| # taz.de -- Matthias Kirschner zu Linux und Co.: "Die Kosten sind wichtig" | |
| > Bei Endanwendern sind geschlossene Systeme wie Windows und MacOSX weiter | |
| > beliebter als Linux-Systeme, sagt Freie-Software-Aktivist Kirschner. | |
| > Googles Betriebssystem ist auch keine Lösung. | |
| Bild: Niedlich-nerdiges Linux-Wappentier Tux, gesehen am Europäischen Parlamen… | |
| taz.de: Herr Kirschner, in Berlin ist gerade [1][der 17. LinuxTag] zu Ende | |
| gegangen. Seit 20 Jahren gibt es Linux und damit auch ein ganzes | |
| Betriebssystem, das auf freier Software basiert. Wo ist freie Software | |
| heute – ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen oder weiterhin | |
| eher etwas für Computer-Profis? | |
| Matthias Kirschner: Heute hat jedes Unternehmen und jede öffentliche | |
| Verwaltung freie Software im Einsatz. Zu Hause setzt auch fast jede | |
| AnwenderIn freie Software ein, ob das nun Firefox, Thunderbird, Open | |
| Office/Libre Office, Inkscape oder z.B. die Videoabspielsoftware VLC ist. | |
| Diese Programme können einfach von jedem installiert und benutzt werden. | |
| Allerdings ist freie Software noch nicht vollständig in der Mitte der | |
| Gesellschaft angekommen. Selbst mit fast 30 Jahren ist dieses | |
| gesellschaftliche Thema noch zu jung. Dafür müssen noch mehr Menschen | |
| verstehen, dass es bei freier Software um wichtige und notwendige | |
| Freiheiten geht. | |
| Werden freie Betriebssysteme irgendwann auf dem Heim-PC ankommen? Oder ist | |
| diese Vorstellung illusorisch? | |
| Heute ist es schon viel einfacher als noch vor 10 Jahren, freie | |
| Betriebssysteme wie [2][Debian], [3][Fedora], [4][OpenSuse] oder | |
| [5][Ubuntu] zu installieren. Allerdings ist die nachträgliche Installation | |
| immer noch ein Mehraufwand. Daher wird die Verbreitung stark ansteigen, | |
| wenn freie Betriebssystem vorinstalliert auf Heim-PCs gekauft werden | |
| können. Wenn wir vom Heim-PC weggehen, ist freie Software, beispielsweise | |
| bei DSL-Routern, Videorekordern oder Fernsehapperaten bereits auf Millionen | |
| von Geräten von Anfang an installiert. | |
| Google hat gerade mit den "Chromebooks" billige Laptops [6][vorgestellt], | |
| die grundlegend auf Linux basieren. Ist das Ihrer Meinung nach ein Erfolg | |
| für die Szene? | |
| Nein. Für die Free-Software-Szene ist es wichtig, dass jeder Anwender | |
| selbst die Kontrolle über seine Software hat. Mit Computern wie den | |
| Chromebooks können Sie nur schwer eigene Software installieren und haben | |
| sehr wenig Einfluss darauf, was diese Software macht und was mit den Daten | |
| passiert. | |
| Mittlerweile haben sich auch andere Hybriden entwickelt, die geschlossenen | |
| Code mit freier Software kombinieren. Googles Android ist das beste | |
| Beispiel: Die Grundlagen sind zwar offen, doch wenn es um die wichtigen | |
| Google-Anwendungen, weswegen viele Nutzer zugreifen, geht, gehören die dem | |
| Konzern allein. Kann "frei" und "geschlossen" parallel existieren? | |
| Freie Software und unfreie Software können parallel betrieben werden. Es | |
| gibt ja auch viel freie Software, die man auf unfreien Betriebssystemen | |
| nutzen kann – beispielsweise Firefox oder das erwähnte VLC, die neben dem | |
| freien Linux auch auf geschlossenen Betriebssystemen wie Microsofts Windows | |
| oder Apples MacOSX laufen. Auf lange Sicht wird sich jedoch freie Software | |
| gegen unfreie Software durchsetzen, davon bin ich überzeugt. Schon weil | |
| solche Software die privaten und geschäftlichen Anwender in den Mittelpunkt | |
| stellt und deren Position gegenüber den Interessen von Software-Anbietern | |
| stärkt. | |
| Die FSFE vertritt in Sachen Open-Source-Lizenzen eher eine "harte" Linie, | |
| das heißt, der Freiheitsgedanke soll sich möglichst verbreiten, ein freies | |
| Produkt frei bleiben, anstatt dass über andere Lizenzmodelle wieder | |
| geschlossener Code entsteht. Kann das in einer kommerziell orientierten | |
| Welt funktionieren? | |
| Das kann nicht nur funktionieren – das funktioniert schon. Unabhängig vom | |
| gesellschaftlichen Aspekt ist kommerzielle Nutzung bei freier Software | |
| immer erlaubt und wir ermutigen Unternehmen explizit dazu, mit freier | |
| Software Geld zu verdienen. Des Weiteren garantiert freie Software immer | |
| auch Wettbewerb im Softwarebereich und bewahrt Anwender vor den | |
| Dienstleistungsmonopolen, die bei unfreier Software zwangsläufig entstehen. | |
| Sie hatten es erwähnt – Linux steckt mittlerweile fast überall, vom | |
| Internet-Router über den Fernseher bis zum Haushaltsgerät. Ist das der | |
| Beweis dafür, dass solch offenen Systemen die Zukunft gehört? | |
| Ja. Die Freiheit, dass jeder die Software verändern und an die eigenen | |
| Bedürfnisse anpassen darf, führt dazu, dass es immer mehr Geräte gibt auf | |
| denen freie Software wie GNU/Linux läuft. Wichtig ist jedoch, dass solche | |
| Möglichkeiten, die die Gerätehersteller selbst haben, auch beim Anwender | |
| ankommen. Manche Hersteller verhindern das mit Hilfe von rechtlichen | |
| Einschränkungen oder digitalem Rechtemanagement (DRM), das ich eher als | |
| digitale Rechteminderung bezeichnen würde. | |
| Manche Beobachter sagen, die Linux-Verbreitung hätte schlicht damit zu tun, | |
| dass es für Gerätehersteller billiger ist, als zu einem kommerziellen | |
| Betriebsystem zu greifen. | |
| Ja, die Kosten sind hier auf jeden Fall wichtig. In vielen Märkten, in | |
| denen sich freie Betriebssysteme durchsetzen, ist der Preiskampf besonders | |
| hart. Bei freier Software fallen keine Lizenzgebühren pro verkauftem Gerät | |
| an, daher sind die Kosten besser zu kalkulieren. Die Hersteller haben | |
| Fixkosten, um die Software einmal für das Gerät anzupassen. Die Kosten | |
| erhöhen sich jedoch nicht, egal ob später 10 Geräte oder 10 Millionen | |
| verkauft werden. Daneben sparen Hersteller beim Entwicklungsaufwand. Sie | |
| können bereits existierende stabile und gut getestete freie Software | |
| miteinander kombinieren, auf die speziellen Anforderungen für das Gerät | |
| anpassen und damit kommerziell nutzen. Daher ist es nicht notwendig, | |
| Unmengen von Entwicklern damit zu beschäftigen, für jedes Gerät das Rad neu | |
| zu erfinden. | |
| Im Bundesaußenministerium ist ein großangelegtes Open-Source-Projekt | |
| [7][gerade gescheitert] – mit recht merkwürdigen Begründungen. Da wurde | |
| unter anderem gesagt, die Pflege sei schwer, es komme zu | |
| Inkompatibilitäten. | |
| Die Begründungen zeigen entweder große Unkenntnis über freie Software oder | |
| es wurden fadenscheinige Argumente gegen den Einsatz gesucht. Die Probleme | |
| im Auswärtigen Amt haben nichts mit freier Software zu tun. Die Fehler | |
| resultieren aus einem mangelhaften IT-Projektmanagement. Diese hätte es mit | |
| jeder Umstellung auf eine andere Software gegeben. Nach der neuen Antwort | |
| des Auswärtigen Amtes sieht es auch so aus, als ob die Behörde in den | |
| letzen Jahren nur noch Ausreden gesucht hat, statt ernsthaft zu versuchen, | |
| die Mitarbeiter in die Umstellung einzubinden und die Probleme zu beheben. | |
| Was bedroht Linux und Co. mehr – die Usurpation durch Google und Co. oder | |
| geschlossene Modelle, wie sie beispielsweise Apple verfolgt? | |
| Apple nimmt dem Anwender alle Freiheiten und packt ihn in einen goldenen | |
| Käfig. Google benutzt und fördert viel freie Software, gibt jedoch diese | |
| Freiheiten oft nicht an den Anwender weiter. | |
| Die große Herausforderung ist, dass auch Menschen, die sich nicht für | |
| Computer interessieren, mit den politischen, gesellschaftlichen und | |
| wirtschaftlichen Aspekten freier Software auseinandersetzen. Es geht hier | |
| darum, dass wir Freiheiten, die wir in unserer Gesellschaft für | |
| selbstverständlich erachten, weiterhin ausüben können. Und auch Unternehmer | |
| müssen erkennen, dass sie mit dem Einsatz freier Software ein Stück | |
| unternehmerische Freiheit zurückerlangen können. Wenn dieses Bewusstsein in | |
| der Gesellschaft vorhanden ist und Anwender die Freiheiten aktiv | |
| einfordern, werden sich letztlich selbst große Unternehmen wie Apple oder | |
| Google dem beugen müssen. | |
| 16 May 2011 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.linuxtag.org/2011/ | |
| [2] http://www.debian.org/ | |
| [3] http://fedoraproject.org/ | |
| [4] http://www.opensuse.org/de/ | |
| [5] http://www.ubuntu.com/ | |
| [6] /1/netz/netzoekonomie/artikel/1/google-will-microsoft-kunden-abjagen | |
| [7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Auswaertiges-Amt-Windows-7-und-MS-Of… | |
| ## AUTOREN | |
| Ben Schwan | |
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