# taz.de -- Der Soziologe Behrend über den Regenwald: "Das Glas ist zu 99 Proz… | |
> Der Hamburger Soziologe Reinhard Behrend kämpft gegen die Zerstörung des | |
> Regenwalds, dem vielfältigsten Lebensraum der Erde. Sollten wir unseren | |
> Konsum nicht drosseln, wird er nicht zu retten sein, sagt er. | |
Bild: Freund der Natur: Reinhard Behrend. | |
taz: Herr Behrend, ist der Regenwald noch zu retten? | |
Reinhard Behrend: Die ganzen Regenwälder sind schon lange nicht mehr zu | |
retten. Aber es gibt noch riesige Gebiete mit unendlich vielen Tier- und | |
Pflanzenarten, die zu 90 Prozent noch nicht einmal wissenschaftlich | |
entdeckt sind, mit Menschen, die kaum Kontakt mit der Außenwelt haben. All | |
dies können wir noch erhalten. | |
Gerade hat das brasilianische Parlament die Waldschutzgesetzgebung | |
gelockert. Frustriert Sie das? | |
Das kann man wohl sagen. Es ist vor allen Dingen frustrierend, dass es | |
überall Millionen von Menschen gibt, die sich gegen Landraub, gegen die | |
Zerstörung ihrer Umwelt wehren und die wir sehr wirkungsvoll unterstützen | |
könnten mit Geld und Aktionen hierzulande. Aber auf der anderen Seite nimmt | |
die Zahl der Probleme so dramatisch zu, dass man 48 Stunden am Tag | |
bräuchte, um dagegen vorzugehen. | |
Was wäre ein Beispiel für diese Unterstützung? | |
Eine Kollegin von uns ist gerade auf Sumatra, wo es Konflikte gibt zwischen | |
den Waldelefanten und den Menschen, die in der Nähe dieses Waldes gelebt | |
haben. Dieser Wald wird mit Unterstützung der Regierung abgeholzt, obwohl | |
er ein Schutzgebiet sein sollte. Wir lassen zehn Vertreter dieser Menschen | |
in die Hauptstadt Jakarta fliegen, um dort beim Ministerium zu | |
protestieren. Dafür braucht man mindestens 2.000 Euro. | |
Und Rettet den Regenwald beschafft das Geld? | |
In manchen Fällen helfen wir auch organisatorisch. Auf der anderen Seite | |
organisieren wir in den Industriestaaten Protestaktionen, in letzter Zeit | |
hauptsächlich im Internet. Zwei Aktionen haben wir mindestens jede Woche, | |
mit denen wir gegen solche Verbrechen protestieren und 15.000 bis 20.000 | |
Unterschriften sammeln. Neuerdings fangen wir auch an, lokale Gruppen, etwa | |
in Hamburg oder Berlin, zu organisieren. | |
Sie sind Gründer von Rettet den Regenwald. Wie baut man so eine | |
Organisation auf? | |
Das war nicht so geplant, eher ein Verzweiflungsakt. Es gab damals schon | |
Greenpeace und ähnliche Organisationen, aber keiner kümmerte sich um den | |
Regenwald. Ich fing an, den World Rainforest Report, ein Aktivistenblatt | |
aus Australien, zu übersetzen. Dabei stellte ich fest, dass es in anderen | |
Ländern sehr wirkungsvolle Kampagnen gab. In Australien hatten sie richtige | |
Kämpfe um den Regenwald wie bei uns in Brokdorf. Dann haben wir die ersten | |
Kampagnen gegen Plantagen von Coca Cola und vor allem die Riesen-Staudämme | |
in Brasilien begonnen. | |
Wie haben Sie Mitstreiter gefunden? | |
Sie sind einem so zugelaufen. Es spricht sich herum, wenn es Aktionen gibt. | |
Aber damals ging das auch langsam. Wir haben überlegt, ob wir 5.000 oder | |
10.000 Regenwald-Reports drucken. Heute drucken wir 500.000 oder 800.000. | |
Das heißt, Sie haben über die Zeitschrift Mitstreiter geworben? | |
Genau, wenn man bedenkt, wie wenige Mittel wir damals eingesetzt haben, | |
erstaunlich erfolgreich. Beim Hamburger Senat erreichten wir bald einen | |
Verzicht auf Tropenholz. Hinzu kam, dass man plötzlich festgestellt hat, | |
dass die Täter um die Ecke wohnen. Bei mir war es der Verein Deutscher | |
Holzeinfuhrhäuser. Ich habe da in der Mülltonne zwei Jahre lang die | |
Aktionen der Holzhändler verfolgt. Dadurch wussten wir immer, was die mit | |
den Ministerien kungeln. | |
War das nicht heikel für Sie - gerade weil es Ihre Nachbarn waren? | |
Es war total praktisch. | |
Wie sind Sie auf das Thema Regenwald gekommen? | |
Ursprünglich kommt es daher, dass ich in Hamburg aufgewachsen bin, als es | |
in Steilshoop noch Kleingärten gab und Eulen da herumflogen und | |
Fledermäuse. Wer ein Gefühl für die Natur hat, für den sind die Tropen | |
tausendmal aufregender als Steilshoop oder Klein Borstel. Wenn man einmal | |
durch so einen Wald geht, Orang Utans trifft oder einen Gorilla, ist man | |
praktisch in einer anderen Welt. Man wundert sich, warum die Leute sich so | |
um die Dinosaurier kümmern, wo wir diese fremdartige Welt noch bei uns | |
haben. | |
Sind Sie als Tourist dorthin gefahren? | |
Als Hippie. Ich hatte als Kind das Buch "Durch 1.000 Gefahren in Afrika" | |
gelesen, wo Leute den Kongo runtergefahren sind und es war total aufregend | |
für mich. Wenn man dann nach Afrika kommt und sieht, die einzige Gefahr | |
besteht in den Holzlastern mit ihren gigantischen Baumstämmen oder der | |
Umweltverschmutzung ist das ein merkwürdiges Gefühl. | |
Wie sieht Ihre Lobbyarbeit in diesen Ländern aus? | |
Wir schreiben an die Regierungen, Konzerne und internationale | |
Institutionen. Manchmal stellt man dabei fest, dass in den Regierungen der | |
Tropenländer mehr Bereitschaft da ist, etwas für den Erhalt der Umwelt zu | |
tun als hierzulande. In Kambodscha hat die Regierung gerade auf eine | |
Titan-Mine verzichtet, um den Wald und die Elefanten darin zu erhalten. | |
Beteiligen Sie sich am internationalen Konferenzwesen? | |
Wir haben uns an diesen ganzen Tropenholzkonferenzen beteiligt. Letzten | |
Endes ist das Ganze ein großer Basar, wo Stimmen gekauft und Regierungen | |
wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden. Deshalb legen wir darauf keinen | |
Schwerpunkt. Aber wir waren bei Tagungen der Weltbank und haben versucht, | |
diese davon abzuhalten, Palmölplantagen zu finanzieren. Im Vergleich zu den | |
Konzernen und Regierungen mit ihrem fast unerschöpflichen Potenzial können | |
wir freilich wenig ausrichten. Eigentlich müsste man sich ja fragen: Warum | |
erreicht die Regierung so wenig im Umweltschutz? | |
Ihre Antwort? | |
Dass die Regierung wie ein schwankendes Rohr im Wind ist und die | |
Wirtschaftsinteressen immer ganz doll pusten. | |
Wobei die Umweltverbände auch ein kräftiges Echo erhalten… | |
Ich finde, dass die Umweltverbände das Interesse und die Sympathie für ihre | |
Sache zu wenig nützen und die Konzerne nicht direkt genug angreifen. | |
Der Atomausstieg wäre ein Thema, wo das geschehen ist. | |
Das öffentliche Interesse konzentriert sich auf wenige Themen. Die | |
Vernichtung der Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten wird in der | |
politischen Diskussion nicht ernst genommen. Der breiten Bevölkerung ist | |
das nicht bewusst - dabei ist es möglicherweise viel gefährlicher als die | |
Atomenergie. | |
Wie geht das zusammen damit, dass die Leute jedes Mal den Aufstand proben, | |
sobald vor ihrer Tür ein Baum gefällt wird? | |
Was in den Tropen stattfindet, können sich die Leute nicht vorstellen. Das | |
ist wie bei der Fleischproduktion: Wenn jemand durch eine Tierfabrik ginge, | |
würde ihm schlecht und er würde kein Hähnchen mehr kaufen. Wenn ich durch | |
diese tollen Einkaufszentren gehe und goldene Uhren sehe, weiß ich, dass | |
bei deren Herstellung Quecksilber frei wird und Cyanid auf die Abfallhalden | |
gelangt. Für die Stahlkochtöpfe werden riesige Erzminen angelegt und die | |
Baumwolle kommt von vergifteten Feldern. Ich gehe da durch und habe den | |
Eindruck einer Geisterbahn. Die meisten Leute wissen das nicht oder wollen | |
es nicht wissen. | |
Kann man von allen Menschen erwarten, dass Sie hinter jedem Produkt dessen | |
ökologisches Skelett sehen? | |
Wir tun, was wir können, um diese schöne Fassade zu zerreißen. Unsere | |
Arbeit hat sich sehr verkompliziert. Früher haben die Leute Tropenholz | |
gesehen und gewusst: Dafür werden diese riesigen alten Bäume umgesägt. | |
Heute sind Regierungen und Konzerne dazu übergegangen, um alles ein | |
ökologisches Mäntelchen zu hängen: Sie behaupten, dass es ökologisches | |
Tropenholz gebe, nachhaltiges Palmöl, nachhaltiges Soja. | |
Lehnen Sie die Zertifizierung von nachhaltig bewirtschaftetem Holz nach den | |
Vorgaben des Forest Stewardship Council (FSC) ab? | |
Wenn man genau hinguckt, ist das alles ein riesiger Verbraucherbetrug. Die | |
allermeisten Hölzer der Tropen stammen aus absolut sozial- und | |
umweltfeindlichen Plantagen von Eukalyptus und ähnlichem. | |
Wieso gehen dann Organisationen wie der WWF darauf ein? | |
Es ist für große Organisationen manchmal schwierig, konsequent zu handeln, | |
weil darin unterschiedliche Interessen auftreten. Und dann gibt es noch | |
unterschiedliche Mentalitäten: Der eine sagt, das Glas ist halb voll, und | |
der andere sagt, das Glas ist halb leer. | |
Sind Sie ein "Das Glas ist halb leer Typ"? | |
Ich bin ein "Das Glas ist zu 99 Prozent leer"-Typ. | |
5 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
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