Scheuerl an, Hamburger Anwalt des | |
Puten-Großunternehmens aus Garrel. Das reagiert damit seinerseits auf eine | |
Anzeige: Am Montagvormittag hatte die Tierrechtsorganisation Peta Vorwürfe | |
gegen das Joint-Venture der Kalvelage- und Rothkötter-Gruppe | |
veröffentlicht. | |
Peta verdächtigt das Unternehmen der Verbrauchertäuschung und wirft ihm | |
massive Tierquälerei vor. Grundlage dafür sind eigene Ermittlungen: | |
AktivistInnen waren in Mastställen von Albert V. im emsländischen Emstek, | |
kurz vor Abtransport der Puten in die Schlachterei. "Die Türen waren | |
offen", sagte Peta-Ermittler Stefan Bröckling. "Wir brechen nirgendwo ein." | |
In Hannover erklärte er, was die Tierrechtler dort gemacht haben: Offen | |
herum liegende Dokumente gecheckt und erfasst. Und vor allem: beobachtet, | |
wies den Tieren geht, sie gefilmt und fotografiert. | |
Es sind herzzerreißende Bilder von kotverklebten Großvögeln. Manche, so | |
wirkts, versuchen trotz zugeschwollener Augen, mühsam die unverhofften | |
Besucher zu erkennen. Dabei torkeln sie über einen Boden, dessen Einstreu | |
sich lange schon in eine matschige Pampe verwandelt hat, und auf dem einige | |
ihrer Artgenossen verendet sind. Eins der verwesenden Tiere wird von einer | |
Hand mit Schutzhandschuh in die Kamera gehalten. | |
Das sind keine überraschenden Bilder: Im Dezember diskutierte der | |
Agrarausschuss des niedersächsischen Landtags eine Studie der Uni Leipzig | |
zur Putenmast. Doch das war am Tag des Rücktritts von Agrarministerin | |
Astrid Grotelüschen (CDU). Da gingen die Ergebnisse unter. Öffentlichkeit | |
verdient hätten sie: Untersucht worden sind 16.200 "Schlachttierkörper" von | |
18 deutschen, darunter sechs niedersächsischen Betrieben. | |
Schlachttierkörper heißt: handelsübliche Puten. | |
Deren Fußballen waren immer, zu 100 Prozent, entzündet. Außerdem entdeckt | |
wurden Knochenbrüche, krankhafte Brusthautveränderungen, Wassergeschwulste, | |
Abszesse und - selten - eitrige Schleimbeutelentzündungen. "Das ist die | |
absolute Regel", sagt Bröckling. "Das ist der eigentliche Skandal." Darum | |
gehe es Peta, "nicht um ein einzelnes Unternehmen". | |
Scheuerl sieht das anders. Er nennt die Vorwürfe "die dreisteste | |
Peta-Kampagne, die ich erlebt habe". Und er kennt sich da aus: Er ist ja | |
nicht nur für die Kalvelage-Rothkötterschen Rechtshändel zuständig, sondern | |
vertritt auch den Hybrid-Hühnerproduzenten Lohmann Tierzucht aus der Erich | |
Wesjohann Gruppe. Das ist nur eine benachbarte Branche: Bei Heidemark gehts | |
um Mast und Verarbeitung, zu den Kunden gehören die großen Discounter. | |
"Geflügel wie ich es mag", lautet der Slogan, und das geht nicht zusammen | |
mit Ekel-Bildern, ganz sicher nicht. | |
Heidemark habe "gar nichts mit diesen Bildern zu tun", sagt Scheuerl. Der | |
Konzern verbiete seinen Vertragsmästern auch, Gensoja zu verfüttern. | |
Richtig ist zwar, dass Heidemark Futtermittel mit Gensoja vertreibt. Und V. | |
wurde es auch verkauft, wie es auf den Lieferscheinen steht. Bloß "dieser | |
Betrieb beliefert uns nicht", sagt Scheuerl. | |
Für eine Verflechtung gibt es keine Beweise, aber starke Indizien. So | |
wurden laut Lieferschein 6.000 Putenhennen von V.s Betrieb am 4. April zum | |
Heidemark-Schlachthof in Großenkneten verbracht, wenn auch laut Scheuerl | |
dort nicht für Heidemark geschlachtet. Und so betreute Herbert Paschertz, | |
Geschäftsführer vom Rothkötter- und Heidemark-Vertrieb Geflügelpartner.eu, | |
die Tiere von Mäster V. persönlich. Er hat ihnen einen ganzen Cocktail von | |
Antibiotika verschrieben. Das durfte er: Die Vögel waren krank. Und | |
Paschertz ist Tierarzt. Auch in der Funktion arbeitet er bei Heidemark. | |
Aber eben "zugleich freiberuflich", betont Scheuerl. Für die Konkurrenz? | |
Tatsächlich gehört V. zur Putenerzeugergemeinschaft Ahlhorn (PEG). Von der | |
hält er Geschäftsanteile im Wert von 16.150 Euro. Und die PEG vermarktet in | |
erster Linie über Wiesenhof, das heißt Paul Wesjohann, das heißt | |
Rothkötters mächtigeren Gegenspieler. Aber das schließt sich nicht aus. So | |
gibt es bekennende Heidemark-Partnerschlachtereien, die darauf verweisen, | |
ihre Lebendware von der PEG zu beziehen. Deren "Ziel und Zweck" sei nämlich | |
"die Produktion von Schlachtputen nach gemeinsamen Erzeugungs- und | |
Qualitätsregeln". | |
18 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach Berichten über Tierquälerei: Boykott gegen Wiesenhof-Hähnchen | |
Die größten Schweizer Supermarktketten kaufen nichts mehr von Deutschlands | |
größtem Geflügelfleischkonzern. Sie begründen das mit den | |
Tierquäler-Vorwürfen gegen Wiesenhof. | |
Brutale Praktiken bei Wiesenhof: Die Quälerei geht weiter | |
Neue Aufregung um Deutschlands größten Geflügelproduzenten Wiesenhof. Puten | |
wurden vor dem Schlachten misshandelt. Tierrechtler erkennen darin System. | |
Neues Tierschutzlabel "Tierwohl": Strenger als Bio, bekannter als Neuland | |
Der Tierschutzbund startet das neue "Tierwohl"-Label für Fleisch. Beteiligt | |
sind auch Konzerne wie der Schlachthausriese Vion und die Supermarktkette | |
Kaisers. | |
Lebensmittelskandal bei PHW/Wiesenhof: Fäkalien auf Hühnerfleisch | |
Schimmel und Kühlprobleme: Behörden kritisieren die miserable Hygiene in | |
einem Schlachthof, der zum größten deutschen Hähnchenproduzenten gehört. | |
Kommentar Massenmast: Der Schrecken des Normalen | |
Herr V. ist in einem kranken Mastsystem ein systemkonformer und damit | |
entsetzlicher Putenzüchter. |