# taz.de -- Debatte Strauss-Kahn: Das Alphamännchen-Syndrom | |
> Mächtige Männer beanspruchen das Privileg der unbegrenzten sexuellen | |
> Belohnung für sich. Skandalisierung hilft, das Verhalten zu ändern. | |
Hätte Dominique Strauss-Kahn im letzten Jahr den deutschen "Tatort" | |
gesehen, wäre ihm eine schöne Entlastungsgeschichte begegnet. Dann hätte er | |
nur zugeben müssen, telefonisch eine Sexrollenspielgefährtin geordert zu | |
haben, die in Zimmermädchenuniform ein Opfer spielen sollte – und er den | |
Vergewaltiger. Ein solches Telefongespräch hätten Dunkelmänner – wahlweise | |
aus dem Lager von Sarkozy, dem des IWF oder dem der französischen | |
Sozialisten – abgehört. Diese hätten dann ein echtes Zimmermädchen zum | |
Saubermachen geschickt (oder eine Geheimagentin, die schon länger als | |
"Zimmermädchen" platziert war), um ihn hochgehen zu lassen. | |
So könnte es gewesen sein, was sich am Wochenende in einer Hotelsuite in | |
New York abgespielt hat. Es könnte sich auch um einen tragischen Irrtum der | |
New Yorker Polizei handeln. Oder um ein gewissenloses Zimmermädchen, das | |
auf ein fürstliches Schweigegeld hoffte. Das sind nur einige der möglichen | |
Szenarien, die den Angeklagten entlasten würden. | |
Es könnte aber auch einfach so sein, dass Dominique Strauss-Kahn sich | |
schlicht in die lange Riege mächtiger und berühmter Männer einreiht, die in | |
den letzten Jahren durch bizarre Übergriffe auf weibliches Personal oder | |
exzessive Inanspruchnahme der gehobenen Sexindustrie von sich reden: | |
Israels Präsident Mosche Katzav, Arnold Schwarzenegger und TV-Star Charly | |
Sheen fielen durch sexuelle Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen auf, | |
Schwedens König Carl Gustav, Talkmaster Michel Friedman und Italiens | |
Ministerpräsident Silvio Berlusconi als konsumfreudige Freier. | |
Warum benehmen sich dermaßen bedeutende Männer wie Oberaffen, die sich | |
greifen (oder kaufen), was bei "drei" nicht auf den Bäumen ist? Dazu passt | |
die Antwort, die Friedrich der Große gab, als man ihn fragte, warum er ohne | |
jeden Grund Österreich angreife: "Weil ich es kann". | |
## Das Privileg der Oberaffen | |
All diese Männer, die am Gipfel ihrer Karrieren angelangt sind, nehmen für | |
sich zur Belohnung das Privileg unbegrenzter sexueller Gratifikation in | |
Anspruch. An die "Macht" zu kommen "ermächtigt" und will gefühlt und | |
gekostet werden. Omnipotenz ist nirgends direkter erlebbar als dann, wenn | |
man ein anderes lebendiges Wesen überwältigt. Das betrifft sowohl den | |
"Genuss" der Macht wie ihr Krisenmanagement. Wie tief das Verhaltenssetting | |
im männlichen kollektiv Imaginären verankert ist, sieht man daran, dass ein | |
großer Teil der kursierenden Pornografie auf Vergewaltigungsfantasien | |
basiert. | |
Der Unterschied zwischen den Wüstlingen, die man aus der Historie kennt, | |
und denen von heute besteht darin, dass ihr Verhalten skandalisiert wird, | |
wenn sie ein öffentliches Amt bekleiden oder Stars mit großem Prestige | |
sind. In den USA dient diese Skandalisierung spätestens seit Bill Clinton | |
dazu, den sexualpolitischen Status der Nation auszuhandeln. | |
In Frankreich, wo man eine Kultur der Diskretion pflegt, zeigte man sich | |
zunächst schockierter über die Art und Weise, wie ein einflussreicher Mann | |
exponiert wurde, als über die Delikte, die ihm vorgeworfen wurden. Je | |
länger die Affäre andauert, desto mehr scheint hier aber ein Lernprozess | |
stattzufinden. | |
## Erregungsgemeinschaften | |
Die neue Unduldsamkeit gegenüber männlichen sexuellen Verfehlungen ist | |
zweifellos eine langfristige Folge der zweiten Frauenbewegung der siebziger | |
Jahre. Und es ist sicher nicht unwichtig, dass eine Richterin die weitere | |
Untersuchungshaft für DSK, wie ihn seine Landsleute gerne nennen, | |
angeordnet hat. | |
Denn eine der wenigen Errungenschaften des Neuen Feminismus mag darin | |
bestehen, kurzfristig mediale Erregungsgemeinschaften erzeugen zu können, | |
die mittelfristig sexuell abirrende Helden entthronen (um sie langfristig | |
als geläuterte wieder an die Brust zu drücken). Strukturell wird das | |
männliche sexuelle Privileg, das sich in unzähligen Formen wie | |
Junggesellenabschieden, Vatertage oder Bordellbesuche ausdrückt, damit aber | |
nicht angetastet. | |
Dieses Privileg beruht auf einem gesellschaftlichen Konsens, dem | |
Doppelstandard von männlicher sexueller Handlungsfreiheit und weiblicher | |
Verfügbarkeit, der nur selten herausgefordert wird – zaghaft in Schweden, | |
dem einzigen Land der Welt, das Freier und nicht Prostituierte bestraft. | |
Dabei geht es um Machtfragen. Hegemonie (oder hegemoniale Männlichkeit, wie | |
die Maskulinitätsforschung sagt) ist nur dann möglich, wenn sie auf breites | |
Einverständnis einer sekundär interessierten Gruppe nicht gleichermaßen | |
mächtiger Männer trifft. | |
## Geheuchelte Aufregung | |
Insofern ist die Aufregung über Fälle wie den von DSK weitgehend | |
geheuchelt. Man kann das an der Larmoyanz vieler Kommentare ablesen, denen | |
es häufig an Trennschärfe zwischen "Oh, là, là – Galanterie à la frança… | |
und sexueller Nötigung gebricht. Auch ein großer Teil von Silvio | |
Berlusconis Charisma bei seinen italienischen Landsmännern beruht auf | |
seiner vorgeblichen sexuellen Hyperaktivität im hohen Alter – die Situation | |
seiner minderjährigen Gespielinnen wird dabei weitgehend ausgeblendet. | |
Frauen haben durchaus ihren Anteil an der Glorifizierung dieser Aura von | |
Maskulinität als zugreifender Potenz. In "Fesseln der Liebe" entwickelt die | |
US-amerikanische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, dass die weibliche | |
Komplizenschaft mit der maskulin dominierten sexuellen Ordnung darin | |
bestehe, Überwältigung und Hingabe zu romantisieren. Dieses Muster der | |
Herablassung eines hohen Herrn zu einer niederen Dame war erst kürzlich in | |
der weltweiten Begeisterung für die britische Königshochzeit zu studieren. | |
Trotzdem ist hier nicht beabsichtigt, soziobiologischen Thesen von | |
männlichem sexuellen Jagdinstinkt und weiblichem Beutebewusstsein das Wort | |
zu reden. Im Gegenteil, menschliches Verhalten ist langfristig veränderbar, | |
wenn der Rahmen von Akzeptanz verändert wird. Das hat in der westlichen | |
Hemisphäre die zweite Frauenbewegung versucht – aber sie hat die | |
Kulturrevolution nicht zu Ende geführt. Die neue Publizität von sexuellem | |
Machtmissbrauch mächtiger Männer macht Lust, diese wieder aufzugreifen. | |
19 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Dietze | |
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