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# taz.de -- "Il Manifesto" wird 40: "Wir sind nicht allein auf der Welt"
> Italiens einst starke Linke ist verschwunden - ihre Zeitung "il
> manifesto" überlebte im System Berlusconi und wird nun 40. Ein Gespräch
> mit Chefredakteurin Norma Rangeri.
Bild: Historisches Redaktionsfoto vor noch historischerem Gemälde: die Redakti…
taz: Frau Rangeri, als il manifesto 1971 erstmals als Tageszeitung
erschien, gab es in Italien die größte Kommunistische Partei des Westens,
mächtige Gewerkschaften und eine starke radikale Linke. Heute scheint von
alldem nichts mehr geblieben - außer il manifesto.
Norma Rangeri: In unserer Kopfzeile steht heute noch "quotidiano comunista"
- "Kommunistische Tageszeitung". Und in der Tat war die Kommunistische
Partei Italiens (KPI) bei unserem Entstehen gewissermaßen unser Gegenüber.
Wir wollten damals deutlich machen, dass man kommunistisch sein konnte,
ohne für die Sowjetunion einzutreten, ohne für den "real existierenden
Sozialismus" Partei zu ergreifen, dass man sich als Kommunist eine
libertäre Einstellung bewahren konnte.
Aus dieser Haltung heraus polemisierten wir gegen die KPI, der gegenüber
wir uns als Häretiker fühlten. Dann brach 1989 die Welt des real
existierenden Sozialismus zusammen - und für uns wurde es damit deutlich
komplizierter, eine "kommunistische Tageszeitung" zu sein.
Trotzdem halten Sie eisern an Ihrer Tradition fest.
Wir haben immer wieder diskutiert, ob wir den Namenszusatz streichen
sollen. Uns war das Gegenüber, an dem wir uns abarbeiteten,
abhandengekommen. Bisher haben wir uns aber für die Beibehaltung
entschieden, denn daraus ist so etwas wie eine Marke geworden, an der wir
sehr hängen. Auch wenn sich wirklich alles um uns herum geändert hat, das
globale Szenario und vielleicht noch mehr das italienische.
Seit fast 20 Jahren leben wir unter dem Berlusconi-Regime, das unser Land
nicht bloß politisch, sondern auch anthropologisch radikal verändert hat.
Heute haben wir mit Jugendlichen zu tun, die unter Berlusconi aufwuchsen,
die nur diese Kultur, dieses Fernsehen, diese Politik kennen. Und doch
haben wir gerade in den letzten Monaten wieder mächtige Protestbewegungen
erlebt, die all das sehr laut infrage stellen. Das gibt uns vom manifesto
das Gefühl, dass wir nicht allein auf der Welt sind, sondern immer noch wie
Fische im Wasser schwimmen.
Aber in Italien sind die Kommunisten nicht einmal im Parlament. Welchen
Sinn hat dann Ihr Kommunismus?
Wir sehen, dass die Welt gerade nach dem Ende der Blöcke heftigen
Erschütterungen ausgesetzt ist, egal ob wir von der globalen Krise sprechen
oder von Kriegen. Es gibt ein großes Bedürfnis, eine große Nachfrage nach
radikalem Wandel der Paradigmen. Dieser Kapitalismus hat sein brutales
Gesicht gezeigt. Ich denke da zum Beispiel an die Immigration - an die
Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Wir erleben eine Festung Europa, die
sich abschottet und die zum Spielball der Populismen wird. Dem halten wir
unseren Kommunismus als Idee der Humanität entgegen. Nicht als Ideologie,
sondern als Vorstellung von einem anderen Leben.
Sie wollten immer eine Zeitung sein, die Politik nicht bloß kommentiert,
sondern auch macht. Wie geht das heute, angesichts der Krise der radikalen
Linken?
Heute sind wir vielleicht wichtiger denn je, denn wir sind der Ort
geblieben, an dem alle aus der zerstrittenen und gespaltenen Linken
miteinander kommunizieren können. In Turin, in Bologna, in Florenz und
zahlreichen anderen Städten sind in letzter Zeit "Zirkel des manifesto"
entstanden, die zu Foren der offenen Diskussion zwischen verschiedenen
linken Stimmen geworden sind, die zugleich vor Ort wichtige Themen in die
Zeitung hineintragen - und die Initiativen zur Unterstützung von il
manifesto organisieren.
Wer liest Sie heute eigentlich noch?
Ich habe im Vorfeld unseres Jubiläums unsere Leser gebeten, uns in Briefen
zu erzählen, wie sie mit il manifesto in Kontakt geraten sind. Ein Großteil
derer, die antworteten, sind "historische Leser", Leute, die seit den
siebziger Jahren dem manifesto treu sind. Daneben haben wir aber auch die,
die erst viel später auf uns stießen - auch viele wirklich junge Leser.
Gemeinsam haben sie eine sehr hohe Bindung ans Blatt - auch die, die uns
nur dreimal die Woche kaufen, weil sie kein Geld haben, oder die, die uns
abonnieren, obwohl der Vertrieb nicht funktioniert und sie uns oft mit
einem Tag Verspätung kriegen.
Auch bei seinen Gegnern ist il manifesto hoch angesehen, und doch
schwächelt die Auflage der Zeitung seit Jahren. Warum?
Erst mal sind auch wir Opfer der generellen Zeitungskrise in Italien: Im
Vergleich zu 1945 ist die Druckauflage aller Titel gesunken - auf insgesamt
nicht einmal 5 Millionen. Und dieser Trend setzt sich gegenwärtig fort. Für
uns kommt außerdem die Krise der Linken hinzu. Eine Krise auch der
Hoffnungen, die am Glauben zweifeln lässt, dass sich etwas ändern könnte.
Das wirkt sich auch auf unsere Auflage aus.Und schließlich kommt das
Internet hinzu: Gerade junge Leute lesen uns dort.
Apropos: Wie arbeiten eigentlich die Generationen in der Redaktion
zusammen?
Die jüngeren Redaktionsmitglieder haben nicht die gleichen Erfahrungen in
politischen Bewegungen gemacht - und das ist nicht unbedingt ein Plus.
Zugleich sind sie freier von Ideologien, auch von vorgefertigten
Einstellungen. Das merken wir auch, wenn es um die aktuellen Bewegungen in
Nordafrika geht.
Wegen Ihrer Libyen-Berichterstattung drohten viele Leser in Briefen, ihr
Abo zu kündigen.
Es gab Leserbriefe von beiden Seiten. Die einen warfen uns vor, zu
Gaddafi-freundlich zu sein, die anderen, dass wir den Nato-Einsatz
unterstützten. Meine Linie ist, allen eine Stimme zu geben. Auch auf das
Risiko hin, zum vielstimmigen, alles andere als eindeutigen Chor zu werden.
So wurden wir zur einzigen linken Zeitung, in der es überhaupt eine echte
Debatte zum Thema gab.
Generell steht il manifesto klar links - und ist doch pluralistisch im
Inneren. Wie funktioniert das im Redaktionsalltag?
Wir haben kein Zentralkomitee. Keiner von uns beansprucht, das allein selig
machende Erfolgsrezept für die Linke in der Tasche zu haben. Wir versuchen,
gemeinsame Punkte herauszukristallisieren, aber das gelingt nicht immer.
Schon in der Frage, wie der Berlusconismus einzuschätzen und zu bekämpfen
ist, gibt es zum Beispiel ganz verschiedene Auffassungen. Wir hatten eine
sehr lebhafte Debatte darüber, wie man aus der aktuellen Pattsituation
herauskommen und Berlusconi vom Sockel stoßen kann - ob dazu ein nach
rechts offenes, sehr breites Bündnis bis hin zu Gianfranco Fini gesucht
werden muss. Viele von uns meinen das, andere sehen darin eine Verirrung
der Linken.
Und jetzt kommen die nächsten 40 Jahre für il manifesto?
Ob es uns in 40 Jahren noch gibt, steht in den Sternen. Wir stecken in
vielerlei Hinsicht in einer hässlichen Situation, egal ob wir von unserer
finanziellen Lage sprechen oder von der politischen Großwetterlage. Aber
jetzt feiern wir erst einmal.
## Am 28. April um 19 Uhr diskutieren im Berliner taz-Cafe Journalisten von
und . Thema: Wer braucht heute noch eine "kommunistische" Tageszeitung?
28 Apr 2011
## AUTOREN
Michael Braun
Michael Braun
## TAGS
Italien
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