| # taz.de -- Festival "Radical Riddims": Superhybriden aus der fünften Welt | |
| > Das Festival "Radical Riddims" in Berlin hat Popkünstler aus Südafrika | |
| > oder Brasilien eingeladen und beschäftigt sich mit ihren | |
| > Produktionsweisen. | |
| Bild: Gemisch aus Cyberfunk, Dancehall und Kwaito: Spoek Mathambo. | |
| Bei einem Thema war sich dieses Jahr die Popkritik hierzulande so einig, | |
| wie es viele angesichts der digital versprengten Welt nicht mehr für | |
| möglich hielten: Titelstory bei den Allesfressern von Intro und den | |
| Trüffelschweinen von De:Bug, Feuilletonweihen in der SZ. Selbst das | |
| ARD-"Nachtmagazin" wusste über den neuen Trend "Dub-Step" Bescheid. | |
| Anlass zur einhelligen Begeisterung gab ein junger Brite, der subsonisches | |
| Wummern mit fragilem Songwriting vereint hat: James Blake - der Hype, bei | |
| dem sich alle mal wieder so richtig nonkonform fühlen durften. Dabei wärmt | |
| seine Single "Limit To Your Love" bloß die alte Indie-Erzählung aus | |
| Melancholie, Autonomie und Beschränkung der Mittel auf: blasses Wunderkind | |
| jammert Verflossener hinterher - diesmal über Subbässen. Das gefällt | |
| rocksozialisierten wie cluberfahrenen, in jedem Fall aber ebenso blassen | |
| Redakteuren. | |
| Für die transatlantische Bassmusik ist der Rummel um James Blake eher ein | |
| Schritt zurück gewesen, lenkt das als genial rezipierte Künstlersubjekt den | |
| Blick doch ab von der Meute aus Produzenten und DJs, die seit einiger Zeit | |
| die wirklich neuen Impulse in der Clubkultur setzen - und aus deren | |
| Reservoir nicht zuletzt Blake selbst schöpft. Ohne etwa die | |
| Soundsystemkultur karibischer Einwanderer in Großbritannien wäre sein | |
| freier Umgang mit Stimme, Stille und Bass undenkbar. | |
| Dubstep ist - wie HipHop und House zuvor - Ableger einer Kultur, in deren | |
| Programm die Migration von Sounds eingeschrieben ist. Die Globalisierung | |
| regionaler Stile hat durch das Internet zu einer Explosion der Vielfalt auf | |
| den Tanzflächen geführt. Produziert wird nicht mehr nur in den Zentren des | |
| Nordens, sondern vermehrt in Johannesburg, Buenos Aires oder Monterrey. In | |
| der nordmexikanischen Stadt sind um den DJ-Producer Toy Selectah in den | |
| letzten Jahren gleich drei neue Subgenres entstanden: Cumbia Rebajada, | |
| Huichol Musical und Tribal Guarachero, die die traditionelle Musik | |
| Lateinamerikas mit Synthiemelodien und elektronischen Beats kurzschließen. | |
| ## Ende der fetten Jahre | |
| Weitgehend unbemerkt von Popmagazinen und Tageszeitungen spuckt die Global | |
| Dance Music einen frischen Stilhybriden nach dem anderen aus: Tecnobrega | |
| aus dem Norden Brasiliens, Durban Kwaito Music von südafrikanischen | |
| Szenestars wie Professor oder neuerdings Moombahton. Die Akteure kommen aus | |
| den Innenstädten, Townships und Dancehalls am Äquator, ihre Multiplikatoren | |
| aus den Metropolen Europas und Nordamerikas. Blogs wie "Ghetto Bassquake" | |
| und "Dutty Artz" berichten die Neuigkeiten. Sharehoster-Seiten sind zum | |
| Gratis-Marktplatz der digitalen Folklore geworden. Was für viele Musiker | |
| das Ende der fetten Jahre bedeutet, markiert für bisher marginalisierte | |
| Künstler die Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden. | |
| Bekanntester Vertreter der Global Dance Music ist der US-Produzent Wes | |
| Pentz alias DJ Diplo. Mit seinem Projekt Major Lazer hat er die | |
| szeneübergreifende Hymne der Bewegung komponiert: "Pon De Floor", eine fast | |
| schon körperliche Attacke mit Einflüssen aus Dancehall Reggae, Acid und | |
| Baltimore Club. Die R&B-Sängerin Beyoncé hat das zwingende Tanzstück für | |
| ihre jüngste Single "Run The World (Girls)" gesampelt und schreibt damit | |
| die Liaison zwischen tropischem Underground und US-Pop seit dem Erfolg der | |
| tamilisch-britischen Sängerin M.I.A. fort. | |
| Auf Diplos Label Mad Decent erscheint dieser Tage auch die erste | |
| Moombahton-Compilation. Der jüngste Spross der Weltmusik 2.0 löst gerade | |
| Cumbia Digital als Durchlauferhitzer der weltoffenen Clubmusik ab. Eine | |
| Mischung aus Reggaeton und Dutch House: gerade Midtempo-Grooves mit dicken | |
| Kicks, verstrahlten Electro-Stabs, euphorisierenden Soundrampen - und in | |
| jede Richtung erweiterbar, sei es Soul, Dubstep oder Metal. Moombahton ist | |
| durch einen Zufall entstanden: Der Washingtoner DJ Dave Nada drosselte das | |
| Tempo von Housetracks, als er für Reggaeton-Fans spielen musste. Zur Blüte | |
| ist der Sound auf den Datenautobahnen zwischen der Ostküste der USA und den | |
| Niederlanden gekommen. Nada tauschte Remixe mit Sabo aus New York und dem | |
| Rotterdamer Munchi aus, einem 21-jährigen Produzenten dominikanischer | |
| Herkunft. Mittlerweile fluten Boyfriend aus Vilnius, der Pariser Brodinski | |
| oder Heartbreak aus Charlotte das Netz mit Edits aus Rap, Reggae und | |
| Techno. | |
| ## "Fifth World Music" | |
| Anders also als die meisten Genres hat Moombahton eine globale Dimension | |
| erreicht, noch bevor der Sound an einem bestimmten Ort groß geworden wäre. | |
| Moombahton ist der Prototyp einer "Fifth World Music". So nennt der Blogger | |
| Kid Shirt die postgeografischen und posthistorischen Superhybriden der | |
| iPod-Ära, in der das gesamte Musikarchiv des Planeten nur einen Mausclick | |
| voneinander entfernt ist. Der Begriff erweitert die Idee der "Fourth World | |
| Music", die der Jazztrompeter Jon Hassell in den Achtzigern für die | |
| Verflechtung von uralten Ritualen und hochmodernen Technologien formuliert | |
| hat, wie sie etwa David Byrne praktiziert hat. Vorbei hingegen ist die Idee | |
| einer Weltmusik, die "bedrohte Arten" aus der sogenannten Dritten Welt in | |
| die Konzertsäle der Ersten Welt bringt und dort bewahren möchte. Das damals | |
| geforderte "planetare Bewusstsein" durch musikalische Gemeinsamkeiten hat | |
| sich erübrigt, seit das Internet zur Botschaft geworden ist. | |
| Wie neu und vielversprechend diese Fünfte-Welt-Musik klingen kann, beweist | |
| ein Gast beim Festival "Radical Riddims". Spoek Mathambo aus Johannesburg | |
| lässt sich mit einem eigenwilligen Gemisch aus Cyberfunk, Dancehall und | |
| Kwaito unmöglich einer Region zuordnen. Dazu hat den Joy-Division-Klassiker | |
| "Control" einem Remix unterzogen. Der smarte Weltreisende Uproot Andy | |
| wiederum lässt - wie der Name schon sagt - die Wurzeln folkloristischer | |
| Stile wie Bachata und Cumbia neu aufsprießen. Und dass das aktuell | |
| richtungsweisende Baile-Funk-Album ausgerechnet aus Deutschland kommt, | |
| hätte vor ein paar Jahren auch niemand vermutet. Auf "Rambazamba" holt der | |
| Berliner Produzent Daniel Haaksman nicht nur Brasilien nach Europa, sondern | |
| bringt auch den Balkan mit dem Orient und der Karibik zusammen. Damit ist | |
| Haaksman für die Global Dance Music gelungen, was Daft Punk mit ihrem | |
| Debütalbum einst für House geschafft haben: ein gültiges Standardwerk der | |
| besten Tanzmusik zur Zeit - und diesmal wirklich "Around The World". | |
| 9 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Uh-Young Kim | |
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