# taz.de -- Neuer ILO-Bericht zu Kinderarbeit: Pestizide im Schlafzimmer | |
> Sie arbeiten mit Giften und mit gefährlichen Werkzeugen, werden sexuell | |
> missbraucht: Mehr als die Hälfte aller Kinderarbeiter sind an Leib und | |
> Leben gefährdet. | |
Bild: 115 Millionen Kinder weltweit sind mit gefährlichen Tätigkeiten befasst. | |
BERLIN taz | Es muss nicht immer der Steinbruch sein. Egal, ob beim | |
Bewässern von Pflanzen, dem Umgang mit Pestiziden und scharfem Farmwerkzeug | |
oder der Ernte auf Feldern oder auf Bäumen: auch Kinder, die in der | |
Landwirtschaft arbeiten müssen, machen einen gesundheitsgefährdenden, oft | |
lebensgefährlichen Job. Sie können sich Muskeln und Knochen verletzen, | |
ganze Gliedmaßen verlieren, Wirbelsäulenprobleme bekommen und sich | |
vergiften oder infizieren. | |
Das zeigt [1][der Report] "Children in hazardous work. What we know. What | |
we need to do", den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) am Freitag | |
veröffentlicht hat. | |
"Kinder und Jugendliche verletzen sich deutlich häufiger als Erwachsene, | |
wenn sie gefährliche Arbeiten verrichten", heißt es dort. Zudem seien | |
Zellen, Muskeln und Organe in der Entwicklungsphase anfälliger für Gifte, | |
Allergene und krebsauslösende Stoffe. Trotzdem: Mehr als die Hälfte der | |
weltweit rund 215 Millionen arbeitenden Jungen und Mädchen – nämlich rund | |
115 Millionen – sind mit genau solchen Tätigkeiten beschäftigt, rund 68 | |
Millionen davon in der Landwirtschaft. | |
## Zu wenige spezielle Programme für Kinder | |
Aber auch in anderen Wirtschaftssektoren leben Kinderarbeiter den | |
ILO-ExpertInnen zufolge riskant: Sie verbrennen oder verbrühen sich beim | |
Kochen, bekommen Allergien von scharfen Reinigungsmitteln, | |
Krebserkrankungen durch ungeschützten Kontakt zu giftigen Farben oder | |
Chemikalien in der Industrie oder kaputte Atemwege von der Arbeit im | |
Steinbruch – ganz abgesehen von Stresserkrankungen und sexuellen | |
Übergriffen. | |
Obwohl die öffentliche Vorstellung von Kinderarbeit gerade von Abbildungen | |
solcher Tätigkeiten geprägt, gebe es bislang viel zu wenig spezielle | |
Programme für Kinder, die ihnen nachgehen müssten, heißt es im Report. | |
Dabei haben sich die Vereinten Nationen 2006 das Ziel gesetzt, die | |
schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2016 zu beseitigen. | |
Bei ihren Empfehlungen unterscheiden die ILO-ExpertInnen zwischen den | |
Altersgruppen fünf bis 14 und 15 bis 17 Jahre. Bei den Jüngeren gebe es | |
"nur eine Option": Sie müssten von allen Arbeiten abgezogen werden, bei | |
denen sie ihre Gesundheit oder ihre Entwicklung riskierten. Bei den Älteren | |
gebe es dagegen auch die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern | |
- sowohl durch striktere gesetzliche Regelungen, den verstärkten Einsatz | |
von Arbeitsinspektoren, gezielte gesundheitliche Bildung oder auch | |
staatlich unterstützte technische Verbesserungen der Produktionsmittel. | |
Beispiel Ghana. Viele Farmer schätzen Pestizide so sehr, dass sie sie in | |
den Räumen aufbewahren, in denen ihre Familien auch essen und schlafen. | |
Hier organisierte die Behörde für Arbeitsschutz und Gesundheitsfürsorge an | |
Sonntagen und Feierabenden Bildungsveranstaltungen, auf denen sie den | |
Farmern mithilfe drastischer Fotos von Chemikalienopfern die Folgen des | |
ungeschützten Umgangs mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln nahebrachte. | |
## Teppichknüpfverbot wird nicht eingehalten | |
Beispiel Pakistan. Hier ist Teppichknüpfen für Kinder unter 14 Jahren seit | |
1991 verboten. Untersuchungen zeigten aber, dass sich dieses Verbot gerade | |
in Kleinstbetrieben kaum überwachen lässt, wo die Bedingungen oft am | |
schlechtesten sind: Schlechtes Licht und die gebückte Haltung an alten | |
Webstühlen verursachen Knie- und Schulterdeformationen sowie Sehschwächen. | |
Zugleich können viele Familien aber nicht auf die Mehreinnahmen verzichten, | |
die Teppiche mit besonders feinen Mustern bringen, die nur mit sehr kleinen | |
Fingern geknüpft werden können. Die Arbeitsschutzbehörde ließ daraufhin | |
einen Webstuhl entwickeln, der die filigrane Arbeit auch für ältere | |
Teppichknüpfer möglich macht, die Herstellung insgesamt beschleunigt und | |
dabei auch ergonomischen Anforderungen genügt. Die Regierung legte ein | |
Kreditprogramm auf, um ärmere Familien bei der Anschaffung zu unterstützen. | |
Aus solchen Beispielen müssten Strategien entwickelt werden, die auch auf | |
andere Bereiche übertragbar seien, fordert die ILO. Überwinden werde man | |
erzwungene Kinderarbeit jedoch erst, wenn man sich "ihren Wurzeln zuwendet" | |
- der Armut und dem fehlenden Zugang zu Bildung: "Erwachsene müssen die | |
Chance haben, einer guten Arbeit nachzugehen, die Schwächsten brauchen | |
staatlichen Sicherungssysteme." | |
10 Jun 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ilo.org/global/publications/books/forthcoming-publications/WCMS_… | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
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