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# taz.de -- Frank-Walter Steinmeier über Energiepolitik: "Eine politische Irrf…
> Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank-Walter Steinmeier, hält der
> Kanzlerin bei der Energiewende Ziellosigkeit vor. Sie bestätige mit ihrer
> Politik alles, was sie zuvor bekämpft habe.
Bild: Auch auf der Straße gegen Atomkraft unterwegs: Frank-Walter Steinmeier.
taz: Herr Steinmeier, müssen Sie der Kanzlerin zur vollendeten Energiewende
gratulieren?
Frank-Walter Steinmeier: Es gibt keinen Anlass zum Gratulieren. Wir erleben
gerade das energiepolitische Waterloo dieser Regierung. Die Kanzlerin
wollte ausgerechnet bei der Energiepolitik noch vor sechs Monaten
Handlungsfähigkeit beweisen - mit der verhängnisvoll falschen
Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Jetzt muss sie nach einer
energiepolitischen Irrfahrt nicht nur zurück zum Ausgangspunkt. Sie muss
alles bestätigen, was Rot-Grün - heftig bekämpft von den heutigen
Regierungsparteien - bei Atomausstieg und erneuerbaren Energien auf den Weg
gebracht hat.
Bei den Probeabstimmungen schien die eigene schwarz-gelbe Mehrheit in
Gefahr. Ein Problem?
Die Kanzlerin weiß, dass sie für die doppelte Kehrtwende in der
Energiepolitik eine Mehrheit im Regierungslager braucht. Darum werden die
sich in den nächsten vier Wochen bemühen, und ich rechne damit, dass die
das hinkriegen. Aber der Beweis ist schon geliefert, dass kluge
Energiepolitik nur mit SPD und Grünen möglich ist.
Auch die SPD schien eigentlich lange unsicher, ob sie dem schwarz-gelben
Konzept zustimmen soll.
Wir haben doch gezeigt, wie wichtig es war, nicht frühzeitig einen
Blankoscheck auszustellen. Nur deshalb ist die Bundesregierung zum Modell
des rot-grünen Ausstiegs zurückgekehrt; und das heißt, nicht alle AKWs
laufen bis 2022, sondern gehen nach und nach vom Netz, und zwar endgültig.
So hatten wir es vorgesehen. Wenn wir jetzt wieder an diesem Punkt sind,
suche ich nicht taktisch nach Gründen, um der Koalition eine Zustimmung zur
Laufzeitbegrenzung zu verweigern.
In Ihrem eigenen Energiekonzept wollen Sie soziale Balance, Atomausstieg,
Klimaziele einhalten und Preisanstiege begrenzen. Das klingt nach einem
unrealistischen "Wünsch dir was".
Das Gegenteil ist der Fall. Ob uns das gefällt oder nicht: Wir werden die
Zukunft der Energiepolitik erfolgreich nur im Dreieck von ökologischen
Zielen, wirtschaftlicher Tragfähigkeit und sozialer Balance umsetzen.
Warum sagt die SPD nicht einfach: Energie muss teurer werden?
Was heißt sagen? Das ist doch nicht sehr mutig. Wir haben es gemacht,
erstmals mit der Ökosteuer, dann mit der Förderung der erneuerbaren
Energien. Übrigens so überzeugend, dass viele Staaten unser Modell
übernommen haben. Und ich füge hinzu: Wenn wir jetzt noch ehrgeiziger beim
Umstieg in Erneuerbare werden wollen, wird Energie mehr Geld kosten. Da
dürfen wir den Menschen überhaupt nichts vormachen. Falsche Versprechungen
oder Verharmlosungen holen uns ein.
Muss der Staat deutlich mehr Geld für Subventionen ausgeben?
Ich rechne damit, dass das Fördervolumen für Erneuerbare ansteigen wird.
Anders werden wir die nötige Steigerung bei erneuerbaren Energien gar nicht
erreichen können. Die großen Investitionen für Offshore-Windparks stehen
uns erst noch bevor.
Kohlekraftwerke produzieren günstigen Strom. Geben die Sozialdemokraten der
Kohle eine Zukunft?
Derzeit befinden sich neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 10
Gigawatt im Bau und in der Planung. Darüber hinausgehende
Investitionsplanungen in Kohle kann zumindest ich nicht erkennen. Auf
fossile Übergangstechnologien werden wir beim beschleunigten Ausstieg aus
Atom nicht völlig verzichten können. Aber die Energieversorger werden in
die Gasverstromung investieren, die auch die ideale technische Ergänzung zu
Erneuerbaren ist.
Das heißt, zusätzliche Kohlekraftwerke sind ausgeschlossen?
Es gibt kein gesetzliches Verbot. Aber weshalb sollte ein Unternehmen in
ein Vorhaben investieren, das hochriskant ist, wenn es auch in rentable
Gaskraftwerke investieren kann.
Das sagt gerade der Fraktionsvorsitzende der Kohlepartei SPD?
Ach wissen Sie: Es war ein sozialdemokratischer Bundeskanzler einer
rot-grünen Regierung mit einem sozialdemokratischen Verhandlungsführer, der
den Atomausstieg organisiert hat. Und beide kamen aus dem Kohle-Land NRW.
Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Menschen, die den Strukturwandel etwas
hautnäher erlebt haben, einen ganz nüchternen Blick auf die Zukunft der
Energiepolitik haben.
Am Freitag debattiert der Bundestag die Europapolitik - außenpolitisch hat
sich Kanzlerin Merkel von Libyen bis Euro in den vergangenen Wochen
angreifbar gemacht.
Es gibt kein außenpolitisches Profil, keine Richtung, keine Initiativen.
Außenpolitik ist bei Schwarz-Gelb keine eigenständige Größe mehr, sondern
Teil des täglichen Überlebenskampfes dieser Koalition! Sie kreist 24
Stunden am Tag um sich selbst. Merkel hat keine Haltung zu Europa: In
Brüssel hält Merkel eine Rede zur europäischen Solidarität, weil es gerade
passt. Ein anderes Mal - im Sauerland - bedient sie den Stammtisch mit
allen Ressentiments gegen Südeuropäer. Das ist nicht nur keine Linie. Das
ist eine gefährliche Form der Europapolitik.
Merkel hat in Europa einen "Wettbewerbspakt" durchgesetzt, der Ländern
Lohnzurückhaltung vorschreibt und Schuldenbremsen installiert. Verkauft die
Kanzlerin erfolgreich ihre Idee vom erfolgreichen Deutschland?
Merkel sät vor allem Verärgerung. Deutschlands Rolle irritiert die
Europäer. Die kleinen Mitgliedsländer sind verunsichert, weil Deutschland
nicht mehr als Mittler zwischen kleinen und großen Ländern auftritt. Und
die großen Länder wie Frankreich treffen ohne Deutschland die wichtigen
Entscheidungen. Wir sind innerhalb von knapp 2 Jahren aus dem Zentrum der
europäischen Willensbildung an die Peripherie gerückt. Das macht mir Sorge.
Auch deshalb, weil sich dies nicht so leicht wieder umkehren lässt.
Hat Europa noch Zukunft?
Wir verdanken Europa Wohlstand und über 60 Jahre Frieden in unserem Land.
Aber wir werden die europäische Krise nicht überwinden, indem wir Europa
sich selbst überlassen. Europa braucht einen neuen Geist des Miteinanders.
Deutschland muss sich diesem europäischen Geist verpflichten und in die
Verantwortung gehen. Denn Tendenzen zur Renationalisierung in Europa sind
augenscheinlich, national-populistische Parteien gewinnen Zulauf; nicht nur
in Ungarn, auch in den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Finnland.
Gerade wir sollten uns in der Pflicht sehen, dem etwas entgegenzusetzen.
8 Jun 2011
## AUTOREN
G. Repinski
U. Schulte
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
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