# taz.de -- Beim "Kulturpolitischen Frühstück" der FDP: Sonntagsbrunch mit "T… | |
> Die FDP-Bundestagsfraktion lud zum Sonntagsfrühstück und sprach über | |
> Kreativwirtschaft. Denn das ist der Humus, auf dem die Liberalen von | |
> morgen wachsen sollen. | |
Bild: Noch 'n Toast, noch 'n Ei, Bloggerinnen mit dabei. | |
Politische Kultur und Kultur sind nicht das Gleiche. Das lehrt das Beispiel | |
der FDP. Die Mischung aus Populismus, Arroganz und Klientelismus, die die | |
Erben Karl-Hermann Flachs nicht erst seit dem Beginn der schwarz-gelben | |
Koalition treibt, steht für einen eklatanten Mangel an politischer Kultur. | |
Die rüde Art, wie die Partei ihren letzten Vorsitzenden abservierte, ohne | |
einen Gedanken auf ihre geistige Erneuerung zu verschwenden, hat das nur | |
unterstrichen. | |
Insofern verwundert es nicht, dass die FDP keine Kulturgröße mehr ist. | |
Keiner singt mehr "Hoch auf dem gelben Wagen" wie einst Walter Scheel. Auch | |
die kulturelle Hegemonie der Liberalen ist geschmolzen wie ein Eiswürfel an | |
der Sonne. Die Speerspitze des gefürchteten Neoliberalismus ist über Nacht | |
zum politischen Bettvorleger geschrumpft. Gegen den Löwen Guido Westerwelle | |
gleicht Philipp Rösler einem Plüschtier aus dem liberalen Streichelzoo. | |
Nur weil sie im demoskopischen Tief ist, ist die FDP aber noch lange keine | |
Partei ohne Anhänger, wie man an dem Andrang zu dem "Kulturpolitischen | |
Frühstück" der Bundestagfraktion der gefühlten Splitterpartei am Sonntag in | |
Berlin sehen konnte. | |
Es versammelte sich zwar keine Matinee der Geistesgrößen in der sanft | |
bedudelten Bar jeder Vernunft im windstillen Wilmersdorf. Eher die | |
namenlose bourgeoisie légère in blauem Blazer, gelbem Schlips und Jeans, | |
die in Ingenieurbüros und Zahnarztpraxen zu Hause ist. Überraschend | |
dennoch, wie offen die über Kultur im engeren Sinne stritt. | |
## Selbstständig, staatsfern, weltoffen | |
Bei der 55. Ausgabe der von dem Frankfurter Bundestagsabgeordneten | |
Hans-Joachim Otto begründeten Reihe ging es um die Kultur- und | |
Kreativwirtschaft. Dass sich die FDP dafür lebhaft interessiert, liegt auf | |
der Hand. "Doppelt so schnell" wie die übrige Wirtschaft wachse diese | |
Zukunftsbranche, verkündete Otto mit leuchtenden Augen seinen | |
Frühstücksliberalen. In Berlin generiere sie gar schon 21 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts, wusste der örtliche Abgeordnete Lars Lindemann stolz | |
zu berichten. | |
Vor allem aber ist der Kreativwirtschaftler das liberale Leitbild par | |
excellence: selbstständig, staatsfern, weltoffen. Kein Wunder, dass der | |
inzwischen etwas angegraute Jungliberale Otto, der einst mit Westerwelle | |
die Jungdemokraten aus der Partei boxte, nun zum Parlamentarischen | |
Staatssekretär aufgestiegen ist, der im Bundeswirtschaftsministerium eine | |
eigene Abteilung zur Päppelung dieser Zukunftsbranche leiten darf. Auf | |
diesem "Humus" (Otto) wachsen die Liberalen von morgen. | |
Die Kreativ-Euphorie verdankt sich dem kalkulierten Irrtum, | |
Kreativvermarkter – wie Plattenlabels – und genuin Kreative – Spitzwegs | |
arme Poeten – in ein und denselben Topf zu werfen. Vor deren wundersamer | |
Vermehrung stehen bekanntlich die Hürden des Prekariats, wie die | |
eingeladenen Netzaktivistinnen [1][Katja Berlin] und [2][Zoe Leela] zu | |
berichten wussten. | |
Die beiden haben ihr ödes Angestelltendasein für eine Existenz aufgegeben, | |
die die FDP als "true innovators" preist. Ob das naive Motto der beiden: | |
"Wir machen es einfach aus der Freude" auf Dauer als Business-Modell für | |
ihre Blogs & Plays ausreicht, steht freilich in den Sternen. | |
## Das Geld verdient man woanders | |
Dennoch wollten sich die beiden nicht vorbehaltlos der FDP-Position zum | |
geistigen Eigentum anschließen. Mit dem Vorwurf "Sie verstehen die | |
Kommunikation im Netz immer noch nicht" konterten sie den Vorwurf von | |
Florian Drücke, des Geschäftsführers des Bundesverbands Musikindustrie, die | |
illegalen Downloader ruinierten die Branche. "Teilhabe" ist den jungen | |
Prosumerinnen wichtiger als Copyright. Geld wollen sie lieber woanders | |
verdienen. Wo genau, wissen sie allerdings auch noch nicht. | |
Dass sich aus der Freiheit der User im Netz und der Freiheit der Erzeuger | |
ein "Spannungsverhältnis" ergibt, musste auch Reiner Deutschmann zugeben, | |
der kulturpolitische Sprecher der Liberalen im Parlament. Dass die FDP so | |
kontrovers darüber debattieren lässt, dass sie dem Berliner Galeristen | |
Kristian Jarmuschek applaudiert, als der Denkmalschutz für das Kunsthaus | |
Tacheles forderte, dass sie den Architekten Roger Bundschuh ketzerisch | |
fragen lässt, was Kreative eigentlich subventionswürdig mache, und dass am | |
Ende Hans-Joachim Otto mit den Argumenten der Bloggerinnen liebäugelt – all | |
das ist der selbst recht prekär gewordenen FDP eher anzurechnen als | |
anzukreiden. | |
Dass auf diesem "Humus" aber bald schon wieder blau-gelbe Blütenträume | |
treiben könnten, dürfte vorerst "Zukunftsmusik" bleiben. Das Motto ziert | |
eine Werbepostkarte der Fraktion. Der Jungkreative mit Hawaii-Gitarre, der | |
darauf zu sehen ist, ist – so realistisch sind die Kulturliberalen dann | |
doch – noch ein Baby. | |
27 Jun 2011 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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