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# taz.de -- Bilanz des Kirchentages in Dresden: Gott muss ein Grüner sein
> Der 33. Kirchentag war ein Fest der Wohlerzogenheit. Er wirkte wie die
> Variante eines grünen Parteitags der Jetztzeit: viel Applaus, wenig
> Kontroverse.
Bild: Auch den jüngeren Kirchentagsbesuchern wird eindrucksvoll vermittelt: Go…
DRESDEN taz | So sieht es ein Außenstehender, in Dresden lebend, bekennend
nichtchristlich: "Die sind alle, wirklich alle so akkurat. Keinen Müll
lassen die fallen, niemand drängelt an den Bahnsteigen, und saufen tun die
auch nicht in der Öffentlichkeit." Wie die Welt des Kirchentags eine Frau
von Mitte dreißig am Samstagabend sieht: mit Blick auf 120.000 Besucher aus
allen Teilen der Republik und vielen aus dem Ausland
Das ist fein beobachtet, denn natürlich hatte man in der sächsischen
Hauptstadt so Befürchtungen, welches Volk denn da über sie herfällt. Aber
es ging ja alles gut. So sehr man auch schaute, aber die
Kirchentagsbesucher, vor allem die noch jugendlichen, wirkten wie eine
Festversammlung der Wohlerzogenheit, zuvorkommend, höflich und ungefähr das
Gegenteil der Gebaren, wie sie von Fußballfans überliefert sind. Sie sehen
adrett aus, haben gut gepflegte Zähne, tragen bequeme, nicht allzu
fashionable Klamotten und öfters barfüßig getragene Sandalen.
Fünf Tage wurde an der Elbe dem Christlichen gehuldigt; in den
Straßenbahnen wurde gesungen, auf den Bühnen auf dem Altmarkt gab es
irgendwie rund um die Uhr Gigs von allen möglichen Darbietungen, sehr
häufig von jungen Männern mit Gitarre, was oft sehr quäkig und
James-Blunt-haft klang. Das ist allerdings bei Evangelens keine
Modeanschmiegerei an zeitgenössische Poptrends, nein, das Jammern und
Frohlocken zur Klampfe gehört zur Kernästhetik von Kirchentagen überhaupt.
Fünf Tage schien die Sonne, wahrscheinlich für die meisten die spirituelle,
gewiss die real klimatische vom Himmel.
Auf der Ebene irdisch grundierender Innerlichkeit kam das Motto dieses
Kirchentages dem Zeitgeist dieser bürgerlichen Mittelschichten, die diese
Kongregation zu ihrer Sache machen, doch beängstigend nahe: "… da wird auch
dein Herz sein", eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium, war eventuell so
etwas wie das prophetische Zeichen einer Wiederkehr des rot-grünen Projekts
zumindest in der Gesellschaft, wenn nicht der Politik. Wobei der Begriff
inzwischen etwas schief wirkt, denn es war eher das grüne Denken, das
dieses pompöse Christentreffen bestimmte - wenn Sozial- oder
Christdemokraten da mithalten konnten, war das in Ordnung, aber was die
Agenda anbetrifft, war alles grün durchwirkt.
## Grüne Hegemonie nach Gutsherrenart
Kanzlerin Angela Merkel bekam ihren starken Beifall, nicht minder
Verteidigungsminister Thomas de Maizière; auch erntete Berlins
Bürgermeister Klaus Wowereit starken Applaus für seinen Auftritt beim
Kirchentag: Aber der Unterschied war fast zu greifen, als Claudia Roth von
den Grünen über den Markt der Möglichkeiten schlenderte. Dieses Forum,
einen Marktplatz von Initiativen, Hilfsgemeinschaften und Gruppen aller
Betroffenheiten, beschritt sie wie eine absolut strahlend gelaunte
Gutsherrin, die sich ihrer Territorien sicher weiß. Herzte Menschen hier
und Personen dort - und wurde zurückgekost. Sie ist die Grüne, die neben
Katrin Göring-Eckardt am stärksten die Hegemonie ihrer Partei über die
neobürgerlichen Schichten buchstäblich verkörpert.
Der Sieg grüner Themen ist zugleich ein entpolitisierender. Der
Atomausstieg der schwarz-gelben Bundesregierung, dieser späte, unerwartete
Triumph von Rot-Grün, war schon gar kein großes Thema mehr auf dem
Kirchentag, so selbstverständlich und notwendig war er den Christinnen und
Christen an der Elbe schon. So sehr ist die Aversion gegen Atomkraft ein
gemeinschaftsstiftendes Gefühl, dass es nicht reflektiert werden musste.
Was wahrhaftig den Sound des Kirchentags ausmachte, war eine Sprache der
Nahbarkeit. Betroffenheit, Trauma, Seele, Schmerz, Pein, Freude - immer ein
Stück weit waren diese Vokabeln zu hören: auf beinahe allen Podien und
Gottesdiensten. Kein Wunder, dass eine wie die frühere oberste Protestantin
der Republik, Margot Käßmann, zur Königin dieses Festivals avancieren
konnte. Sie traf den Ton am sichersten - und nicht nur ein bisschen.
Typisch für diesen Trend war auch, dass die großen politischen Konflikte
auf dem Kirchentag fehlten oder nicht wirklich zur Sprache kamen - so wie
das bei den Grünen eben auch ist. Mögliche Streitthemen wie
Flüchtlingspolitik, Israel und Palästina, die schleichende Abschaffung des
Europas von Schengen wurden nur am Rande behandelt. Das Programm oder die
Kirchentagsregie hielt diesen Themen keine prominenten Foren vor, wenn
überhaupt.
## Wegmoderierte Missverständnisse
Alles lief, im besten Fall, nur im kleinen Kreis. Empörte das
irgendjemanden? Auch irgendwie explosive Generationenkonflikte waren nicht
zu finden. Die jungen Christinnen und Christen waren so kritisch oder
unkritisch wie ihre Eltern oder Großeltern, mit denen sie sangen und
beteten: Die neue grüne Welt ist keine lautstark-konfliktuelle, sondern
eine von Missverständnissen, die man besser nur wegmoderiert.
Dass die immer etwas schwebend aussehende Präsidentin der Evangelischen
Kirche in Deutschland, die Grünenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt,
resümierte, es gebe auf dem Kirchentag nicht die Wutbürger, war nur zu
richtig. Aber die Mutbürger, die sie stattdessen zu sehen angab, waren
ebenso wenig zu erkennen. Zorn gab es nicht, und der Mut ist auch nur eine
Behauptung, die sich nicht beweisen musste. Göring-Eckardts Statement hatte
die Qualität protestantischer Lyrik, als sei sie im Discounter erworben.
Alles hat dieses gewisse Ungefähre, das allem Grünen seit einigen Jahren
anhaftet. Diese Ökos sind die Mächtigen auf diesem Christentreffen.
Waren Kirchentage einst sozialdemokratische Domänen mit Erhard Eppler an
der Spitze, leistete sich dieses größte Laientreffen des Protestantismus
auch einen liberalen Unionsmann wie Richard von Weizsäcker an der Spitze,
so war besonders in Dresden der Eindruck vorherrschend: An der Elbe traf
sich mal wieder die bürgerlich engagierte Mitte der Gesellschaft, eine
etwas satte Schicht, die mit sich und dem lieben Gott einigermaßen im
Reinen ist, gerade weil man sich in leicht linken, grün-alternativen
Projekten engagiert oder zumindest diesen Ideen anhängt. Schwarz-Grün, so
schien es, ist da wieder ganz weit weg, von der FDP und ihren neoliberalen
Irrwegen ganz zu schweigen.
Dass die Kanzlerin zugleich bejubelt wurde, widerspricht dem nicht: Sie hat
nach Fukushima ja wieder zu ihrem christlich-grün angehauchten
Präsidialstil zurückgefunden, auch wenn man keine Wetten darauf eingehen
sollte, wie lange diese erneute Volte der Kanzlerin aller Deutschen wohl
anhalten wird. Übrigens verglich ein Spitzengrüner vor einigen Wochen
Angela Merkel durchaus respektvoll mit einer Schwarzen Witwe, die ihre
Geschlechtspartner ziemlich schnell aussauge, bis nichts mehr von ihnen
übrig ist. Früher die SPD und nun FDP - wohl auch wegen dieser Angst ist
Schwarz-Grün seitens des grünen Spitzenpersonals momentan eine befürchtete
Zukunft, nichts, was als Projekt verheißen werden könnte.
Dass der Kirchentag gewiss für die meisten der jungen BesucherInnen in
aufwühlender Erinnerung bleiben wird, versteht sich von allein: So viel
Treffen, so viel Kontakt, spontane oder per Facebook angebahnte, gibt es
sonst im wahren Leben nicht. In der Innenstadt von Dresden, am Elbufer
wurde die Nacht gegroovt, geklimpert, nebeneinander gesessen und vielleicht
auch ein wenig Alkohol getrunken. Man hatte es fein jenseits von zu Hause.
Dresden schien wie ein nazifreies Pflaster für fünf Tage.
5 Jun 2011
## AUTOREN
R. Cloes
J. Feddersen
P. Gessler
## TAGS
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