# taz.de -- Spionageberg verrottet: Zum Teufel mit den ganzen Plänen | |
> Der Teufelsberg und seine Abhöranlagen sind geschichtsträchtig und ein | |
> beliebtes Ausflugsziel. Doch seit Jahren verfällt der Ort und | |
> Zukunftsideen bleiben vage. | |
Bild: Schöne Aussicht: Die alten Radartürme auf einem Berg aus Kriegstrümmer… | |
Eigentlich ist es kein Berg, eher ein Hügel. Sein Gipfel liegt gerade mal | |
bei knapp 115 Metern. Doch für die rund 60 Bergsteiger, die sich am | |
S-Bahnhof Heerstraße in Charlottenburg sammeln, spielt das keine Rolle. Der | |
Reiz des Teufelsbergs liegt nicht in der Höhe, sondern in seiner | |
Vergangenheit. | |
Hartwig Berger hat für den warmen Aprilsonntag eine Route ausgewählt, die | |
über das Dritte Reich mitten in einen Spionage-Krieg führt. Berger ist | |
Vorstandsvorsitzender des Ökowerks. Das Naturschutzzentrum im Grunewald | |
veranstaltet den "Thementag Teufelsberg". Berger will über die Zukunft des | |
Gebiets diskutieren. Damit alle Teilnehmer begreifen, warum der Ort wichtig | |
ist, wandert er mit ihnen in die Vergangenheit. Unter den Teilnehmern sind | |
viele Familien, Touristen, Senioren und einige Schüler. Das Gebiet um den | |
Teufelsberg ist vor allem wochenends ein beliebtes Ausflugsziel: | |
Rennradfahrer rauschen über den Asphalt, Jugendliche schlängeln sich auf | |
Skateboards an der Gruppe vorbei, gefolgt von Rentnern mit | |
Nordic-Walking-Stäben. Von weitem sieht man bereits Paraglider und Drachen | |
aufsteigen. | |
"Ich war noch nie hier", sagt Biologie-Student Thomas. Er studiert erst | |
seit kurzem in Berlin und wollte den Ausflug nutzen, um einen Tag in der | |
Natur zu verbringen. Die Geschichte des Gebiets kennt er bisher nur von | |
einem Wikipedia-Eintrag. Vor 1937 gab es hier überhaupt keinen Berg, | |
sondern nur Wald ringsum, sagt Berger, während die Gruppe das erste Mal | |
anhält. Die Nationalsozialisten wollten im Areal eine wehrtechnische | |
Fakultät bauen. Das ganze Gebiet sollte nach Plänen der Nazis zu einem | |
Hochschulzentrum der Welthauptstadt Germania werden. Der Rohbau wurde nach | |
dem Zweiten Weltkrieg gesprengt. | |
Aus ungefähr 26 Millionen Kubikmetern Kriegstrümmern wurde dann schließlich | |
der Teufelsberg aufgeschüttet. Bis in die 1970er Jahre war das Gebiet eine | |
riesige Trümmerhalde. "Ich habe dort nach einem Umzug selbst noch meinen | |
Wohnungsmüll entsorgt", erinnert sich Berger amüsiert. Neben Schutt landete | |
auch bedenkliches Material aus Industrieanlagen wie Teer und Asbest auf der | |
Halde. Bis heute wird das Grundwasser ständig beobachtet. Einige der | |
Teilnehmer schauen sich verdutzt an. | |
Die Gruppe wandert weiter, nach einer halben Stunde erreicht sie die | |
ehemalige Abhöranlage der Alliierten aus dem Kalten Krieg. Die fünf weißen | |
Abhörkuppeln ragen wie zerfetzte Fußbälle in den blauen Himmel. | |
Amerikanische und britische Geheimdienstler horchten von dort mithilfe von | |
Parabolantennen weit in den Osten hinein. Vor knapp 20 Jahren gaben sie die | |
Anlagen auf. Die Touristen greifen instinktiv zu ihren Kameras und | |
fotografieren. "Früher war das Fotografieren verboten: Spionage!", sagt ein | |
älterer Mann, dem selbst eine schwere Spiegelreflexkamera um den Hals | |
hängt. | |
Die verlassene Abhörstation ist seit Jahren ein beliebter Ort - auch weil | |
das Betreten bisher illegal war. Zahlreiche Löcher im Drahtzaun sowie | |
Fotoserien und Erlebnisberichte im Internet zeugen von der Popularität der | |
Stätte. Seit Mitte Februar gibt es erstmals offizielle Führungen. Sie | |
dauern zwei Stunden, kosten 15 Euro pro Person und werden in mehr als sechs | |
Sprachen angeboten. Das Interesse ist dem Veranstalter Andreas Jüttemann | |
zufolge groß. Ein Imbisswagen hat sich bereits direkt vor dem Gelände | |
niedergelassen und Liegestühle aufgestellt. | |
Möglich wurden die Entdeckungstouren, weil eine Sicherheitsfirma die Ruine | |
kostenlos überwacht. Im Gegenzug erlaubt ihr der Eigentümer des Geländes, | |
die Führungen zu veranstalten. Den gleichen Service bietet die Firma auf | |
dem Spreepark-Gelände in Treptow. "Nehmen Sie die Kinder bitte an die Hand. | |
Die Anlage ist gefährlich, es gibt keine Brüstungen, es gibt Löcher im | |
Boden", sagt Berger. Bevor die Besucher die Anlage betreten dürfen, müssen | |
sie beim Sicherheitsdienst eine Erklärung unterschreiben, dass sie das | |
Gelände auf eigene Gefahr betreten. Ein kleiner Junge gerät in Panik: "Ich | |
will nicht mit!" Trotz guten Zuredens seitens der Eltern weigert er sich, | |
weiterzugehen. | |
Der Ort hat einen maroden Charme. Löcher klaffen in den Wänden der | |
ehemaligen Kantine, großflächige Graffiti prangen auf dem Beton. Die | |
Fenster sind eingeschlagen. Verrostete Stahlgerippe ragen aus der Erde, auf | |
dem Boden liegen Spraydosen und Müll. "Hinter uns liegen sieben Jahre | |
Vandalismus und Kupfer- und Metalldiebstahl", sagt Jüttemann. 2004 hat die | |
Stadt den Sicherheitsdienst auf dem Gelände eingespart. Viele der Besucher | |
zücken ihre Kameras und posieren vor eingeschlagenen Fenstern und | |
ausgeschlachteten Stromkästen und immer wieder innerhalb der weißen | |
Radarkuppeln auf dem Dach der Anlage. | |
Auch ein alter Spion nimmt am "Thementag Teufelsberg" teil. Der Amerikaner | |
Harry Pohlabel war Leiter der Aufklärungsanlage. Er hat schlohweißes Haar | |
und beschreibt sachlich, wie seine Mitarbeiter den Funk der Gegner | |
abhörten, mitschnitten und auswerteten. Ein paar Technikinteressierte | |
fachsimpeln mit ihm über Antennen und Reichweiten. Doch einige Fragen, ob | |
beispielsweise noch ähnliche Anlagen existieren, weist der pensionierte | |
Geheimagent zurück: "Dazu darf ich leider nichts sagen." Daraufhin werfen | |
sich die Besucher bedeutungsschwere Blicke zu. Pohlabel lächelt. | |
Nach einer halben Stunde Besichtigung beginnt der Abstieg, allerdings nicht | |
für alle: Ein Teil der Bergsteiger wandert lieber weiter durch den Wald. | |
Für den Rest soll es nach der Wanderung bei einer Podiumsdiskussion um die | |
Zukunft des Teufelsbergs gehen. | |
Was sollte hier nicht schon alles passieren: Der Berg zieht Menschen mit | |
großen Plänen offenbar geradezu magisch an. Eine Kölner | |
Investorengemeinschaft kaufte das Gebiet 1996 für den lächerlich niedrigen | |
Preis von 5,2 Millionen DM. Sie wollte ein Luxushotel samt Edel-Apartments | |
auf dem Trümmerberg bauen und ging pleite. Vor gut drei Jahren machte das | |
Gerücht die Runde, dass der Regisseur David Lynch mit der | |
Maharishi-Stiftung, eine Art Yoga-Sekte, eine vedische Friedensuniversität | |
auf dem Teufelsberg errichten wollte. Lynch legte selbst den Grundstein für | |
einen "Turm der Unbesiegbarkeit", aber mehr tat sich nicht. Das Gebiet ist | |
nach wie vor im Besitz der Investorengemeinde. Zudem ist das Areal seit | |
2004 als Waldgebiet ausgewiesen, größere Bauten dürfen nun nicht mehr | |
errichtet werden. | |
Zu Beginn der Diskussion erklärt Hartwig Berger die Forderung des Ökowerks. | |
Im Vergleich zu ehemaligen Visionen klingt sie bescheiden: Der Verein will, | |
dass das Grundstück für knapp zweieinhalb Millionen Euro zurückgekauft | |
wird. Dann sollen die Gebäude saniert, das Gebiet renaturiert und die Türme | |
als Gedenkstätte erhalten werden. Genaue Angaben über die Kosten kann | |
Berger nicht machen. | |
Auf dem Podium wiegelt Christian Gaebler, Kreisvorsitzender der SPD | |
Charlottenburg-Wilmersdorf, erst einmal ab: "Vor dem Rückkauf muss erst ein | |
konkreter Plan aller Beteiligten her." Dann verweist der SPD-Politiker auf | |
die Kosten: "Wer soll das zahlen?" Auch der zweite Diskutant, Wolfgang | |
Wieland, Bundestagsabgeordneter der Grünen, spricht sich für einen | |
konkreten Zukunftsplan aus. Beide Politiker betonen die "politische | |
Bedeutung des Bergs" und bekräftigen, die Abhörstation in jedem Fall als | |
Gedenkort erhalten zu wollen. Berlin könne sich keine | |
Geschichtsvergessenheit leisten, sagt Wieland und verweist auf den Palast | |
der Republik und seinen Abriss. So geht es eine Weile hin und her. Zum | |
Schluss rät Gaebler, erst einmal ein Forum zu gründen, in dem die | |
Investorengruppe, Bürgerinitiativen, Ökovereine und politische Vertreter | |
über Zukunftspläne des Berges verhandeln. Damit ist die Zukunftsdebatte | |
erst einmal verschoben. | |
Die Bürger haben sich die Vorschläge der Politiker geduldig angehört, viele | |
halten ein Forum immerhin für ein Diskussionsergebnis. Andere sind bereits | |
völlig daran gewöhnt, dass sich auf dem Teufelsberg seit fast 20 Jahren | |
nichts mehr tut. Die verlassene Abhörruine und der Trümmerberg erzeugen nur | |
wenig politischen Druck. Fast scheint es, als solle sich am Teufelsberg gar | |
nichts verändern. Als habe der Ort seine Bestimmung als vor sich hin | |
rottende Gedenkstätte längst gefunden. | |
19 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Laurence Thio | |
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Berlin | |
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