# taz.de -- Freie Software in Ministerien: "Eine Studie nach der anderen" | |
> Das Auswärtige Amt will das Betriebssystem Linux von den Hausrechnern | |
> entfernen. Matthias Kirschner von der Free Software Foundation Europe zur | |
> Frage, ob freie Software in der Krise ist. | |
Bild: Sie versteht die Nutzung: Linux-Nutzerin mit dem Maskottchen. | |
taz.de: Herr Kirschner, das Bundesaußenministerium galt bislang als | |
Paradebeispiel für eine staatliche Stelle, die von Windows in Richtung | |
Open-Source-Software wechselte - und das mit nahezu allen Mitarbeitern. Nun | |
will die IT-Abteilung wieder zurückkehren zu einem Microsoft-Produkt. Was | |
ist da schiefgelaufen? | |
Matthias Kirschner: Das können wir noch nicht genau sagen. Erst die | |
[1][kleine Anfrage der SPD] brachte den Fall überhaupt in die | |
Öffentlichkeit. Die [2][Antwort der Bundesregierung] und selbst die letzte | |
Woche auf Netzpolitik veröffentlichten [3][internen Dokumente] werfen mehr | |
Fragen auf, als sie beantworten. Klar ist: Der politische Wille, die | |
Freie-Software-Strategie beizubehalten, ist nicht stark genug. | |
Aus dem Auswärtigen Amt ist zu hören, dass der Frust der Mitarbeiter einer | |
der Hauptgründe des Wechsels zu Windows sein soll. Glauben Sie, dass das | |
stimmt? Ist Open-Source-Software nicht nutzerfreundlich genug? | |
Ich kann mir gut vorstellen, dass das stimmt. Aber was wurde gemacht, um | |
das Problem zu lösen? Die Organisationsuntersuchung empfahl dem Auswärtigen | |
Amt, die Mitarbeiter besser in die Datenmigration einzubinden und ihnen | |
besser zu erklären, warum sie den Umgang mit neuer Software lernen sollen. | |
Mit den bisherigen Informationen bezweifele ich, dass diese Empfehlung | |
umgesetzt wurde. | |
Generell hat die Benutzbarkeit einer Software nichts damit zu tun, ob sie | |
freie Software oder unfreie Software ist. Es gibt auf beiden Seiten gut zu | |
bedienende Programme und weniger gut zu bedienende. Die meisten der Nutzer | |
werden keine Probleme mit freien Webbrowsern wie Mozilla Firefox oder | |
Google Chromium, dem freien E-Mail-Programm Mozilla Thunderbird oder der | |
Videolösung VLC haben. Werden Anwender jedoch dazu gezwungen, veraltete | |
Versionen dieser Programme bei ihrer täglichen Arbeit zu benutzen, dann | |
führt das zu Recht zu Verärgerung. Was dann hilft, ist eine Anpassung oder | |
Aktualisierung der Software und nicht der Rückschritt zu einer ebenfalls | |
alten Version des zudem unfreien Internet Explorers. | |
Linux-Derivate wie beispielsweise Ubuntu sind speziell darauf optimiert, | |
für Einsteiger geeignet zu sein. Wurde vielleicht die falsche freie | |
Software verwendet? | |
Nein, das ist nicht das Problem. Das Auswärtige Amt verwendet primär Debian | |
GNU/Linux. Sie kann, wie jede freie Software, sowohl vom Auswärtigen Amt | |
selbst als auch von jedem beliebigen Software-Unternehmen an die | |
Bedürfnisse der Benutzer angepasst werden. Ubuntu selbst entstand ja als | |
Anpassung von Debian GNU/Linux. | |
Es sieht aber so aus, als ob die Ressourcen im Außenamt im letzten Jahr | |
dafür verwendet wurden, eine Studie nach der anderen zum Thema in Auftrag | |
zu geben. Warum wurden 80.000 Euro für eine zweite Studie ausgegeben und | |
nicht dafür, bereits bekannte Probleme der Anwender zu lösen? | |
Zu den Kritikpunkten gehörte, dass das, was an Dokumenten aus den | |
Open-Source-Programmen kam, nicht "interoperabel" mit den Rechnern in den | |
anderen Bundesbehörden gewesen sei. Verstehen Sie das Argument? | |
Nein. Viele Software-Unternehmen machen es den Anwendern schwer, ihre Daten | |
mit Software der Konkurrenz problemlos bearbeiten zu können. Wenn Sie zum | |
Beispiel ein Microsoft-Word-Dokument bekommen, dann benötigen Sie oftmals | |
ebenfalls Microsoft Word und oft dazu noch genau dieselbe Version, um die | |
Datei fehlerfrei betrachten und bearbeiten zu können. Solche Unternehmen | |
wollen, dass möglichst viele Menschen ihre Software verwenden und damit, | |
wie Microsoft, ein Monopol errichten. | |
Wenn die Bundesregierung allerdings schon so stark abhängig ist, dass das | |
Auswärtige Amt wieder glaubt, erneut Microsoft Office einsetzen zu müssen, | |
statt die Interoperabilitäts-Probleme zu beheben, gräbt sie sich nur ein | |
noch tieferes Loch der Abhängigkeit, aus dem sie nie wieder herauszukommt. | |
Kritisiert wurde ebenfalls der notwendige Schulungsbedarf. | |
Neue Software bringt immer den Bedarf für Schulungen mit sich. Das ist bei | |
proprietärer Software nicht anders als bei Freier Software: Beispielsweise, | |
wenn eine neue Programmversion Änderungen für den Nutzer bringt, wie die | |
sogenannten "Ribbons" bei Microsoft Office 2010. | |
Im Moment werden die Schulungskosten für unfreie Software meist von den | |
Bundesländern vom Bildungsbudget getragen. Schüler erhalten eine | |
Produktschulung mit unfreier Software statt einer herstellerunabhängigen | |
Prinzipienschulung. Die Kosten für freie Software werden hingegen auf die | |
Umstellung gerechnet. | |
Wenn es mit Open-Source-Systemen Probleme gibt, dürften Microsoft und Co. | |
argumentieren, dass ihre Technik doch kostengünstiger ist als freie | |
Programme. | |
Das machen unfreie Software-Unternehmen schon immer. Die Kosten sind aber | |
nur ein Punkt. Freie Software ermöglicht es Anwendern aus Wirtschaft, | |
Verwaltung und Gesellschaft, selbst die Kontrolle über ihre Software zu | |
haben. Sie können selbst oder mit Hilfe anderer die Software an ihre | |
eigenen Bedürfnisse anpassen. Die Menschen können verstehen, wie Software | |
wirklich funktioniert: Das fördert Kompetenz und Innovation. Und dadurch, | |
dass alle mitmachen und gemeinsam davon profitieren können, entsteht mehr | |
Wettbewerb, was mittel- bis langfristig immer kostengünstiger für die | |
Nutzer ist. | |
Erwarten Sie eine Signalwirkung von dem Fall? | |
Ja - in dem Sinne, dass es nicht funktioniert, solche Änderungen heimlich, | |
still und leise zu machen. Die Entscheidung für freie oder unfreie Software | |
ist eine politische und sollte daher transparent ablaufen. Die Bürger haben | |
ein Recht darauf zu erfahren, warum Steuergelder für eine Studie nach der | |
anderen ausgegeben werden und dann gegen deren Empfehlung schon wieder Geld | |
für eine Rückmigration ausgeben werden soll. | |
Im Koalitionsvertrag von 2009 hieß es von Seiten der FDP, dass die IT des | |
Bundes künftig verstärkt in Richtung offene Standards gehen soll, | |
Open-Source-Lösungen gehörten eindeutig dazu. Sehen Sie eine Art | |
politischen Umschwung? | |
Nein, was wir sehen ist eine Kluft zwischen "Talk" und "Action". In unserer | |
Befragung zur Bundestagswahl 2009 wurde freie Software klar befürwortet. | |
Politiker verstehen die Vorteile freier Software für Wirtschaft und | |
Gesellschaft immer besser. Das spiegelt sich auch in den Parteiprogrammen | |
und im Koalitionsvertrag wieder. Allerdings vermissen wir den politischen | |
Willen, das umzusetzen. | |
Was kann die Open-Source-Bewegung tun, damit es nicht zu einer | |
Kettenreaktion kommt und Linux beispielsweise nur noch in den Serverbereich | |
verbannt wird? | |
Freie Software wird verstärkt in vielen unterschiedlichen Bereichen | |
eingesetzt. Zum Beispiel wird der Betriebssystem-Kern Linux mittlerweile in | |
DSL-Routern, Fernsehapparaten, Videorekordern, Kühlschränken und in neuen | |
Mobiltelefonen verwendet. | |
Es ist nicht allein die Aufgabe von Freien-Software-Entwicklern, diese | |
Entwicklung voranzubringen, sondern die der Anwender im privaten, | |
geschäftlichen und öffentlichen Bereich. Software-Unternehmen werden nicht | |
freiwillig Macht an uns Nutzer abgeben. Wir müssen selbst für die Freiheit | |
eintreten, dass wir Software für jeden Zweck verwenden, ihre Funktionsweise | |
verstehen, sie weiter verbreiten und verbessern dürfen. | |
24 Feb 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.oliver-kaczmarek.de/2011/02/plant-schwarz-gelb-eine-unnotige-uns… | |
[2] http://www.oliver-kaczmarek.de/wp-content/uploads/KA-17_4567.pdf | |
[3] http://www.netzpolitik.org/2011/interne-dokumente-des-auswartigen-amtes-zur… | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
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