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# taz.de -- Phänomen Facebook-Partys: Keiner will verantwortlich sein
> Facebook-Partys erscheinen populär. Dabei sind anonyme Treffen, über das
> Netz organisiert, nichts Neues. Einer der Gründe: Die Justiz kann so gut
> wie nichts machen.
Bild: Party außer Rand und Band: Tausende strömten zum Haus von Thessas Elter…
BERLIN taz | "Thessa" war der erste Sturm, zumindest in Deutschland: Sie
hatte per Facebook zu ihrem Geburtstag geladen und die Ankündigung nicht
als privat gekennzeichnet. Immer mehr Leute kündigten ihr Kommen an. Die
Medien berichteten. Noch mehr Leute sagten zu, die Medien berichteten.
Thessa blies die Party ab, die Medien berichteten immer noch.
Am Ende standen 1.600 Gäste auf der Straße vor ihrem Haus und feierten, die
Medien berichteten live vor Ort. Früher brachte die Befürchtung Kinder um
den Schlaf, keiner könnte zu ihrer Geburtstagsfeier kommen. Heute haben sie
Angst davor, es könnten tausende sein.
Es gibt zwei Sorten Facebook-Partys: die gekaperten, die von unachtsamen
Geburtstagskindern öffentlich eingestellt wurden und zu denen sich
dutzende, hunderte oder gar tausende dazuzugesellen. Und die anonym
eingestellten, die an öffentlichen Plätzen stattfinden, ohne Veranstalter.
Eine aus der letzten Kategorie ist kürzlich eskaliert, in Ronsdorf, einem
Wuppertaler Stadtbezirk. Freitag Abend fanden sich dort 700 Teilnehmer ein,
bis Ultras des Wuppertaler SV bengalische Feuer und Knallkörper zündeten.
Am Ende flogen Flaschen, Ergebnis: 16 Verletzte und 41 Teilnehmer in
Polizeigewahrsam.
## Flashmob-Brauchtum
Anonyme Zusammenkünfte, die über das Internet organisiert werden und dann
eskalieren, sind in urbanen Krisengebieten schon länger bekannt. Eine Art
gewalttätiges Flashmob-Brauchtum entwickelte sich beispielsweise im Laufe
des Jahres 2009 in Philadelphia: immer wieder stürmten [1][zumeist schwarze
Jugendliche wohlhabendere weiße Geschäftsstraßen,] verwüsteten die
Geschäfte und griffen Passanten an.
Der Vorteil dieser anonymen Organisationsform liegt auf der Hand: niemand
kann als Veranstalter verantwortlich gemacht, unbeobachtete
Sachbeschädigungen können kaum verfolgt werden. "In solchen Fällen ist die
zivilrechtliche Einordnung höchst problematisch", sagt der Jurist Christoph
Werkmeister, der auch [2][eine erste Einschätzung zum Fall Thessa
publizierte]. "Es gibt dazu auch noch keine Rechtsprechung." Und nicht nur
das: in der Praxis sei allein die Ermittlung eines Initiators schwierig;
aber selbst wenn sie gelingen sollte, müsste man ihm nachweisen, dass er
mit rechtswidrigen Konsequenzen rechnen musste.
Die Justiz zu umgehen ist aber nicht der einzige Grund, sich anonym zu
organisieren. Letztes Wochenende trafen sich auf dem Marktplatz in Lünen
trotz schlechten Wetters an die hundert Jugendliche, um auf ihre Belange
aufmerksam zu machen. Die Stadt in Westfahlen wird seit fünf Jahren per
Nothaushalt regiert; herbe Einschnitte im Sozial- und Kulturetat waren die
Folge. Ein loses Netzwerk von 15 Jugendlichen wollte das nicht länger
hinnehmen und fordert: "Jugend braucht Freiraum".
## Es geht um Aufmerksamkeit
"Wir haben das über Facebook gemacht, weil man so viele Leute erreicht,"
sagt Tom Kleinschmitt, einer der Organisatoren. "Wir wollten verhindern,
dass man sich auf eine Person oder eine Initiative fokussiert." Mit der
Folge, dass sich kein Verein, keine Organisation vorab in den Vordergrund
schieben konnte. Es habe auch, sagt Kleinschmitt, vorab keinen
Forderungskatalog gegeben, es ging um Aufmerksamkeit und auch darum, die
Stadtoberen wachzurütteln.
Der Bürgermeister kam und diskutierte mit den Demonstranten, die
Gemeinderatsmitglieder zeigten sich einsichtig, die Lokalpresse berichtete
ausführlich. Die Feste sollen fortgeführt werden, der Dialog intensiviert.
Und so ist die Anonymität der Facebook-Partys nicht nur Deckmantel für
Hedonismus und Spaßkultur, sondern auch die Möglichkeit, jene zu
integrieren, die sich nicht vertreten lassen wollen. Sondern im Namen der
Anonymität für sich selbst sprechen.
22 Jun 2011
## LINKS
[1] http://www.nytimes.com/2010/03/25/us/25mobs.html
[2] http://www.juraexamen.info/der-fall-thessa-haftung-fur-die-folgen-einer-ung…
## AUTOREN
Frédéric Valin
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