# taz.de -- Kampf gegen Präsident Assad im Netz: Syriens Cyber-Partisan | |
> Aus Beirut verbreitet Rami Nakhle Nachrichten übers Netz. Ohne Aktivisten | |
> wie ihn wüsste niemand, was in Syrien geschieht. Der Geheimdienst ist ihm | |
> auf der Spur. | |
Bild: Auf Twitter hat Rami Nakhle, der sich im Netz Malath Aumran nennt, über … | |
Immer wenn er seinen Laptop öffnet, dringen Stimmen aus allen Ecken Syriens | |
auf ihn ein. Fließend manövriert er zwischen den verschiedenen Fenstern, | |
die sich auf seinem Bildschirm überlappen. Auf Twitter flackern Bilder von | |
Massenprotesten vorüber: In der Stadt Hama füllt eine dichte Masse die | |
Straße vor einer Moschee, die Leiche eines Demonstranten wird | |
vorübergetragen: "Es gibt keinen Gott außer Gott", rufen die Menschen. | |
Über Twitter, Skype und Facebook strömt eine Flut von Nachrichtenschnipseln | |
herein. "Nach einem großen Protest am Nachmittag: Massenverhaftungen im | |
Dorf Naima", schreibt Rami Nakhle, "Kerzenlichtwache heute Abend in | |
Qamishli." Dann postet er das Video eines desertierten Soldaten, der von | |
Rissen in der Armee berichtet. | |
Rami Nakhle, 28 Jahre alt, ein Politikwissenschaftsstudent aus Damaskus, | |
ist einer der prominenstesten Cyberaktivisten, die den Aufstand gegen das | |
autoritäre Regime von Präsident Baschar al-Assad an der virtuellen Front | |
vorantreiben. "Das Internet spielt für die Proteste eine Schlüsselrolle", | |
sagt er in einem Interview über Skype. "Alles hat im Internet begonnen. | |
Lange bevor die Menschen tatsächlich auf die Straße gegangen sind, haben | |
wir angefangen, uns im Cyberspace zu vernetzen." | |
Doch damit hat sich Rami Nakhle mächtige Feinde gemacht. Vor einigen | |
Monaten ist er in der libanesischen Hauptstadt Beirut untergetaucht. Er | |
versteckt sich bei Freunden, bleibt nie länger als ein paar Nächte an einem | |
Ort. Er weiß, dass er auch im Libanon nicht sicher ist; der Einfluss der | |
syrischen Sicherheitsdienste reicht weit in das kleine Nachbarland hinein. | |
So wie schon in Tunesien und Ägypten filmen auch die Oppositionellen in | |
Syrien ihre Proteste und verbreiten die Aufnahmen über soziale Netzwerke. | |
Doch anders als in diesen beiden Ländern sind die Bilder aus dem Internet | |
die einzigen, die überhaupt zeigen, was derzeit auf den Straßen Syriens | |
geschieht. Ausländische Journalisten lässt das Regime nicht einreisen, alle | |
einheimischen Medien stehen unter der Kontrolle des Staates. Die brutalen | |
Repressionen haben dazu geführt, dass ein Stoßtrupp von Aktivisten im | |
Ausland die Führung der Onlinebewegung übernommen hat. Sie sitzen nicht nur | |
im Libanon, wie Rami Nakhle, sondern auch in den USA, in Kanada und in | |
England. | |
## "Der Nachrichtenstrom wird dünner" | |
Nakhle sammelt Nachrichten, überprüft die Beiträge, bündelt das Material | |
und leitet es an internationale Journalisten weiter. Er war schon auf BBC, | |
CNN, al-Dschasira. Damit ist Nakhle zu einer Art inoffiziellem Sprecher der | |
Protestbewegung geworden. "Ich bin so gut wie 24 Stunden am Tag auf Skype | |
in einer Dauerkonferenz mit den Leuten vor Ort", sagt er. | |
Als die Armee ganze Dörfer und Städte von der Außenwelt abriegelte und | |
Telefon- und Internetverbindungen unterbrach, gelang es ihm noch, an | |
Informationen zu kommen. "Unsere Kontakte sind bisher nie ganz abgerissen", | |
erzählt er. "Aber natürlich wird der Nachrichtenstrom dünner, wenn die Orte | |
unter Belagerung stehen. Anstelle von zehn Kontakten haben wir dann nur | |
noch den einen, der ein Satellitentelefon hat." Im Internet ist er unter | |
dem Pseudonym Malath Aumran aktiv. Auf Facebook hat er über 4.000 Freunde, | |
auf Twitter folgen ihm rund 5.600 User. | |
Das, was sich derzeit in Syrien abspielt, ist auch ein Informationskrieg. | |
Nach offizieller Darstellung werden die Sicherheitskräfte derzeit | |
eingesetzt, um einen Aufstand islamistischer Extremisten, ausländischer | |
Verschwörer und bewaffneter Banden niederzuschlagen. Doch die Aufnahmen der | |
Aktivisten zeigen eine andere Wirklichkeit. Also sind Menschen wie Rami | |
Nakhle zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für das Regime geworden. | |
"Es ist ein Kampf um die Köpfe und die Herzen der Menschen, und das Regime | |
hat ihn mit fliegenden Fahnen verloren", sagt Joshua Landis, Professor für | |
Nahoststudien an der Universität Oklahoma und führender Syrienexperte. | |
"Deswegen ist die Onlinebewegung von extremer Bedeutung für die Proteste." | |
Vor allem jetzt, da der Westen über neue Sanktionen verhandelt, entfalte | |
der Einfluss der Cyberaktivisten sein volles Potenzial, meint Landis: | |
"Diese Leute stellen die Informationen bereit und formen damit die | |
Botschaft, die derzeit aus Syrien kommt." | |
## "Die Opposition braucht Führungsfiguren" | |
Entscheidend für den Erfolg sind nach Ansicht des Experten prominente | |
Beispiele wie Rami Nakhle. Menschen wie er geben den Protesten ein Gesicht: | |
"Das ist sehr wichtig, und die Opposition wird mehr in dieser Richtung tun | |
müssen. Sie braucht Führungsfiguren, denn die breite Masse in Syrien will | |
wissen, wer diese Leute sind, denen sie sich anschließen sollen." | |
Längst ist auch der Geheimdienst auf Facebook und Twitter unterwegs. Zudem | |
versuchen regimetreue User die Seiten der Dissidenten zu sabotieren. Sie | |
nennen sich "syrische elektronische Armee" und agieren gegen Bezahlung oder | |
aus Überzeugung. Wann immer Rami Nakhle Fotos oder Videos hochlädt, | |
erscheinen Sekunden später auch hasserfüllte Kommentare darunter. "Das sind | |
keine Demonstranten, sondern Terroristen", schreiben sie, oder: "Hör auf | |
mit den Lügen, oder wir holen deine Schwester." | |
Die Cybereinheit des Geheimdienstes wird immer besser darin, die | |
elektronischen Spuren der Dissidenten zu verfolgen. "Wir wissen auch, dass | |
sie in den Internetläden von Damaskus Hacker rekrutiert haben", sagt Rami | |
Nakhle. "Zudem lassen sie sich von ausländischen Firmen beraten, wie sie | |
die Proteste im Internet ersticken können." | |
Dem Studenten fiel etwa vor drei Jahren auf, dass etwas nicht stimmt in | |
seinem Land. Bis dahin glaubte er an die Propaganda, mit der er | |
aufgewachsen war. "Ich bin nicht eines Morgens plötzlich als Dissident | |
aufgewacht", sagt er. "Es war ein Prozess, der Schritt für Schritt ablief." | |
Der Wendepunkt in seinem Leben kam, als eine gute Freundin von ihrem Bruder | |
erschlagen wurde. Er kam mit einer sechsmonatigen Haftstrafe davon, weil | |
die Gerichte die Tat als "Ehrenmord" einstuften. Nach diesem brutalen Akt | |
der Gewalt begann Rami Nakhle, sich Fragen zu stellen. | |
## Profilbild auf Facebook aus 32 verschiedenen Männern | |
Im Internet suchte er die Antworten, die er sonst nirgends finden konnte. | |
Er lernte Proxy-Server zu benutzen, um auf verbotene Seiten zuzugreifen, | |
und legte sich das Pseudonym zu. Sein Profilbild auf Facebook zeigt ein | |
Porträt, für das Gesichter von 32 verschiedenen Männern verschmolzen worden | |
sind. Dann schrieb er auf, was ihn bewegt, und veröffentlichte seine | |
Gedanken in Blogs, Foren und Newslettern. "Anfangs ging es mir eher um | |
soziale Themen, vor allem Frauenrechte", erinnert er sich. Erst allmählich | |
wurde seine Kritik direkter, politischer. Schließlich sprach er sich offen | |
gegen die Korrution und die Willkür des Regimes von Präsident Baschar | |
al-Assad aus. | |
Es dauerte nicht lange, bis "Malath Aumran" ins Visier des Geheimdienstes | |
geriet. Die Fahdung zog sich immer enger um Rami Nakhle zusammen. Insgesamt | |
40-mal wurde er zum Verhör geladen. Im Dezember erkannte er, dass er keine | |
Wahl mehr hatte. Er ließ sich für 500 US-Dollar von Schmugglern auf einem | |
Motorrad in den Libanon bringen. | |
## Sicherheitskräfte nutzen Profile als Falle | |
"Diese Revolution hat keine Führung, das ist ja gerade das Schöne daran: Es | |
ist ein wahrer Aufstand des Volkes", erkärt Nakhle. "Was wir tun, ist, die | |
einzelnen Gruppen in den verschiedenen Städten zu koordinieren. Wir helfen | |
ihnen dabei, in Kontakt zu bleiben." Das Regime setzt indessen weiterhin | |
Armee und Geheimdienste ein, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Immer | |
wieder berichten Menschenrechtler, dass Demonstranten unter Folter | |
gezwungen werden, ihre Facebook-Passwörter zu verraten. | |
Dann nutzen die Sicherheitskräfte die Profile als Falle, um die Freunde der | |
Gefangenen aufzuspüren. "Trotz all der Gewalt gehen die Menschen noch immer | |
auf die Straße. Sie wissen, dass sie ihr Leben riskieren, doch sie | |
demonstrieren weiter", meint Nakhle. | |
"Wir können jetzt nicht einfach aufgeben. Denn sonst werden sie jeden | |
Einzelnen holen, der sein Gesicht je bei einem Protest gezeigt hat." | |
13 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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