# taz.de -- Sprachgutachterin über Guttenbergs Plagiat: "Wer kann es gewesen s… | |
> Klar könnte man herausfinden, ob Karl-Theodor zu Guttenberg einen | |
> Ghostwriter hatte, sagt die Sprachgutachterin Gudrun Müller. Seit 20 | |
> Jahren schon analysiert sie Texte für Gerichtsprozesse. | |
Bild: Noch ist nicht geklärt, wer Guttenbergs Doktorarbeit zusammengestellt ha… | |
taz: Frau Müller, die Universität Bayreuth hat erklärt, dass Karl-Theodor | |
zu Guttenberg bei seiner Doktorarbeit absichtlich getäuscht hat, wollte | |
sich aber nicht dazu äußern, ob es einen Ghostwriter gab. Denken Sie als | |
linguistische Gutachterin, dass er die Arbeit selbst geschrieben hat? | |
Guxdrun Müller: Ich weiß nicht, ob bei der Doktorarbeit von Herrn zu | |
Guttenberg wirklich ein Ghostwriter am Werk war oder ob es nicht doch eher | |
ein zusammengestoppeltes Projekt ist. Es gibt in der Arbeit einen sehr | |
gehobenen, ja gelehrten Stil, der sehr schwungvoll und in sich schlüssig | |
ist. Und dann gibt es zwischendurch immer wieder Stilbrüche. Wo er fast ins | |
Umgangssprachliche abzudriften droht. Deshalb wäre es natürlich interessant | |
zu gucken: Wie schreibt Guttenberg denn in einer Klausur? | |
Aber Sie könnten herausfinden, ob er einen Ghostwriter hatte? | |
Ja klar, das ist unser täglich Brot, oder sagen wir, nur die Spitze des | |
Brotberges. Selbstverständlich lässt sich eine sprachwissenschaftliche | |
Analyse durchführen, sofern ausreichend authentisches Vergleichsmaterial | |
des Herrn zu Guttenberg vorliegt. | |
Wenn es denn so einfach wäre, warum hat es noch keiner gemacht? Der | |
politische Gegner hat doch sicher ein Interesse, aufzudecken, ob es einen | |
Ghostwriter gab. | |
Im Moment reicht ja schon der Einwurf einer pseudoneuen Erkenntnis und das | |
Thema Plagiatsaffäre ist wieder aktuell. In dem Augenblick, wo eindeutig | |
entschieden ist, es war ein Ghostwriter oder es ist zwar plagiiert, aber es | |
war Herr zu Guttenberg selbst, ist die Diskussion erst mal beendet. So wie | |
die Dinge momentan stehen, kann man das Thema immer schön bei halber | |
Temperatur köcheln und bei Bedarf nochmal richtig aufbrodeln lassen. Das | |
ist natürlich auch ein politisches Instrument. Das ist Stimmungsmache und | |
hat wenig mit Klarheit und mit Entschlusskraft zu tun. | |
Wurden sie schon von Journalisten kontaktiert, die ein Gutachten in Auftrag | |
geben wollten? | |
Einen Auftrag hat mir noch keiner erteilt. Mich erstaunt immer wieder, dass | |
Journalisten nur an der Oberfläche bohren. Auf der einen Seite belauern sie | |
alle, die in dem Thema Sachverstand zeigen können, auf der anderen Seite | |
will niemand wirklich so ein Grundsatzprojekt in Gang bringen. Da vermisse | |
ich auch, dass mal eine Zeitung sagt: Geringe Budgetierung hin oder her, | |
das ist es uns wert und wir lassen das systematisch untersuchen. | |
Wie hoch ist der Anteil von Ghostwriting-Fällen an Ihrer Arbeit? | |
Ungefähr 30-40 Prozent unserer Arbeit besteht darin, Ghostwriting im | |
weiteren Sinne aufzudecken. Der Rest sind anonyme Schreiben, Drohbriefe | |
oder auch die Verbreitung von Diffamierungen jedweder Art. Da sind der | |
menschlichen Phantasie keine Grenzen gesetzt. | |
Sie sprechen von Ghostwriting im weiteren Sinne. Sind die Fälle denn nicht | |
immer eindeutig? | |
Man bewegt sich bei dem Thema schnell in einer Grauzone. Ghostwriting muss | |
nicht immer eine Sache sein, die wirklich gegen bares Geld läuft oder über | |
eine Firma, die sich als Ghostwriter-Fabrik ausgeschrieben hat. Es gibt | |
auch Abhängigkeitsverhältnisse, die zu einem entsprechenden Deal führen | |
können. Wenn zum Beispiel jemandem in Aussicht gestellt wird, ein | |
bestimmtes Amt zu bekleiden. Dann ist da natürlich noch die Frage: Wer kann | |
es gewesen sein? Es ist ja vollkommen legitim, wenn ich meine Arbeit meiner | |
Großmutter vorlege und frage: „Sag mal Oma, ist das denn verständlich | |
geschrieben?“ und sie geht dann nochmal stilistisch drüber. | |
Wie viel müsste ich denn bezahlen, wenn ich meine Doktorarbeit von jemandem | |
schreiben lassen wollte? | |
Sie kriegen unter Umständen schon ab 2.000 Euro eine ganz akzeptable | |
Doktorarbeit von jemand anderem vorgeschrieben. Das geht dann hoch bis | |
schätzungsweise 8.500 Euro. Seminararbeiten und Diplomarbeiten gibt es | |
schon sehr, sehr viel preiswerter. | |
Was würden Sie benötigen, um ein Gutachten über die Doktorarbeit von | |
Karl-Theoder zu Guttenberg erstellen zu können? | |
Entscheidend wäre es, umfangreiche Vergleichstexte zu haben. Drei bis vier | |
wären ganz gut. Das müssten im Rahmen des akademischen Kontextes verfasste | |
Arbeiten sein. Essays oder Seminararbeiten, bei denen man sicher sagen | |
kann, er hat sie selber geschrieben hat. Noch schöner wären Klausuren, bei | |
denen man sieht, wie er gerade auch unter Stress selber formuliert. Dann | |
könnte man sehen, was seine Wendungen und Gedankengänge sind. Jeder hat | |
einen ganz charakteristischen Stil, hat Lieblingswörter und | |
Lieblingssatzkonstruktionen. Gerade bei Politikern ist es oft schwer | |
nachzuweisen, was jemand selbst geschrieben hat, denn fast alles ist durch | |
mehrere Instanzen gelaufen. Beim Redenschreiben etwa hat man ja das | |
Plagiieren schon zum legalen Übel erklärt. | |
Besteht die Gefahr, dass man den Stil eines Politikers irgendwann mit dem | |
des Ghostwriters verwechselt? | |
Ja. Zum Teil merkt man ja auch, wenn die Redenschreiber von Politikern | |
wechseln. Es schleicht sich plötzlich ein anderer Duktus ein. Das wird dann | |
häufig falsch interpretiert und man denkt sich: „Huch, jetzt ist er aber | |
schwungvoll geworden!“ oder man denkt, er ist langsamer, behäbiger | |
geworden. Wir schreiben das schnell der Persönlichkeit des Politikers zu, | |
weil wir immer Sprache und Denken äquivalent setzen. | |
Wie sehen Ihre ersten Arbeitsschritte in einem Ghostwriting-Fall aus? | |
Normalerweise arbeite ich zuerst die Vergleichstexte durch und schaue, wie | |
sie sprachlich-stilistisch erscheinen. Ich gucke, ob jemand großzügig | |
schreibt und nicht am Papier spart, ob er sehr dicht formuliert, ob er | |
Metaphern und Vergleiche gebraucht oder eher dem wissenschaftsverliebten | |
Sprachgebrauch verbunden ist. Dann geht es natürlich um die Inhalte. Gibt | |
es ein Leitmotiv und eine bestimmte Abwägung der Argumente? Man schaut auch | |
nach, ob es ein typisches Fehlermuster gibt. Wenn das plötzlich wechselt, | |
ist das ein guter Indikator dafür, dass der Schreiber gewechselt hat. | |
Ändern sich die Sprachmuster nicht? Ich werde doch in 20 Jahren anders | |
schreiben als heute. | |
Ja, aber wenn Sie nicht sehr schwer an sich arbeiten, ist das eher eine | |
leichte Veränderung. Grundsätzlich anders wird Ihre Schreibweise nicht, und | |
man wird Ihnen immer noch das ein oder andere Merkmal zuschreiben können. | |
In dem Augenblick wo sie auf den Inhalt konzentriert sind, achten sie nicht | |
mehr so sehr auf die Art und Weise, wie sie schreiben. Das bedeutet, sie | |
geben auch etwas von sich selbst preis. Bis zur Vollendung des 24. | |
Lebensjahres schlagen sich bestimmte sprachliche Muster nachhaltig nieder. | |
Das Sprachprofil, das man am Ende ausbildet, kann man nicht so exakt | |
bestimmen, wie bei einem Fingerabdruck. Aber man kann es mit einem | |
Traktorreifenabdruck im Schnee vergleichen. Man kann unterscheiden, ob das | |
ein Motorrad war oder ein Traktor, der da durch den Schnee gebrettert ist | |
und man kann auch die Profiltiefe erkennen. | |
Sagt die Art, wie jemand schreibt, viel über dessen Persönlichkeit aus? | |
Ich kann zum Beispiel schon erkennen, ob jemand ein Machtmensch ist und ob | |
er in einem sehr kommandolastigen Elternhaus sozialisiert wurde. Vielleicht | |
ist es jemand, der Imperative gerne selbst verwendet, sich dessen aber | |
bewusst ist und sie daher abschwächt. Dann schreibt er nicht im | |
Kasernenhofton „Hör mir endlich mal zu!“ Sondern benutzt eher | |
Formulierungen wie: „mal Pause machen!“. Es ist also jemand, der versucht, | |
seinen eigenen Stil zu verschleiern, nachdem er ihm gewahr geworden ist. | |
Analysieren Sie eigentlich auch ihre eigene Sprache? | |
Ganz schrecklich! Ich bin viel zu langatmig, viel zu ausschweifend, mir | |
gehen immer ganz viele Sachen durch den Kopf. Mir wird immer wieder klar, | |
dass ich das alles viel kürzer hätte fassen können und dass ich das | |
sprachlich pointierter, minimierter hätte ausdrücken sollen. Ich bin also | |
bei mir selbst ganz streng und kann das meiste überhaupt nicht leiden. | |
15 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Fischer | |
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