# taz.de -- Portrait Markus Peichl: Vom Tempo-Macher zum Flugroutengegner | |
> Markus Peichl gibt dem Protest gegen den künftigen Berliner Großflughafen | |
> Gesicht und Stimme - zumindest bis er ein neues Steckenpferd gefunden | |
> hat. Treffen mit einem Getriebenen. | |
Bild: Demonstration gegen Fluglärm | |
Er sei wie eine Lokomotive, sagt Markus Peichl. "Man stellt sie auf ein | |
Gleis und dann fährt sie." Immer weiter, immer wieder, immerzu. Es fällt | |
einem leicht, das zu glauben, so wie Peichl da sitzt in seinem Bürostuhl: | |
kräftige Statur, Dreitagebart, die oberen Hemdknöpfe offen, ein Sakko. | |
Dabei nicht schwerfällig, eher behände und mit einem Redetempo gesegnet, | |
das kaum eine Unterbrechung zulässt. Die Projekte, die der 53-Jährige | |
begonnen hat, passen in vier Leben: Er hat Musikvideos produziert, die | |
"Beckmann"-Redaktion geleitet, die Magazine Tempo und Liebling gegründet, | |
Politiker beraten, als Leiter der [1]["Lead Academy]" vergibt er Preise für | |
Print- und Onlinemedien. Puh. | |
In den letzten Jahren ist es ruhiger um Peichl geworden, zumindest | |
öffentlich. Seit September vergangenen Jahres aber pflegt er aufs Neue die | |
mediale Omnipräsenz: Peichl ist das Gesicht und die Stimme der | |
BBI-Flugroutengegner. Bei der ersten Großdemonstration am Flughafen | |
Schönefeld sprach er vor 10.000 wütenden Bürgern, er kommentiert | |
bereitwillig jede Regung in der seit Monaten kochenden Debatte, ist bei den | |
Sitzungen der Fluglärmkommission vor Ort. [2]["Schützt Potsdam"] heißt die | |
Bürgerinitiative, für die Peichl spricht. Der Wahl-Potsdamer hat sie im | |
Herbst mitbegründet. Drunter macht ers nicht. | |
Es muss das große Ganze sein, und das sofort. Gut vorstellbar, dass Peichl | |
damals im September die Zeitung aufschlug und las, dass die Flugrouten | |
anders laufen sollten, als es alle bislang gedacht hatten. Während sich | |
andere noch wunderten, haute der kräftige Mann mit der Faust auf den Tisch, | |
gründete eine Bürgerinitiative und warf die Öffentlichkeitstrommel an. | |
Anlass, Idee, Umsetzung - der Erfolg ist zweitrangig! | |
Peichl kommt aus einer österreichischen kunstaffinen Familie. Sein Vater | |
zeichnet bis heute Karikaturen, die in der Süddeutschen Zeitung erscheinen. | |
Er selbst studiert Jura, wird nach einer freien Mitarbeit beim | |
Österreichischen Rundfunk Chefredakteur der Zeitschrift Wiener. Später | |
gründet er das Magazin Tempo mit, wird dessen Chefredakteur. Peichl prägt | |
das Zeitgeist-Blatt, das Schreibern wie Moritz von Uslar zu Berühmtheit | |
verhilft - und umgekehrt: Bis heute wird Peichl über den Namen Tempo | |
definiert und charakterisiert. Als vor fünf Jahren eine Nostalgie-Nummer | |
des längst eingestellten Heftes erscheint, schreiben die Medienjournalisten | |
im Prinzip nur über Peichl. Nach Tempo ist er unter anderem | |
Redaktionsleiter der ARD-Rederunde "Beckmann". Auch als Politikberater wird | |
Peichl tätig, und er ruft eine neue Zeitschrift ins Leben, Liebling. Peichl | |
lebt seit Jahren in Sacrow bei Potsdam - auch darüber könnten bald | |
Flugzeuge lärmen, je nach Route. | |
"Es widerspricht meinem Gerechtigkeitsgefühl, wenn man Bürgern jahrelang | |
etwas erzählt, von dem man weiß, dass es nicht stimmt", begründet Peichl | |
sein Engagement. Das sei "organisierter Betrug an Bürgern und Gerichten". | |
Der Verdacht also treibt ihn, Politiker hätten die Menschen absichtlich nie | |
über die Notwendigkeit abknickender Flugrouten aufgeklärt - weniger der | |
tatsächlich zu erwartende Lärm. Dabei ist sich Peichl sicher, dass den | |
Angaben über Dauerschallpegel nicht zu trauen ist. Zu viel wurde | |
gemauschelt, und was angekündigt werde und dann tatsächlich komme, seien | |
immer noch unterschiedliche Dinge. | |
Das Quergebürstete in ihm ist aufgekeimt, der Hang zum Revoluzzertum, so | |
jedenfalls hat es den Anschein. Seit den Tempo-Jahren mit seinem weitgehend | |
fakten- und recherchefreien Journalismus ist Peichl nach außen hin brav | |
geworden. Er hat die Zeit zum Netzwerken genutzt, kennt jeden in der | |
Branche und die Branche ihn. Zugleich ist er Einzelkämpfer geblieben. Der | |
53-Jährige spricht zwar für die gut situierten Wutbürger - aber er könnte | |
auch morgen das nächste Projekt ins Leben rufen, wenn sich die Gelegenheit | |
ergibt. | |
Zum Gespräch lädt Peichl in eine Galerie nahe dem Checkpoint Charlie. | |
Schlichte, weiß gestrichene Räume, eine Bank in der Mitte, ein paar | |
Postkarten aus der laufenden Ausstellung liegen darauf. Peichl kommt leicht | |
verspätet. Das war der Legende zufolge schon bei Tempo so, angeblich soll | |
er deswegen dort rausgeworfen worden sein. Er entschuldigt sich, wirft den | |
Mantel aufs Fensterbrett. Ein Bildschirm steht auf dem Glas-Schreibtisch, | |
das Ende des Steckers baumelt über dem Boden. Zwei, drei gerahmte | |
Zeichnungen an den Werken, darauf beschränkt sich die Einrichtung. Keine | |
Zeit. "Im Moment habe ich 18-Stunden-Tage", sagt Peichl. Die | |
Bürgerinitiative allein wäre ein Vollzeitjob, dazu kommen die Arbeit für | |
die Lead Academy und die Galerie. | |
Letztere leitet Peichl erst seit wenigen Wochen, das "Gallery weekend" war | |
die Feuertaufe. Er hat es gut über die Bühne gebracht. Zwischendurch steckt | |
ein Bekannter den Kopf herein: "Wollte nur sagen, gute Ausstellung, spricht | |
mich an." Peichl antwortet mit einer Einladung zum Kaffee. "Wie lange bist | |
du in der Stadt? Nächsten Dienstag, am Nachmittag? Ruf mich Montag noch mal | |
an, ja, Mascha gibt dir meine Nummer." Mascha ist Mitarbeiterin in der | |
Galerie. | |
Die gehört eigentlich Peichls langjährigem Lebensgefährten. Der musste sich | |
kurzfristig eine Auszeit nehmen, er war eine der Geiseln bei dem | |
Terrorangriff auf das Hotel Taj Mahal vor zweieinhalb Jahren in Mumbai. | |
Unter den Erinnerungen an die drei Tage mit Erschießungen und Todesangst | |
leidet er bis heute. Peichl sprang ein, das Geschäft war ihm durch die enge | |
persönliche Beziehung vertraut. | |
Trotz seines ungeheuren Tempos nimmt sich Peichl Zeit für ein Gespräch. Er | |
steht nicht drüber, er ist dabei. Ihn im Gespräch zu stoppen, ist schon | |
schwer, doch ein Gespräch zu beenden, geht nur brachial. Wie entspannt so | |
ein Mensch? "Ach, meist reicht es mir schon, morgens mit einer Tasse Tee am | |
Wasser zu stehen." In Sacrow findet er die Distanz zum Berliner Schauleben. | |
Bei 18 Stunden Arbeit bleibt wenig Zeit zum Ausruhen, aber "so viel Schlaf | |
brauche ich nicht". | |
Er wird nicht müde zu betonen, dass er mit der Initiative nicht nur für die | |
Stadt, sondern auch die ganze Region spreche. Deswegen könne sich die | |
Initiative nicht auf kleinteilige Nicht-in-meinem-Garten-Lösungen wie | |
andere lokale Bündnisse beschränken. Es gehe um den Betrug an den Bürgern | |
und die Forderung, daraus Konsequenzen zu ziehen. Welche? Es sei nicht | |
seine Aufgabe als Bürger, Lösungen für die Flugrouten zu finden, kontert | |
Peichl. Er besetze die basisdemokratische Seite. | |
Peichl steht hinter neuen Klagen gegen das Planverfahren für Berlin | |
Brandenburg International, auch wenn er realistisch genug ist, keinen | |
Abriss der frisch gebauten Hallen zu fordern. Vor Gericht übrigens sei er | |
schon einmal erfolgreich gewesen, erzählt er rasch noch, damals, als er | |
Musikvideos produzierte, die finanzielle Lage für diesen Berufsstand nicht | |
mehr hinnehmen wollte, klagte und gewann. Peichl verbreitet eine stete | |
Unruhe und ruht doch in sich selbst - mit unerschütterlichem Glauben an die | |
eigenen Stärken. | |
3 Jun 2011 | |
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[1] http://www.leadacademy.de/2011/impressum.html | |
[2] http://www.bipotsdam.de/ | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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