# taz.de -- Wenn Abiturienten feiern: Hauptsache schickimicki | |
> Trotz des Betrugs durch Easy Abi feiern viele Abiturienten in diesen | |
> Tagen ihren Abschluss. Doch wofür geben sie tausende Euro aus? | |
Bild: Schüler bei einer Demo gegen den Abiball-Veranstalter | |
Eine weiße Stretch-Limousine fährt über die Friedrichstraße. Sie kommt aus | |
der Richtung, des Hotels Maritim proArte, in dem der Abschlussjahrgang des | |
Max-Planck-Gymnasiums heute seinen Abiball zelebriert. Vor dem Eingang | |
stehen viele um die 20, es ist ihr letzter großer Abend als Schülerinnen | |
und Schüler. Danach werden sie alle verschiedene Wege gehen. Am Samstag | |
haben sie ihre Eltern mitgebracht - die Väter schießen Fotos von ihren | |
Töchtern im knöchellangen Ballkleid, die Mütter gleichen ihre Sitzplätze | |
ab. Eine von ihnen ist nicht begeistert: "Wir sitzen ganz hinten? Da sehen | |
wir doch nichts!" Für einen längeren Aufenthalt vor der Tür bleibt keine | |
Zeit, Sevgi Yasar vom Organisationskomitee des Abiballs drängelt - | |
bewaffnet mit einer langen Liste. Sie heiße alle herzlich willkommen, aber | |
jetzt muss es hereingehen - Zeitverzug! Sevgi hat sich die langen, dunklen | |
Haare vom Friseur zu einem perfekten Dutt stecken lassen, über die Stirn | |
trägt sie einen Kranz aus geflochtenen Haaren. Den Rückenausschnitt des | |
cremefarbenen, paillettenbestickten Kleids schmückt ein Tattoo aus | |
Funkelsteinen. | |
Fast hätten die SchülerInnen das ganze Fest absagen müssen. 19.000 Euro | |
hatten sie im März der Event-Agentur Easy Abi überwiesen, damit die einen | |
Saal für 400 Gäste im Maritim bucht. Sie wussten, frühere Abitur-Jahrgänge | |
hatten bereits erfolgreich mit Easy Abi zusammengearbeitet und ohne die | |
Kooperation komme man an ein hochklassiges Hotel nur schwer heran. Das | |
Maritim proArte etwa hat seit Jahren Direktverträge mit Event-Agenturen. | |
Den Schülern hatte Easy Abi die Reservierung des für die Feier ausgewählten | |
Saals im Maritim zwar bestätigt, im Hotel aber ging kein Geld der | |
Veranstaltungsfirma ein. | |
Eine Woche vor der geplanten Abschlussfeier erfuhren die SchülerInnen, dass | |
sie betrogen wurden. Sie reagierten: mit einer Strafanzeige gegen Easy Abi, | |
sie mobilisierten über Facebook für eine Demonstration auf dem | |
Alexanderplatz, benachrichtigten die Medien und sammelten rund 6.500 Euro | |
Spenden und Sponsorengelder. Auf keinen Fall sollte das Fest ins Wasser | |
fallen. Ein paar Tage vor der Feier einigten sich Schüler, Elternvertreter | |
und Hotelverwaltung auf einen neuen Preis von 36 Euro je Teilnehmer. Durch | |
die gesammelten Spenden mussten die Familien nur 20 Euro pro Karte zahlen. | |
Um auf Nummer sicher zu gehen, wurde der Kartenverkauf direkt ins frühere | |
DDR-Devisenhotel verlegt, wo eigens eine Kartentheke eingreichtet wurde. | |
Am Samstag müssen die Gäste des Balls am Eingang an zwei Security-Männern | |
vorbeikommen. Sie kontrollieren die Eintrittsbänder und kümmern sich später | |
um den Eintritt der Freunde, die zum Feiern erwartet werden, nachdem Eltern | |
und Familien gegessen haben und gegangen sind. | |
Vor dem Saal richten Kellner mit weißen Schürzen und Hauben das Büffet an. | |
Ein Angestellter im dunklen Anzug verleiht den Schalen und Tabletts den | |
letzten Schliff: verteilt hier noch einen Löffel und rückt da noch ein | |
Pfefferminzblatt zurecht. Auf dem Menü stehen Hummerterrine, Hokifilet und | |
Bio-Ingwer-Orangensalat. Getränke sind im Kartenpreis nicht enthalten. Für | |
ein 0,2-Liter-Glas Wein berechnet das Hotel 5,50 Euro. Ein Bier kostet 3,50 | |
Euro. | |
Das Licht im Saal deckt sich farblich mit dem Interieur einer | |
McDonalds-Filiale. Auf jedem der rund 50 Tische steht ein großer | |
Kerzenleuchter, ein professioneller Fotograf schießt Bilder, die vor Ort | |
entwickelt und verkauft werden. Am Rand der Bühne reihen sich | |
Blumensträuße. Der Schüler Berkay Akpolat, der in weiblicher Begleitung | |
durch den Abend moderiert, übergibt einen der Kränze an den Schuldirektor, | |
der betont, wie stolz er auf seine Schüler sei, die trotz allem ein solches | |
Fest zustande gebracht haben. Dann wird den SchülerInnen, vorwiegend | |
Mädchen aus den Komitees für Abiball, -buch und -reise, jeweils eine gelbe | |
Rose überreicht. Eines der Mädchen trägt bereits Blumen: ein Gesteck am | |
Armgelenk, passend zum Blumenanstecker am Revers ihres Freundes. Dann wird | |
das Highlight des Abends wird ausgerufen: die Wahl der Abiball-Königin und | |
des -Königs. | |
Auch RTL und der RBB sind an diesem Abend im Saal, um vom fast geplatzten | |
Ball zu berichten. Die Eltern lassen sich gerne filmen. Ein Vater prostet | |
der Filmkamera mit seinem Weinglas entgegen. Eine muslimische Schülerin mit | |
Kopftuch zieht die Kameras auf sich, als sei es ein Widerspruch, dass sie | |
nicht weniger gestylt ist als ihre nichtverschleierten Mitschülerinnen. Sie | |
lacht und nimmt das rege Interesse der Medien an ihrem Aussehen gelassen. | |
Es ist ein Fest, da beschwert man sich nicht. | |
Ein Großteil der Familien der Max-Planck-SchülerInnen haben eine | |
Migrationsgeschichte. Unter ihnen sind wohlhabende Arzt- und | |
Ingenieursfamilien ebenso wie Hartz-IV-Empfänger. Die Werte und Wünsche der | |
Abiturienten gehen dementsprechend auseinander. In ihrem Abibuch beschreibt | |
sich der Jahrgang: "Wir kommen aus allen Ecken der Welt, sind politisch | |
unkorrekt und gehen demonstrieren." Trotz kultureller und sozialer | |
Unterschiede tanzen sie gemeinsam Walzer. Zwei Schülerinnen geben eine | |
Tanzvorführung zum Besten: Obwohl die eine auf HipHop-Musik und die andere | |
zu Latinopop tanzt, ergeben sie zusammen ein harmonisches Bild. | |
Die Abifeier geht noch bis halb vier am Morgen. Rund 450 Liter werden | |
vertrunken, überwiegend Nichtalkoholisches. Das Das Essen habe zwar gut | |
ausgesehen, sei aber nur lauwarm gewesen, bemängelt ein Schüler. Der | |
bestellte DJ legt bis in die Morgenstunden auf. | |
Für Pamela Schrader vom maritim Hotel sind die Feiern der diesjährigen | |
Abschlussklassen etwas besonderes. Normalerweise kämen die SchülerInnen zum | |
Ball und wüssten, dass ihre Eltern für die Karten bezahlt hätten. "Diese | |
Schüler haben selber für ihren Ball gearbeitet - und das merkt man", sagt | |
Schrader. Auch sie findet, die jungen Leute können stolz auf sich sein. | |
Die fünf Jungs, die kurz vor Beginn der Feier als Letzte vor dem Eingang | |
stehen, haben ihre Eltern zu Hause gelassen. Sie wollen sich dem Diktat des | |
Schicks nicht unterordnen, statt oscarreifem Anzug mit Krawatte haben sie | |
sich für alternative Outfits entschieden: Röhrenjeans zum Blazer, | |
Dreadlocks und karierte Schuhe. Einer von ihnen, Shajevan Rudra, verzichtet | |
komplett auf westliche Abendgarderobe. Er trägt ein knielanges Seidenhemd | |
mit Pluderhose. Das habe er vergangenes Jahr für eine Hochzeit in Sri Lanka | |
gekauft. "Ist doch langweilig, wenn alle dasselbe tragen", sagt er. | |
Außerdem hatte er gerade kein Geld für einen Anzug. Er habe sich lieber am | |
Abistreich-Komitee beteiligt, den Lehrern nach Vorbild Harry Potters einen | |
Zauberhut aufgesetzt und sie durch ein trimagisches Turnier gejagt. | |
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die Feier auch an einem günstigeren | |
Ort stattfinden können, sagt Shajevan. "Das sind halt Leute, die | |
Schickimiki haben wollen", sagt er über seine Schulfreunde. Deren | |
Aufmachungen erinnerten ihn an eine türkische Hochzeit. Shajevan wurde am | |
Ende des Abends zum Ballkönig gekürt. | |
20 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Dena Kelishadi | |
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