# taz.de -- Kunst und Kultur im Berliner Wahlkampf: Lasst 1.000 Kunsthallen bl�… | |
> Klaus Wowereit will im Berliner Landeswahlkampf mit Kunst und Eventkultur | |
> punkten. Eine repräsentative Kunsthalle ist ihm dabei wichtiger als die | |
> freie Szene. | |
Bild: Sponsorenhütte: Die Temporäre Kunsthalle am Schlossplatz, inzwischen ab… | |
"Kunst ist zwar nicht Macht, aber sie bedeutet Macht und wird zum | |
politischen Faktor, ohne darum die Selbstherrlichkeit ihres Schaffens | |
einzubüßen." An dieses Zitat des Kunstkritikers Georg Malkowsky aus dem | |
Jahr 1912 fühlt sich erinnert, wer die jahrelange Diskussion über die | |
Zukunft einer Berliner Kunsthalle verfolgt. | |
Statt ästhetischer treiben diese Debatte fast nur noch politische Argumente | |
an. War der Museumsbau des 18. und 19. Jahrhunderts noch von dem Gedanken | |
beseelt, von der Erfahrung der Schönheit zur Tugend und einem besseren | |
Staat zu gelangen, geht es zu Beginn des 21. Jahrhunderts fast nur noch um | |
Standortpolitik und Effekthascherei. | |
Zugleich ist der ewige Streit um die Berliner Kunsthalle, der derzeit in | |
eine neue Phase tritt, eine exemplarische Machtprobe zwischen Staat und | |
Zivilgesellschaft. Kunsthalle - schon der Name ist das reine Imaginäre. Die | |
erste, die Staatliche Kunsthalle, die Berlin seit 1976 an der Budapester | |
Straße hatte, wurde 1993 geschlossen, ihr umstrittener Direktor nach einer | |
mehr als eigenmächtigen Ausstellungspolitik strafversetzt. | |
Die privat betriebene Temporäre Kunsthalle, die von 2008 bis 2010 den | |
Berliner Schlossplatz bespielte, war ein erfolgloser Versuch, den | |
historischen Glücksmoment der gelungenen Ausstellung "36 x 26 x 10", die | |
2005 im halb abgerissenen Palast der Republik überrascht hatte, ins | |
Unendliche zu perpetuieren. Gut, dass die Sponsorenhütte Temporäre | |
Kunsthalle nach zwei mäßig erfolgreichen Jahren nach Wien verkauft wurde. | |
Als Phantom der Kunst geistert sie freilich weiter durch das Unbewusste der | |
kulturpolitischen Szene an der Spree. | |
Trotzreaktion des Senatschefs | |
Dabei hatte alles so ausgesehen, als ob diese Schnapsidee vorerst erledigt | |
sei. Im vergangenen Jahr nämlich, als das Berliner Abgeordnetenhaus die 30 | |
Millionen, die der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für seine | |
Kunsthallenblütenträume gern in den Haushalt eingestellt hätte, auf 600.000 | |
Euro und eine "mobile Kunsthalle" zusammenstutzte. Insofern darf es als | |
Trotzreaktion erster Rangordnung angesehen werden, dass der Senatschef, | |
zugleich Kultursenator, Ende Oktober vergangenen Jahres die Berliner mit | |
der Meldung überraschte, er wolle eine "Leistungsschau junger Kunst" | |
durchführen. | |
Als Chef der Lotto-Stiftung bewilligte er sich selbst kurzerhand zu den | |
besagten 600.000 Euro eine Million zusätzliche Gelder [1][und beauftragte | |
die stadteigene Kulturprojekte GmbH unverzüglich mit der Durchführung]. Die | |
Fraktionen im Abgeordnetenhaus waren ob der Chuzpe des Regierenden, durch | |
die Hintertür doch noch vollendete Kunsthallen-Tatsachen zu schaffen, | |
ebenso sprachlos wie die Presse und die Künstler. | |
Leistungsschau - schon der Name weckte ungute Assoziationen: Vor dem | |
geistigen Auge dämmerte eine Mischung aus Zuchtbullen- und FDJ-Parade | |
herauf. Die unziemliche Eile, mit der alle Berliner Künstler binnen sechs | |
Wochen aufgerufen waren, Portfolios einzureichen, sprach nicht gerade für | |
eine durchdachte Idee. Fünf für die Schau berufene, junge Kuratoren, | |
Angelique Campens, Fred Fischli, Magdalena Magiera, Jakob Schillinger und | |
Scott Weaver, konnten auf einer Vollversammlung Berliner Künstler Mitte | |
Dezember letzten Jahres nicht den leisesten Hauch eines inhaltlichen | |
Konzepts präsentieren. Das tat der Idee ebenso wenig Abbruch wie der | |
avisierte Zeitraum: zwischen der Biennale von Venedig und der Wahl zum | |
Berliner Abgeordnetenhaus am 19. September. Honi soit qui mal y pense. | |
Inzwischen haben sich nämlich schon über 1.000 Personen der dehnbaren | |
Kategorie "Berliner Künstler" beworben. Wie und nach welchen Kriterien die | |
fünf Kuratoren diese Arbeiten aber so schnell sichten können, dass die als | |
senior adviser über dem Verfahren thronenden Klaus Biesenbach vom New | |
Yorker MoMA, Christine Macel vom Pariser Centre Pompidou und Hans-Ulrich | |
Obrist von der Londoner Serpentine Gallery eine überzeugende Ausstellung | |
daraus basteln können, die mehr wird als ein Begabteninventar, dürfte ihr | |
Geheimnis bleiben. | |
Protest der Künstler | |
In einem offenen Brief an Klaus Wowereit haben deshalb eine Reihe Berliner | |
Künstler gegen die organisatorische und finanzielle Intransparenz des | |
Projekts protestiert. Sie fordern eine Revision des Konzepts und einen | |
öffentlichen Dialog über die Produktions- und Präsentationsbedingungen | |
zeitgenössischer Kunst in Berlin, jenseits medienwirksamer | |
Leuchtturmprojekte. | |
1,6 Millionen Euro für die Kunst klingt auf den ersten Blick nicht schlecht | |
in einer Stadt, in der der Anteil der Kunst am Kulturetat mit 4 Millionen | |
Euro den kleinsten Posten ausmacht. Wenn das Projekt nicht an genau dem Ort | |
dargeboten würde, wo Wowereits Traumhalle schon einmal aus dem märkischen | |
Sand wachsen sollte. An der gefürchteten Stadtbrache des leeren | |
Humboldthafens, vis-à-vis von Berlins Museum für Gegenwart, dem Hamburger | |
Bahnhof, eine gottverlassene Gegend, für die die Stadt seit Jahren um | |
Investoren buhlt, dürfen die Trendarchitekten von Raumlabor für 300.000 | |
Euro eine Mischung aus Zeltlandschaft, Höhle oder Container basteln. | |
Angesichts der prekären Lage der meisten der rund 5.000 Berliner Künstler | |
wird die Wut der Initiatoren des offenen Briefs verständlich, dass die | |
Leistungsschau "künstlerische Arbeit zu Zwecken des Stadtmarketing und der | |
Ökonomisierung der Kultur" instrumentalisiere, während "von dem damit | |
verbundenen Image- und Profitgewinn nichts an die Künstler" zurückfließe. | |
Vor allem: Was passiert, wenn dieses Strohfeuer, das Wowereits Wahlkampf | |
europaweit beleuchten soll, ausgeblasen wird? Sollte die Kunsthalle, deren | |
Zukunft das temporäre Art-Biwak angeblich diskursiv befeuern soll, | |
tatsächlich gebaut werden, hätte Berlin ein Kunsthaus ohne Etat mehr. Und | |
die restlichen grauen Mäuse der Berliner Kunst stünden weiter im Büßerhemd | |
da. | |
Die landeseigenen Häuser, die die Funktion der Kunsthalle ausfüllen | |
könnten, werden finanziell so kurz gehalten, dass es an ein Wunder grenzt, | |
dass das Landesmuseum Berlinische Galerie oder das kleinere Haus am Waldsee | |
immer wieder so sehenswerte Ausstellungen gelingen wie die Nan-Goldin-Schau | |
derzeit oder die Norbert-Bisky-Retrospektive 2008. Das Landesmuseum bekommt | |
keine Mittel für Ankäufe oder Experimente, das Haus am Waldsee erhält | |
gerade mal 159.000 Euro als Jahresetat. | |
Angesichts dieser Verhältnisse grenzt es an Rufmord, wenn die Politik und | |
die Kulturlobbyisten der Stiftung "Zukunft Berlin" des ehemaligen | |
CDU-Kultursenators Volker Hassemer und des Exvorsitzenden des Vereins der | |
Freunde der Nationalgalerie, Peter Raue, immer wieder das Mantra von den | |
"dysfunktionalen" Berliner Kunstinstitutionen bemühen, die es nicht | |
schafften, die junge Szene, die sich seit der Wende in der Stadt tummelt, | |
angemessen auszustellen. Wenn der Senat es ernst gemeint hätte mit einer | |
Kunsthalle, hätte er dem Vorschlag einer Kunsthalle im Blumengroßmarkt | |
gegenüber dem Jüdischen Museum in Kreuzberg eine Chance geben können. | |
Doch diese - bislang überzeugendste - Initiative aus der Mitte der Berliner | |
Kunstszene hatte sich in den Augen des rosaroten Regierenden zu stark mit | |
der politischen Farbe Grün verbunden. Dabei hätte Wowereit mit der Idee die | |
Szene befrieden und einen Problemkiez kulturell aufwerten können. Dass er | |
nun ein zweckdienliches Event aus dem Boden stampft, statt nachhaltige | |
Kulturpolitik zu betreiben, ist ein programmatischer Offenbarungseid in | |
Sachen sozialdemokratischer Kulturpolitik. Bleibt zu hoffen, dass der | |
eigenständige Kultursenator, den Wowereit nach vier Jahren in dem Amt für | |
die nächste Legislaturperiode versprochen hat, mehr eigene Substanz | |
mitbringt. | |
Das Wunder von Berlin | |
Ganz unbegründet ist die Angst, die Stadt könnte das Potenzial ihrer | |
weltweit einzigartigen Kunstszene brachliegen lassen, allerdings nicht. Das | |
Beispiel Köln schreckt. Doch ob Berlin dazu eine Kunsthalle braucht, lässt | |
sich bezweifeln. Anarchie und Selbstvermarktung, Vielfalt und Dezentralität | |
sind das Wesen des Berliner Nachwende-Wunders in Sachen selbst organisierte | |
Kunst. Vom Projektort West-Germany am Kottbusser Tor über das | |
Forgotten-Bar-Project in Kreuzkölln, vom HBC-Club in Mitte bis zum | |
Ausstellungsraum Silberkuppe in Kreuzberg, vom Autocenter in Friedrichshain | |
bis zum Project-Space Uqbar in Wedding, von der Kunsthalle in Weißensee bis | |
zum Schaufenster in den Kreuzberger Butzke-Werken reicht die Liste der | |
Locations mit eigenwilligen Präsentationsformen und einem nachgerade | |
irrwitzigen Publikumszuspruch. Das ist das "Wunder von Berlin", von dem der | |
Galerist Matthias Arndt einmal gesprochen hat. | |
Notfalls organisieren KünstlerInnen Ad-hoc-Ausstellungen im Hinterraum | |
eines Neuköllner Spätkaufs oder die erste "Berlin-Kreuzberg-Biennale". Die | |
"ungewöhnlichen Lösungen" zur Präsentation der "Contemporary Art", die | |
Hassemer und Raue kürzlich erneut lautstark forderten, sind also längst | |
Wirklichkeit. Selbst die amerikanischen Sammler, die beim Gallery Weekend | |
Anfang Mai umgarnt sein wollen, fahren lieber ins abgerissene Neukölln oder | |
den unbekannten Wedding, statt "die junge Szene" auf dem sterilen | |
Silbertablett eines touristenkompatiblen White Cubes am toten Berliner | |
Hauptbahnhof serviert zu bekommen. | |
Wenn die Politik in Berlin etwas für die Kunst tun will, sorgt sie am | |
besten dafür, dass die Mieten für Ateliers und Wohnungen in der Stadt, die | |
Kreative aus aller Welt anlockt wie Motten das Licht, bezahlbar bleiben. | |
Und sie stattet ihre reichlich vorhandenen Kunsthallen und Museen endlich | |
mit angemessenen Projektmitteln aus und lobt einen neuen Preis für | |
unkonventionelle Kunstorte aus: Lasst 1.000 Kunsthallen blühen! Die könnte | |
dann ein neu eingerichtetes Referat in der Senatskulturverwaltung | |
miteinander vernetzen, für Transparenz, Kommunikation und Kooperation | |
sorgen. | |
Wenn die Politik im Wahlkampf aber unbedingt etwas braucht, was sie besser | |
verkaufen kann als unsichtbare Strukturpolitik; wie wäre es dann damit, | |
eine Sonderbuslinie "Kunst" der BVG einzurichten, mit der die | |
Kunstliebhaber all diese Orte nicht nur in langen Berliner Museumsnächten | |
abfahren können? Kunst in Berlin als tour surprise - die Fahrtroute würde | |
ständig wechseln und hätte ständig neue Haltestellen. Die Eröffnungsfahrt | |
mit rot-roter Schaffnerkappe gönnen wir sogar the great teacher of artists, | |
dem Staatskünstler Klaus Wowereit. | |
26 Jan 2011 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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