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# taz.de -- Pakistans Elite und Bin Ladens Tod: Die heimlichen Herrscher
> Trotz neuer Attentate hält die westlich orientierte Elite Pakistans die
> Taliban für erledigt. Lebt sie in einer abgeschotteten Welt? Und wohin
> bewegt sich die pakistanische Nation?
Bild: Tägliches Geschäft: Die Polizei untersucht das Gelände nach einem Spre…
PESCHAWAR/ISLAMABAD taz | Noch vor ein paar Tagen sprach der ehemalige
pakistanische Viersternegeneral Mahmood Shah davon, wie sein Land mit dem
Tod Osama bin Ladens umgehen müsse. "Die pakistanische Regierung muss
darauf reagieren", sagte er am Telefon. "Sie muss die USA von weiteren
Verletzungen ihrer Souveränität abhalten, um die Nationalisten im Zaum zu
halten. Aber sie muss auch große Anstrengungen unternehmen, den Extremismus
im eigenen Land zu bekämpfen." Nur so, erläuterte Shah im Gespräch mit der
taz, könne Pakistan vor dem völligen Chaos gerettet werden.
Aber regiert dort nicht schon das völlige Chaos? In der vergangenen Woche
gelang es einem Selbstmordattentäter, mit 300 Kilogramm Sprengstoff im
Gepäck vor das Gebäude der Kriminalpolizei in Peschawar zu fahren. Die
Explosion, die er auslöste, tötete auf der Stelle sechs pakistanische
Kriminalbeamte und verletzte weitere 30 Personen.
Das Attentat stand in einer Reihe von Anschlägen seit dem Tod bin Ladens,
zu denen sich die pakistanischen Taliban bekannt haben. 90 Todesopfer haben
die Anschläge in diesem Monat bereits gefordert.
Die Explosion fand diesmal nicht weit von Shahs kleinem Büro in Peschawar
statt, das sich neben einem Friseur in einem neuen Einkaufszentrum
befindet. Die Hauptstadt der Nordwestprovinz ist seit vielen Jahren das
nächstgelegene Großstadtziel vieler extremistischer Gruppen, die sich in
den Grenzgebieten zu Afghanistan verstecken.
Die pakistanische Regierung untersagt Journalisten deshalb die Reise
dorthin. Doch vor ein paar Wochen, noch vor dem Tod bin Ladens, empfing
Shah den Reporter trotzdem in seiner Stadt. Der 60-jährige Exgeneral wollte
einen Einblick in die – für ihn – durchaus klare sicherheitspolitische Lage
der Region geben.
## Der alte Offizier, die demokratische Elite
Shah ist ein typischer Vertreter der alten, demokratisch gesinnten
pakistanischen Elite. Tadelloser Anzug, kleiner Schnauzbart, perfektes
Englisch. Serviert hervorragenden Tee. Er leitet heute seine eigene
sicherheitspolitische Beratungsfirma, mit der er auch international Gehör
finden will. Im Grunde hofft der alte Militär, dass der Westen seine
Botschaft verstärkt und an die Regierung in Islamabad zurücksendet.
Denn sein ganzes Augenmerk gilt dem militärischen Zögern der eigenen
Regierung gegenüber den Extremisten. "Seit Jahrzehnten leiden die
Pakistaner unter der Unterstützung, die ihre Regierung den Taliban
gewährt", sagt Shah. Er denkt dabei bis zum Afghanistankrieg gegen die
Sowjetunion zurück.
Der alte General weiß, wovon er redet: Sechs Jahre lang war er nach der
Jahrtausendwende pakistanischer Oberbefehlshaber für die Grenzgebiete.
Sechs Jahre lang fehlten ihm klare Anweisungen der politischen Führung in
Islamabad, um gegen die Taliban vorzugehen.
Der gleiche Missstand, meint Shah, zeige sich heute in den Reaktionen auf
den Tod bin Ladens. "Wenn unsere Führung seinen Tod nur als Nebensache
betrachtet, wird sich der islamische Extremismus weiter ausbreiten. Unsere
zivile und militärische Führung muss den Kampf dagegen mit Ernst und
Ehrlichkeit aufnehmen. Nur dann ist Veränderung möglich."
Shah tut dabei so, als ließe sich die Gewalt in Pakistan mit militärischer
Entschlossenheit schnell beenden. Als seien die Extremisten nur eine kleine
Gruppe.
Für einen westlichen Besucher Peschawars ist das nicht leicht
nachvollziehbar. Ständig raten ihm seine Begleiter aus Sorge vor Angriffen,
sich in der Öffentlichkeit nicht zu zeigen. Hotels sind als
Übernachtungsplätze für ihn ausgeschlossen, weil potenzielle Attentäter
dort ihre Opfer suchen. Das alles aber erregt den Eindruck, als sei die
Gewaltdrohung der Extremisten eben doch allgegenwärtig – und nicht vom
Militär schnell auszulöschen.
Dennoch steht Shah mit seiner Auffassung nicht allein. Professoren,
Journalisten, Anwälte – viele Intellektuelle in Peschawar glauben auch
heute, inmitten einer neuen Welle von Attentaten, dass sich die Taliban in
den vergangenen Jahren vor der pakistanischen Bevölkerung gründlich
diskreditiert haben.
Noch vor Jahren hätte den Extremisten der Flair der Revolution angehaftet,
sagen sie. Doch seitdem sie im Norden Pakistans einige Gegenden erobert
hätten und dort nur mit Lynchmorden und Erpressungen der einfachen Bürger
aufgefallen sind, sei auch ihr positiver Nimbus verflogen.
Man hört diese Ansichten bei Professor Zubair Khan, einem liberalen
Rechtsgelehrten der altehrwürdigen Universität Peschawar, der sich
allerdings auch über den neuen islamischen Konservatismus seiner Studenten
beschwert. Ist der Professor vielleicht isolierter, als er zugibt?
Man hört den Abgesang auf die Taliban auch in den alten, verrauchten
Büroräumen der Journalistengewerkschaft in Peschawar. Doch deren Mitglieder
leben alle von Aufträgen westlicher Medien, was sie der Gesellschaft
entrückt erscheinen lässt.
## Noch hat die alte Elite Einfluss
Man kann sich in Pakistan nämlich leicht täuschen. Ob in Peschawar, der
Hauptstadt Islamabad oder in Lahore, der Kulturhauptstadt des Landes –
überall trifft man noch Pakistans alte demokratische Elite in Amt und
Würden. Ihre Vertreter reden wie wir. Sie teilen unsere Analysen, unsere
Sorge um den islamischen Extremismus.
Und sie sind immer noch voller Selbstbewusstsein. Schließlich regieren sie
das Land seit 60 Jahren, egal, ob nun Militärherrscher die Macht innehatten
oder demokratische Parteien. Die demokratische Elite mit ihren großen,
machtvollen Familienclans verlor nie ihren Einfluss. Aber verliert sie ihn
womöglich morgen oder übermorgen?
Das andere, unergründete Pakistan steht unter dem Scheffel der Imame. Einer
der berühmtesten unter ihnen ist Maulana Abdul Aziz, der Vorsteher der
roten Moschee in Islamabad. Ein paar Tage nach dem Tod bin Ladens besucht
er in Begleitung von vier mit AK-47-Gewehren bewaffneten Männern eine
Mädchen-Koranschule in einem kleinen Dorf in der Nähe von Islamabad.
Schon von weitem erkennt man ihn an seinem schwarzen Turban über der weißen
Kutte. Mit seinen weißen Vollbart sieht er aus wie ein Weiser aus dem
Morgenland. Aziz spricht eine andere Sprache als das offizielle Pakistan.
Man merkt das sofort, wenn er über den Tod bin Ladens spricht. "Scheich
Osama bin Laden hat vor Jahren die Armee-Operation Rote Moschee verurteilt.
Ich bin ihm heute noch dankbar für seine Unterstützung", sagt Aziz.
Er macht damit sofort klar, auf welcher Seite er in diesen Tagen steht.
"Selbstmordattentate sind unter bestimmten Umständen erlaubt. Wenn nämlich
die Schreckenstaten des Gegners nicht anders gestoppt werden können",
bemerkt er. Dass er auch die Tötung bin Ladens als "Schreckenstat" ansieht,
steht außer Frage.
## Der junge Imam
Aziz' Standpunkt ist wohlbekannt. Der Iman steht seit Jahren im offenen
Konflikt mit der Regierung, obwohl seine Moschee mitten im
Regierungsviertel von Islamabad liegt. "Lal Masjid", die Rote Moschee, ist
ein kompakter Backsteinbau mit roten Mosaikfenstern, von außen eher
unscheinbar, aber doch das wichtigste religiöse Zentrum der Hauptstadt.
Hier fand vor vier Jahren eine spektakuläre Konfrontation zwischen
Taliban-Extremisten, die sich in der Moschee versteckten, und
Regierungstruppen statt. Sie endete mit 154 Toten.
Aziz stand damals auf Seiten der Taliban und tut es heute noch. Geschadet
hat ihm diese Haltung nie. Das Gleiche gilt für seinen Neffen Maulana Amir
Siddique, der den Reporter durch die mit roten Teppichen ausgelegte Moschee
führt. Siddique zeigt auf kunstvolle Deckenmalereien. Er führt zum
Predigerstuhl, der seit 1965 von einem Mitglied seiner Familie besetzt
wird, aber auf dem schon so viele berühmte Imame aus aller Welt als Gäste
Platz genommen haben.
"Mein Großvater war der erste Iman dieser Moschee", sagt Siddique stolz.
Später lässt er sich vor einer großen Bücherwand in seinem Büro nieder. Er
trägt eine braune Predigerkappe und und einen schwarzen Vollbart.
Siddique ist erst 35 Jahre alt und strahlt doch Selbstsicherheit aus. An
seinem Weltbild gibt es keinen Zweifel. Dabei paktiert auch er mit den
Extremisten. "In Pakistan sind nicht nur wir Imame, sondern auch die
einfachen Bürger von den westlichen demokratischen Werten zutiefst
enttäuscht", sagt Siddique.
Er und seinesgleichen verlangen deshalb wie die Taliban die Einführung der
Scharia, der alten islamischen Gesetze. Sie fordern die Absetzung der
demokratischen Mächte, manchmal per Gewalt, manchmal per Wahlen.
Das alles hat den Sound der Konterrevolution, auch vor dem Hintergrund der
neuen demokratischen Bewegungen in der islamischen Welt. "Jede Form der
Destabilisierung hilft hier den Taliban", glaubt Rechtsprofessor Khan in
Peschawar. Das ist ein vernichtendes Eingeständnis für den Demokraten Khan.
Aber das ist der Eindruck, den der Besucher mitnimmt: Unter der ständigen
Gewaltdrohung durch die Extremisten wirken die Imame so viel gelassener als
diejenigen, die das Land regieren. Als wären Aziz und Siddique schon die
heimlichen Herrscher.
30 May 2011
## AUTOREN
Georg Blume
## TAGS
CIA
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