# taz.de -- Debatte Israel: 63 Jahre ohne Frieden | |
> Eine Erfolgsgeschichte: Israel ist die Heimstatt der Juden geworden. Wenn | |
> sie weitergeschrieben werden soll, müssen Staat und Gesellschaft neue | |
> Wege gehen. | |
Bild: Schaumspiele am 63. Unabhängigkeitstag: Kinder spielen am Rabin Square i… | |
Der Staat Israel begeht seinen 63-jährigen Geburtstag. Die Zionisten haben | |
objektiven Grund, zu feiern. Die Bevölkerung hat seit der Staatsgründung um | |
das 10-Fache zugenommen. Bereits in den ersten zwei Jahren der Existenz | |
Israels nahmen die weniger als 700 000 Bewohner mehr als 1,4 Millionen | |
jüdische Flüchtlinge aus den arabischen Ländern sowie Holocaustüberlebende | |
aus Europa auf und erfüllten damit das Prinzip des Zionismus, Asyl für die | |
verfolgten Hebräer in aller Welt zu sein. Dies geschah freilich um den | |
Preis der Vertreibung hunderttausender arabischer Einheimischer. | |
Die Israelis haben eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Die Wirtschaft des | |
Landes hat sich vom Orangenexporteur zum Hightech-Zentrum entwickelt. Zion | |
gibt pro Kopf der Bevölkerung weltweit die meisten Mittel für Forschung und | |
Bildung aus, seine Hochschulen promovieren die relativ größte | |
Ingenieurszahl. Das Gesundheitssystem des Landes zählt zur Weltspitze, die | |
Lebenserwartung liegt in der globalen Führungsgruppe, in keinem arabischen | |
Land werden Araber so alt wie in Palästina. | |
Israel verfügt über eine vitale Demokratie, die Presse ist frei und | |
respektlos, die Justiz unabhängig: Staatsanwälte und Richter zögern nicht, | |
selbst Regierungschefs und Staatspräsidenten wegen Korruption und | |
Sexualdelikten anzuklagen und zu verurteilen. Das israelische Kulturleben | |
ist vielfältig, das Bevölkerungszentrum Tel Aviv gilt weltweit als hip. | |
Also Friede, Freude und Schalom? | |
## Die Zukunft des Zionismus | |
Keineswegs. Die Israelis, ob Juden oder Araber, Religiöse oder Säkulare, | |
Nationalisten oder Friedensbewegte, sind sich einig, dass es so nicht | |
weitergeht. Über den zukünftigen Kurs des Staats wird erbarmungslos | |
gestritten. Kernfrage ist die Zukunft des Zionismus. Die Prämisse des | |
Gründers des politischen Zionismus, des Wieners Theodor Herzl (1860-1904): | |
"Ein Volk ohne Land für ein Land ohne Volk", war falsch, wie Herzl sich | |
bereits 1898 beim Besuch der osmanischen Provinz überzeugen konnte. Hier | |
lebten viele Araber - und wenige Juden. | |
Der Fantast Herzl meinte dagegen, die Besiedlung des Landes durch die Juden | |
werde auch der einheimischen arabischen Bevölkerung einen zivilisatorischen | |
Schub verleihen. Die semitischen Vettern, Juden und Araber, würden | |
voneinander profitieren. Als das Palästina-Projekt wegen des Widerstands | |
der Osmanen nicht weiterkam, schlug der areligiöse Herzl als staatliche | |
Brückentechnologie eine jüdische Besiedlung Ugandas vor. Doch damit mochten | |
sich die gläubigen Juden Osteuropas nie und nimmer abfinden. Für sie war | |
und bleibt Zion das alleinige Ziel ihrer Sehnsüchte. Herzl musste | |
nachgeben: also doch Palästina in Kooperation mit den Arabern. Aber diese | |
mochten schon damals nicht. | |
## Gründung mit Gewalt | |
Der Illusion und Propagandalüge von der zionistisch-arabischen Eintracht | |
bereitete Wladimir Jabotinsky (1880-1940) ein Ende. "Die Araber lieben ihre | |
Heimat mindestens so sehr, wie wir Juden Erez Israel begehren. Wenn wir | |
unseren Staat dort gründen wollen, müssen wir dies mit Gewalt tun!" Diese | |
Offenheit trug ihm die Feindschaft der etablierten Zionisten ein. | |
Jabotinsky zog die Konsequenzen und gründete die zionistischen | |
"Revisionisten". Deren Adepten sind unter anderem der ehemalige | |
Ministerpräsident Menachem Begin und der heutige Amtsträger Benjamin | |
Netanjahu. | |
Die ersten drei Jahrzehnte nach der Staatsgründung am 14. Mai 1948 gaben | |
freilich die Sozialisten mit David Ben-Gurion den Ton an. Ben-Gurion, | |
Ministerpräsident bis 1963, erlag der eigenen Propaganda. Er schwankte | |
zwischen Friedenshoffnung und Untergangsangst. Die arabischen Staaten | |
dachten indessen nicht daran, Israels Existenzrecht anzuerkennen. Die Folge | |
waren ständige Kriege und Grenzgefechte. | |
Israels größter militärischer Triumph im Sechstagekrieg von 1967 zog daher | |
zugleich seine ärgste politische und ethische Katastrophe nach sich. Die | |
Vereinigung Jerusalems unter israelischer Herrschaft, die Besetzung des | |
Westjordanlands, des Sinai sowie der Golanhöhen stachelten den Widerstand | |
der arabischen Länder weiter an, statt sie, wie von Zion erhofft, | |
friedensbereit zu stimmen. Hinzu kam, dass die Palästinenser unter Jasser | |
Arafats Führung ihren militärischen Untergrundkrieg vermehrt durch | |
systematische politische Aktionen auf internationaler Ebene begleiteten. | |
Die politische Kampagne gegen den Zionismus war überaus erfolgreich. Nicht | |
zuletzt weil die Israelis in den besetzten Gebieten Siedlungen errichteten. | |
Im November 1975 stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen einer | |
Resolution zu, die "Zionismus als Rassismus" brandmarkte. Dies empfanden | |
die Israelis, aber auch die meisten Juden in der Diaspora, deren Angehörige | |
Opfer des tödlichen Rassismus der Nazis gewesen waren, als Verhöhnung. Die | |
Selektion jüdischer Flugpassagiere einer Air-France-Maschine durch deutsche | |
Terroristen 1976 in Entebbe, die Tatenlosigkeit der Staatengemeinschaft und | |
ihre Befreiung durch Israel schweißten Zion und die Diaspora enger | |
zusammen. | |
Den ab 1977 zumeist regierenden Revisionisten gelang 1979 der erste | |
Friedensvertrag mit Ägypten. Allerdings unter diametral entgegengesetzten | |
Prämissen. Ägyptens Präsident Sadat sah Zions Rückzug aus Sinai als ersten | |
Schritt. Israels Begin schloss weitere Räumungen aus. | |
## Nächster Krieg absehbar | |
Heute ist Premier Netanjahu bereit, einen Staat Palästina an Israels Seite | |
zu akzeptieren. Die Palästinensische Autonomiebehörde wiederum fordert die | |
Räumung aller jüdischen Siedlungen. Doch die islamistische Hamas, bald | |
wieder Teil der palästinensischen Regierung, hält, ebenso wie Irans | |
Präsident Ahmadinedschad, unbeirrbar an ihrem Ziel fest, Zion | |
"auszulöschen". | |
Israel muss die einsetzende Demokratisierung Arabiens als Chance zur | |
Entschärfung des Konflikts nutzen. Eine Friedenslösung muss die | |
gegenseitige Anerkennung und die Räumung der israelischen Siedlungen sowie | |
internationale Garantien beinhalten, ansonsten ist der nächste | |
arabisch-israelische Krieg absehbar. Für Israel ist der Friede auf Dauer | |
existenziell. | |
10 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Rafael Seligmann | |
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