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# taz.de -- Flüchtlinge aus Libyen: Eine afrikanische Odyssee
> Der Krieg treibt tausende Migranten in die Flucht – über das Mittelmeer
> oder durch die Wüste. Und viele sterben dabei. Hilfe aus dem Westen kommt
> nicht.
Bild: Gekentertes Flüchtlingsboot aus Libyen. 270 Menschen sollen bei dem Ungl…
BERLIN taz | Sie verstecken sich in der Hauptstadt Tripolis oder harren in
südlibyschen Wüstenstädten aus. Manche hoffen auf ein Boot über das
Mittelmeer, andere haben den schwierigen Landweg in Libyens Nachbarländer
Tunesien, Ägypten, Tschad und Niger hinter sich und stehen jetzt vor dem
Nichts.
Die afrikanischen Migranten aus Ländern südlich der Sahara, deren Zahl in
Libyen vor Kriegsbeginn auf bis zu 1,5 Millionen Menschen geschätzt wurde -
ein Viertel der Landesbevölkerung -, sind die vergessenen Opfer des
Konflikts, denn ihre Heimatländer kommen ihnen nicht zur Hilfe. Und immer
wieder sorgen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer, bei denen überladene Boote
voller Afrikaner aus Libyen untergehen, für Schlagzeilen.
1.000 bis 1.650 Menschen sind unterschiedlichen Schätzungen zufolge seit
Februar bei der Flucht aus Libyen ertrunken. Lebend kamen bis zum 6. Juni
16.512 Flüchtlinge aus afrikanischen Drittstaaten auf Lampedusa oder Malta
an, berichten übereinstimmen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die
Internationale Organisation für Migration (IOM). Von diesen stammten über
die Hälfte aus westafrikanischen Ländern wie Nigeria, Ghana, Mali und
Elfenbeinküste; weitere größere Kontingente stellten Bangladesch sowie
Eritrea und Somalia.
Eine noch viel größere Zahl von Migranten flieht nicht über das Mittelmeer
nach Norden, sondern durch die Wüste Sahara nach Süden. Niger hat laut IOM
über 71.000 Menschen aus Libyen aufgenommen, Tschad über 30.000, jeweils
fast alle Staatsbürger der beiden Länder. Sie reisen teils wochenlang auf
überfüllten offenen Lastwagen mit jeweils 100 Passagieren durch die Wüste,
mit viel zu wenig Nahrung und vor allem Trinkwasser. Viele kommen schwer
krank in Wüstenorten an, wo die lokale Bevölkerung selbst schon am
Existenzminimum lebt. Ihre Ankunft sorgt dann für explodierende Preise und
lokale Spannungen.
## Hilfsapelle verhallen unbeachtet
Wie viele der Libyenflüchtlinge bereits unterwegs in der Wüste gestorben
sind, ist unbekannt. Aber weitere 25.000 Tschader sitzen im südlibyschen
Gatroum fest, 10.000 Malier in der Stadt Sabha und anderen Städten. In
Tripolis selbst haben sich tausende afrikanische Migranten zusammen mit
einigen Filipinos an zwei Orten versammelt. Und viele weitere sind laut
IOM-Statistiken nach Tunesien und Ägypten ausgereist.
Insgesamt haben IOM und UNHCR die Ausreise von knapp 280.000 Bürgern von
Drittländern aus Libyen registriert. IOM-Sprecher Jean-Philippe Chauzy sagt
sogar, die meisten der über 960.000 Personen, die seit Kriegsbeginn Libyen
verlassen haben, seien afrikanische Migranten.
Chauzy kann den [1][im taz-Interview geäußerten Vorwurf von Klaus-Josef
Rösler], Chef der EU-Grenzagentur Frontex, wonach das Gaddafi-Regime in
Libyen afrikanische Migranten in die Flucht zwinge, nicht bestätigen.
Derartige Meldungen beruhten auf einem einzigen Vorfall, den Ankömmlinge in
Lampedusa berichtet hätten, erklärt er. "Wir können nicht sagen, dass es
eine systematische Politik der libyschen Behörden ist." Wohl aber "hat die
Stigmatisierung von Afrikanern in der gegenwärtigen Situation zugenommen".
Viele wollten aber Libyen nicht verlassen, weil sie dann ihr Hab und Gut
sowie ausstehende Löhne endgültig verlieren.
Appelle an europäische Länder, mehr für die Afrikaflüchtlinge aus Libyen zu
tun, stoßen bisher auf taube Ohren. Deutschland sagt, man solle lieber
humanitäre Hilfe vor Ort leisten; aber der geltende Hilfsappell des UNHCR
über 80,6 Millionen Dollar ist nur zu rund 60 Prozent finanziert, der
Gesamtappell der UNO für die Libyenkrise in Höhe von 407 Millionen Dollar
nur zu 47 Prozent.
Das UNHCR warnte am Dienstag in Genf, Treibstoff in Libyen werde knapp,
Lebensmittelpreise stiegen deutlich an. Zunehmend heftige Kämpfe und
Repressalien des Gaddafi-Regimes im Westen Libyens sorgen derweil für noch
größere Flüchtlingsbewegungen. Allein in den 24 Stunden bis Dienstagmorgen
überquerten nach UN-Angaben 6.850 Menschen die libysche Grenze nach
Tunesien. Die meisten waren nicht mehr Migranten, sondern Libyer.
9 Jun 2011
## LINKS
[1] /1/politik/europa/artikel/1/das-mandat-von-frontex-ist-begrenzt/
## AUTOREN
Dominic Johnson
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