# taz.de -- Bestechung unter Ärzten: Flugreisen, Autos oder Bares | |
> Wie oft bei Ärzten betrogen, bestochen oder falsch abgerechnet wird, | |
> können die Ermittler der Kassen kaum abschätzen. Selten können sie | |
> wirklich etwas tun. | |
Bild: Schwer nachweisbar: Bestechung unter Ärzten. | |
BERLIN taz | Bestechlichkeit und Bestechung zwischen Ärzten auf der einen | |
und Pharmafirmen, Apothekern, Sanitätshäusern, Rehazentren oder | |
Heilmittelherstellern auf der anderen Seite gehören seit Jahren zum Alltag | |
der Antikorruptionsermittler der Krankenversicherungen. Seit 2004 ist jede | |
Krankenkasse und jede Kassenärztliche Vereinigung (KV) als | |
Interessenvertreterin der rund 120.000 niedergelassenen Ärzte nach dem | |
Sozialgesetzbuch V verpflichtet, eine solche Task Force zur Ermittlung von | |
Fehlverhalten der verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem einzurichten. | |
Strafrechtlich relevante Verdachtsfälle müssen die internen Fahnder den | |
Staatsanwaltschaften melden. Standesrechtlich besteht die Möglichkeit, den | |
Ärzten bei besonders gravierendem Fehlverhalten die kassenärztliche | |
Zulassung zu entziehen. | |
Wie groß der Handlungsbedarf ist und wie schwierig die Ahndung | |
offensichtlicher Bestechung von Ärzten aufgrund der bislang unklaren | |
Gesetzeslage war, zeigt eine Umfrage der taz bei der AOK Niedersachsen, der | |
TKK in Hamburg und der KKH-Allianz in Hannover. Nachfolgend eine Auswahl | |
von Fällen der drei Kassen von 2010 und 2011, die aus | |
ermittlungstechnischen und datenschutzrechtlichen Gründen anonymisiert | |
wurden: | |
Ein Arzt verordnet gezielt bestimmte Medikamente einer bestimmten | |
Pharmafirma. Im Gegenzug finanziert ihm diese Firma den Besuch einer | |
Fachtagung in Chicago mit First-Class-Flug und Beiprogramm. Der Arzt kann | |
das Ticket auch in Business oder Economy umbuchen und das restliche Geld | |
einstecken. | |
Ein Arzt steuert Rezepte und Verordnungen über Hilfsmittel an ein | |
bestimmtes Sanitätshaus und erhält dafür einen Mietwagen, Flachbildschirme | |
und die Kosten für die Praxis-EDV. | |
Ein Arzt verordnet gezielt Medikamente einer bestimmten Firma. Die | |
"Kick-backs", also die Barbelohnungen für den Arzt, werden in der Schweiz | |
oder in Österreich auf den Namen eines Verwandten oder Bekannten | |
gutgeschrieben. Der Arzt erhält eine Bankkarte und kann das Geld in | |
Deutschland abheben. Er kann auch den "BAT-Tarif" ("Bar auf Tatze" - | |
Ermittlerjargon) nutzen. | |
## Geschäfte mit den Apotheken | |
Ein Arzt steuert Verordnungen bestimmter teurer Medikamente an eine | |
bestimmte Apotheke. Im Gegenzug finanzieren ihm die Apotheke und das | |
begünstigte Pharmaunternehmen eine Arzthelferin. In einem anderen Fall | |
erhält der Arzt von der Apotheke kostenlos einen BMW. Oder die Praxismiete. | |
Der Arzt verordnet gezielt bestimmte Hilfsmittel und bekommt im Gegenzug | |
Geld oder Geräte wie Laser oder MRT-Liegen, mit denen er wiederum | |
IGeL-Leistungen erbringt, Leistungen, die in Ermangelung eines | |
wissenschaftlichen Nutzennachweises von den Kassen nicht bezahlt werden, | |
sondern von den Patienten bezahlt werden müssen. Ein Arzt steuert die | |
Rezepte für Sprechstundenbedarf (Salben, Tropfen, Verbandsmittel) gezielt | |
an eine bestimmte Firma und erhält als Gegenleistung den Praxisbedarf | |
(Röntgengeräte, Reinigungsmittel, Ultraschallgel), den er eigentlich selbst | |
bezahlen muss, kostenlos. | |
Ein Arzt erhält pro Verordnung eines bestimmten Krebsmedikaments von dem | |
Produzenten eine Vergütung von 100 Euro, getarnt als Beraterhonorar oder | |
Anwendungsbeobachtungen. Ein Rehazentrum schreibt Ärzte, Betreff | |
"Verordnungspauschale", persönlich an und bietet ihnen 100 Euro für jeden | |
überwiesenen Patienten. Und: "Selbstverständlich steht Ihnen auch unser | |
Wellnessbereich kostenlos zur Verfügung." | |
Wie oft betrogen, bestochen oder falsch abgerechnet wird, kann nicht einmal | |
geschätzt werden. Betrug oder Bestechung, erklärt Frank Keller, ehemaliger | |
Polizist und Leiter der Stelle "Fehlverhalten im Gesundheitswesen" der | |
Techniker Krankenkasse in Hamburg, sind Kontrolldelikte. Das heißt, ein | |
Skandal kann nur dann bekämpft werden, wenn er überhaupt erkannt wird und | |
überprüfbar ist. | |
## 500 Millionen Verordnungen jährlich | |
Den Ermittlern liegen aber zunächst lediglich die Abrechnungsunterlagen für | |
Medikamente, Heilmittel, Therapien usw. vor - 500 Millionen Verordnungen | |
sind es bundesweit jährlich nach Angaben der Kassenärztlichen | |
Bundesvereinigung. Ihnen stehen bei gut ausgestatteten Kassen wie der TK | |
Task Forces mit 15 Mitgliedern gegenüber. | |
Die Datenflut, klagen viele Ermittler, sei erstens von EDV-Systemen kaum zu | |
erfassen. Zweitens sage sie noch nichts darüber aus, welche Abrechnung | |
möglicherweise aufgrund einer Vergünstigung zustande kam. Daran dürfte sich | |
auch nach dem BGH-Urteil wenig ändern: Das deutsche Gesundheitswesen, in | |
dem jährlich etwa 170 Milliarden Euro verteilt werden, ist ein System der | |
Selbstverwaltung; unter den Akteuren gilt der Vertrauensgrundsatz; das hat | |
sogar das Bundessozialgericht festgestellt. | |
Die Ermittler sind auf Tipps sogenannter Whistleblower angewiesen; oft sind | |
dies betrogene Ehefrauen, geschasste Arzthelferinnen, zerstrittene | |
Kompagnons oder einfach Konkurrenten, sagt Keller. Doch selbst wenn es gut | |
laufe, sei damit noch keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung, geschweige | |
denn eine richterliche Verurteilung garantiert, so die Ermittler von AOK, | |
KKH und TK, denn teils werde die Brisanz von den Juristen schlichtweg | |
verkannt. TK-Chefermittler Keller sagt: "Hilfreich wären Staatsanwälte, die | |
auf das Gesundheitswesen spezialisiert wären." | |
5 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Ärzte | |
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