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# taz.de -- Bürgerkrieg in Libyen: "Ich will nur noch schlafen"
> Seit sechs Wochen steht Misrata unter Dauerbeschuss durch die Truppen
> Gaddafis. Das Krankenhaus der Stadt ist voll mit Schwerstverletzten, die
> Kraft der Ärzte schwindet.
Bild: Verletzte aus Misrata werden per Schiff nach Bengasi gebracht.
MISRATA afp | Mohammed windet sich in seinem Krankenbett, die Augen
geöffnet, doch bei Bewusstsein ist er nicht. Es ist auch fraglich, ob der
Zehnjährige jemals wieder zu sich kommt. "Die Kugel ist auf der linken
Seite seines Kopfes eingetreten und auf der anderen wieder herausgekommen",
sagt Abdul Kather Muktar, Arzt im Hauptkrankenhaus der libyschen Stadt
Misrata. Seit sechs Wochen steht die für die Aufständischen so wichtige
Küstenstadt im Westen nun schon unter Dauerfeuer der Truppen von Machthaber
Muammar el Gaddafi. Auf den Dächern lauern Scharfschützen, Raketen und
Streubomben fliegen. Die Rebellen leisten eisern Widerstand. Doch
allmählich schwindet ihre Kraft.
Die komplette Klinik ist mit Schwerstverletzten belegt, leichter Verwundete
werden nach einer kurzen Behandlung wieder weggeschickt. Die Zahl der
Verletzten mit Schusswunden an Kopf und Nacken stieg in den vergangenen
Tagen deutlich - ein Hinweis auf Scharfschützen. Wieder andere wurden Opfer
von Streumunition. Einem dreijährigen Mädchen wurde der Magen zerfetzt, als
sie von einem solchen Geschoss, das viele kleine Bomben freisetzt,
getroffen wurde.
Muktar und seine Kollegen amputieren derzeit ständig Gliedmaßen, um die
Verwundeten zu retten. Trotzdem sterben ihnen die Patienten unter den
Händen weg - denn in Misrata fehlen nicht nur Essen, Wasser und Treibstoff,
sondern auch Medikamente und die nötige medizinische Ausrüstung. Vielerorts
gibt es keinen Strom, sogar die insgesamt drei Krankenhäuser arbeiten
zwischendurch mit Notstromgeneratoren.
Seit dem Beginn der Kämpfe in Libyen sollen im ganzen Land bereits 10.000
Menschen getötet worden sein, von bis zu 55.000 Verletzten sprechen die
Rebellen. Chaled Abu Falgha, Verwalter des Hauptkrankenhauses von Misrata,
spricht von tausend Toten in der Stadt, 80 Prozent seien Zivilisten. Einen
Tag wie den vergangenen Sonntag, als 17 Menschen starben, bezeichnet er als
"ruhig".
## Schauplatz der Kämpfe ist die Tripolis-Straße
Misrata mit seinen derzeit noch 500.000 Einwohnern liegt nur 200 Kilometer
von Tripolis entfernt. Jeden Tag flüchten die Menschen in Massen vor der
Gewalt. Misrata ist die drittgrößte Stadt des Landes und die am weitesten
westlich gelegene große Stadt in der Hand der Rebellen. Folglich
verteidigen die Aufständischen den umkämpften Küstenort eisern.
Ein wichtiger Schauplatz der Kämpfe in Misrata ist die große
Tripolis-Straße, dort haben die Rebellen Barrikaden errichtet, um Gaddafis
Truppen fernzuhalten. In einer ehemaligen Druckerei hocken junge
Aufständische und spähen mit Spiegeln um die Ecke auf die Straße. Sie alle
waren vor der Revolte normale Zivilisten und nun tragen sie Jagdgewehre und
Kalaschnikows und versuchen, damit etwas gegen Gaddafis Bomben
auszurichten.
Besonders heikel auf der Tripolis-Straße ist das hohe Tameen-Gebäude, dort
sollen die Scharfschützen sitzen. "Von da aus sieht man ganz Misrata", sagt
der Arzt Mohammed. Er sitzt in einem Krankenwagen und Fahrer Hassan
schlängelt sich durch kleine Gassen, um die großen Straßen zu meiden. Jeden
Tag gibt es neue Krater auf Misratas Straßen. Mittlerweile dürfen die
Rettungskräfte Sonderrouten benutzen, die Hauptwege sind zu gefährlich und
durch die unebenen Straßen steigt die Gefahr, dass sich die Patienten in
den Krankenwagen noch zusätzlich verletzen.
Im Gegensatz zu anderen libyschen Städten in den Händen der Rebellen
scheint Misrata zwar relativ gut organisiert zu sein. Es gibt zahlreiche
Kontrollposten und die Disziplin unter den Aufständischen ist groß. Doch
der Stadt geht allmählich die Kraft aus. Die Rebellen fordern nun
ausländische Bodentruppen. "Sonst werden wir sterben", sagt Sprecher Nuri
Abdullah Abdullati. Auch der Arzt Mohammed ist im Dauereinsatz, die Bomben
und Raketen rauben ihm die so dringend benötigte Ruhe. "Ich will nur noch
schlafen", sagt er. "An irgendeinem Ort, an dem kein Krieg herrscht."
20 Apr 2011
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