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# taz.de -- Wehrmachtsprozess in Italien: Verbrechen bleiben ungesühnt
> In Italien geht einer der letzten Prozesse gegen Soldaten der Wehrmacht
> zu Ende. Ihnen wird besonders schwerer Mord vorgeworfen. Belangt werden
> sie wohl nicht.
Bild: Ende März besuchte Papst Benedikt XVI die Ardeatinischen Höhlen in Rom,…
BERLIN taz | Ihren Lebensabend werden die alten Männer wohl in Deutschland
in Ruhe und Frieden verbringen können, trotz der Forderung nach
lebenslanger Haft. Wehrmachtssoldaten der Fallschirm-Panzerdivision
"Hermann Göring" wird vorgeworfen, im Frühjahr 1944 bei Massakern in
Norditalien rund 400 ZivilistInnen ermordet zu haben. Seit 2009 wird
zumindest einigen von ihnen am Militärgericht im italienischen Verona der
Prozess gemacht - in Abwesenheit der Angeklagten. Denn Deutschland weigert
sich bis heute, sie an Italien auszuliefern.
Es handelt sich um einen der letzten großen Prozesse gegen
NS-Kriegsverbrecher, der zurzeit im Veneto kurz vor dem Abschluss steht.
Nach der Invasion der Alliierten auf Sizilien und Mussolinis Entmachtung
besetzten deutsche Truppen 1943 Nord- und Mittelitalien. Gemeinsam mit
faschistischen Milizen gingen Wehrmachtssoldaten und Mitglieder der
Waffen-SS brutal gegen den erstarkenden Widerstand der Bevölkerung vor und
führten unter dem Deckmantel der "Partisanenbekämpfung" in den letzten
Kriegsmonaten einen grausamen Feldzug. Ganze Dörfer löschten sie aus und
ermordeten dabei wahllos Frauen, Männer und Kinder.
Wegen "besonders schweren Mordes, begangen mit besonderer Grausamkeit an
unschuldigen Personen", stehen nun neun ehemalige Wehrmachtsangehörige,
darunter acht Offiziere und Unteroffiziere, in Verona vor Gericht.
Nachgewiesen werden soll, dass sie in Kommandofunktion an der Planung und
Durchführung mehrerer Massaker an Zivilisten beteiligt waren, unter anderen
in den Provinzen Florenz, Modena und Arezzo. Über 65 Jahre nach den ihnen
vorgeworfenen Taten sind sie im Alter zwischen 84 und 92, drei verstarben
während des Prozesses. Die Staatsanwaltschaft hat jüngst lebenslängliche
Haftstrafen für alle Angeklagten gefordert. Ein Urteil wird für Ende Juni
erwartet.
## Amtshilfe aus Deutschland
Auch Dortmunder Staatsanwälte und das Landeskriminalamt in Düsseldorf haben
Material gesammelt. Ein deutscher Ermittler hat im laufenden Prozess auch
ausgesagt. "Unsere Akten waren Grundlage des italienischen Verfahrens,
versicherte Staatsanwalt Andreas Brendel. Doch weiter geht die Kooperation
nicht. Deutsche Staatsangehörige werden laut Gesetz nur dann ans Ausland
zur Strafverfolgung ausgeliefert, wenn sie der Auslieferung selbst
zustimmen. Die Angeklagten müssen den Hinterbliebenen der Ermordeten also
nicht in die Augen sehen.
"Dass NS-Täter selbst im EU-Ausland nur dann der Gerechtigkeit zugeführt
werden können, wenn sie persönlich einwilligen, ist skandalös", sagt Anne
Lepper von der Arbeitsgemeinschaft Reggio-Emilia, die sich um öffentliche
Aufklärung über die deutschen Verbrechen in Italien bemüht. Denn für die
noch lebenden Angehörigen der Opfer sei es ein wichtiges Symbol, dass die
mutmaßlichen Mörder tatsächlich vor Gericht stehen. Deutschland als Land
der Täter stehe in der Pflicht, sagt Lepper: "Die Regierung muss endlich
Verantwortung übernehmen und Auslieferung an andere Rechtsstaaten
ermöglichen."
## Kein Nachweis individueller Schuld
Trotz der Amtshilfe für die italienischen Kollegen - in Deutschland ist
derzeit kein eigener Prozess gegen die in Verona angeklagten
Wehrmachtssoldaten geplant. Die Beweislage reiche für den Nachweis
individueller Schuld nicht aus, sagte Staatsanwalt Brendel. Wie genau ein
solcher Nachweis erbracht werden muss, ist unter Juristen umstritten. Die
Staatsanwälte in Verona prüften etwa, ob die Angeklagten zum Zeitpunkt der
Massaker wegen Urlaubs oder Krankheit als abwesend gemeldet waren. Fanden
sie in den Akten keine Notiz, so werteten sie die Beteiligung als erwiesen.
Aber auch in Italien mag man sich mit den deutschen Massakern während des
Zweiten Weltkriegs nicht allzu ausführlich beschäftigen. Die Vorarbeiten
zum aktuellen Prozess begannen erst spät, weil belastende Dokumente
jahrzehntelang im "Schrank der Schande" unter Verschluss gehalten wurden.
Darin hatte die militärische Anklagebehörde in Rom in den 1950er-Jahren
wichtige Beweise über deutsche Kriegsverbrechen verborgen - offenbar in
Absprache mit Regierungsstellen, um im Kalten Krieg den Nato-Partner
Deutschland nicht zu belasten.
Erst im Zuge des Verfahrens gegen SS-Führer Erich Priebke wurden 1994 die
Akten entdeckt und an die Staatsanwaltschaft übergeben. Sie ermöglichten
etwa die Prozesse gegen Friedrich Engel, den "Schlächter von Genua". Er
starb 2006 in Freiheit.
27 May 2011
## AUTOREN
Katharina Zeiher
## TAGS
Wehrmacht
Erich Priebke
Erich Priebke
Simon-Wiesenthal-Center
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