| # taz.de -- João Gilberto zum 80.: Zenmeister der Tropen | |
| > Ein Querkopf verändert die Welt. João Gilberto wandelte 1958 den Samba | |
| > zum Bossa nova um. Der große Erneuerer wird nun 80 Jahre alt | |
| Bild: Der Erfinder des Bossa nova bei einem Auftritt in Brasilien im Jahr 2008. | |
| Wenn man von Orpheus sagt, dass er mit seinen Liedern die Sonne aufgehen | |
| lässt, so lockt ein älterer Herr mit Hornbrille eines Abends beim | |
| Jazzfestival in Montreux 2003 mit seiner Gitarre den Mond über den | |
| Horizont. Seine Stimme ist eine Mischung aus warmem Fagott und flüsterndem | |
| Flügelhorn, sein Gitarrenspiel pure ökonomische Eleganz. Das Publikum | |
| möchte keinen Ton verpassen von der stillen Suche nach überirdischer | |
| Schönheit, die überraschenderweise auf der Bühne entsteht. Denn eigentlich | |
| gibt der Musiker keine Konzerte mehr und lebt zurückgezogen in einem | |
| Apartmenthaus im Süden Rios. | |
| Vielleicht ist es die sanfteste Revolution der Musikgeschichte, die dieser | |
| João Gilberto Prado Pereira de Oliveira, Sprössling eines wohlhabenden | |
| Geschäftsmanns aus dem Nest Juazeiro in Bahia einst losgetreten hatte. Eine | |
| Vokalgruppe namens Garotos da Lua entdeckt ihn 1950 und nimmt ihn nach Rio | |
| mit. Und sie feuern ihn auch schnell, denn mit festen Probeterminen kann er | |
| nichts anfangen. Jahrelang lebt Gilberto in den Tag hinein, hält sich mit | |
| Gelegenheitsjobs über Wasser, raucht Marihuana. | |
| Während 1956 der Reformer Juscelino Kubitschek zum brasilianischen | |
| Präsidenten gewählt wird und das Land mit den westlichen Industrienationen | |
| zu verknüpfen beginnt, begibt sich João Gilberto in Kontemplation. In | |
| Diamantina im Bundesstaat Minas Gerais schließt er sich auf dem Klo seiner | |
| Schwester ein - der guten Kachelakustik wegen. Nach Monaten des Übens | |
| gebiert die Klausur im Hinterland einen neuen Stil. Er ist bestimmt von | |
| verzögerter Phrasierung zwischen Gitarre und Stimme, komplexen Harmonien | |
| und einer zarten, fast gesprochenen gesanglichen Lautmalerei mit Weisen wie | |
| "Hô-bá-lá-lá" und "Bim Bom", Gilbertos frühen Blaupausensongs. | |
| Es gelingt ihm, die perkussive Songstruktur der Samba mit seiner Gitarre | |
| abzuspecken und müheloser klingen zu lassen. 1957 kehrt Gilberto damit nach | |
| Rio zurück. Zuerst verfällt dem neuen Sound der Gitarrist Roberto Menescal, | |
| es folgen die Schüler seiner Musikschule. Bald spielt er Sound auf Partys | |
| und erfasst schließlich Konzertbühnen, bis ihn ein Journalist als "bossa | |
| nova" bezeichnet, als neue Welle. Eine Formel für Jugend. | |
| Auch Stars werden auf Gilberto aufmerksam. Der junge Komponist Antônio | |
| Carlos Jobim hat ein Lied in der Schublade, mit Gilbertos intimer Stimme | |
| und seinem Gitarrenspiel würde sich das toll anhören, denkt er. Dieser | |
| Song, "Chega de Saudade", fegt den schwülstigen Muff und Herzschmerz der | |
| brasilianischen Musik weg. Schließlich geben auch die Musikmanager nach. | |
| Drei Alben darf das Erfolgsduo Gilberto/Jobim bis 1961 aufnehmen. Diese 40 | |
| Songs begründen den Kanon des Bossa nova, Welthits wie "Corcovado", | |
| "Insensatez" und "Desafinado". | |
| ## "Girl from Ipanema" | |
| Alles einprägsame Songs, in denen das lyrische Ich mit seinem Unvermögen | |
| kokettiert, die Töne zu treffen oder so lange auf einem Ton beharrt, bis es | |
| keine Akkorde mehr gibt, die man dazu setzen könnte. Leichtfüßige, mit | |
| wenig Perkussion, Pianotupfern und Flötentönen ausgestattete Songs, stets | |
| mit dieser unglaublich wendigen Stimme. | |
| Nach einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall wird Gilberto 1964 von | |
| der Bühne herunter für Aufnahmen verpflichtet. So entsteht der Song "Girl | |
| from Ipanema". Zu Hause in Brasilien fahren da schon die Panzer der | |
| Militärjunta auf, machen der Unbeschwertheit ein Ende. Doch auch danach | |
| nimmt er weiter fabelhafte, immer reduziertere Alben auf, zuletzt, vor elf | |
| Jahren "João Voz e Violão", mit einer Stimme, die immer hauchender wird, | |
| als sei er der Zenmeister der Tropen. | |
| Doch die Medien pflegen lieber den Mythos vom weltabgewandten Exzentriker. | |
| Je konsequenter er sich der Öffentlichkeit seit den Siebzigern entzieht, | |
| zuerst im Ausland, dann in seinem Apartment im Süden Rios, in dem er nachts | |
| lebt und tags schläft, desto weiter sprießen Gerüchte. Er rede mit Katzen, | |
| kommuniziere nur über seine vielen Handys mit der Außenwelt und spiele | |
| ununterbrochen Gitarre. | |
| Jüngst hat sich der Berliner Autor Marc Fischer detektivisch, poetisch und | |
| auch ein bisschen manisch dem Erfinder des Bossa nova angenähert - und alte | |
| Weggefährten und Geliebte getroffen, Gilbertos Lieblingsgericht gegessen, | |
| ihm einen Joint zukommen lassen. Sogar in dem Badezimmer in Minas Gerais | |
| Gitarre hat er gespielt. Getroffen hat er João Gilberto aber nicht. | |
| Stattdessen hat Fischer tragischerweise vor der Veröffentlichung seines | |
| Buchs seinem Leben ein Ende gesetzt, halb so alt wie Gilberto. Der wird, | |
| ganz nach seiner Gewohnheit, seinen 80. Geburtstag wohl nicht feiern. | |
| Wahrscheinlich kitzelt er in seinem Apartment ein Quäntchen mehr Schönheit | |
| aus seiner Gitarre. | |
| 9 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Franzen | |
| ## TAGS | |
| Brasilien | |
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