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# taz.de -- WM-Blog Marx im Fußball: Sex fehlt ganz
> Reinfried Musch ist taz-Controller und überzeugter Marxist. Für taz.de
> bloggt er über die WM. Und Frauen.
Bild: Bekommen wenig Trost aus der Heimat: Nigerias Nationalteam am Donnerstag
## 20. Juli: Tabus
Besetzung
Wenn die Männer an der langen Schlange vor der Frauentoilette
vorbeischlenderten und dann wieder zurück, haben wir sie mal besetzt,
erzählt überraschend die freie Christin. Das war, wie wenn Mädchen sich
unter die Jungs mischen beim Fußball. Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre her?
Die Fingernägel einer Japanerin beim Finale: Frauen, die Fußball spielen,
geraten nicht in den Verdacht, Tussies zu sein: chick und typenabhängig.
Doch irgendwie emanzipativ, denke ich, aufbauend, abgrenzend von der
Beilage, Tabus brechen.
Aufbruch
Eine weitere Männerdomäne geht verloren, wie Autopflegen und Motorbiken nun
kollektives Fußballfernsehen mit Bier und Schenkelklopfen und schreien. Bei
der letzten Männer-WM, einfach Fußball-WM, wird man nicht mehr so einfach
sagen können, stöhnte eine Reihe hinter mir vor der großen Leinwand im
oberen Teil der Invalidenstraße eine junge Frau. Der zugehörige Mann hielt
ihren Eisbecher für diesen Moment höchster Erregung und sah interessiert
auf den Clinch vor dem Tor. Beide haben ich noch nicht so schreien hören.
Der Schreiplatz ist ja auch besetzt und eine Doppelspitze ist selbst in der
Politik kein Synchronspringen.
Die Gärtnerin
Die schöne Frau Neid wird es wissen. Sie hat voller Hingabe das prächtige,
hochgeschossene, voll blühende heimische Gemüsebeet gepflegt und dabei die
Nachbargärten aus dem Auge verloren. Als ihre Lieblinge im Frankreichspiel
dann den Tritt fanden, wie das auch bei Papa Löw so läuft, ließ sie sie
nicht zusammen weiterspielen. Never change a winning team gilt weltweit,
weil Euphorie und rauschender Erfolg selten sind. Wohin mag sie da geblickt
haben, wo Ihr Beet der einzig wichtige Ort der Welt war. War sie da zu viel
mitfühlende Frau und – Mutter – als Spielerin? Der Vertrag läuft ja
Zwanziger sei Dank bis 2016 – vielleicht wird sie es mitteilen.
Das Milieu
Eine große emanzipatorische Debatte wie in Deutschland gab es weder in
Japan noch den andern Gewinnerländern, schreibt AG in der ZEIT. Da wird
dann mehr übertragen und Gedanken an die Nation, den jeweiligen Traum von
Selbstverständnis und morgige Hoffnungen springen auf. In Deutschland passt
die WM in den laufenden protestantisch- grünen Aufbruch. Wir machen das
schon, könnte das heißen, es wird gut werden, weil es gut begann und was
gut ist, muss nicht zuerst besser werden, wenn es mal schlechter kommt,
sondern gut bleiben.
Tabus
Der o.g. Herr Fritsch jedenfalls will zwei Tabus vom Tisch haben, um dem
Frauenfußball zu einer unterschiedlichen Identität zu verhelfen: Eine
Abgrenzung von Männerfußball und leichtere Bälle, kleinere Tore, kürzere
Spielzeit. Das wär ein Stück auf dem Weg, überholen zu können ohne einholen
zu müssen. Vielleicht haben noch mehr aufmerksame Männer und strategisch
denkende Frauen im Umfeld des Fußballs mehr solche auf Alleinstellung
zielende Ideen? Ein Thema für mein TAZUM vielleicht? Da hätten wir´s doch
plötzlich wirklich mit Emanzipation zu tun und nicht mit dem Wettlauf
zwischen Hase und Igel! Der Igel hatte seine Frau dabei.
## 20. Juli: Endspiel
Die Chefin von Terminal C, den Easyjet belegt, ist jung, blond, schlank und
etwas müde. Sie schüttelt den Kopf. London bietet Ihnen nur einen neuen
Flug, kein Hotel. Ich war nicht dabei, aber die Kollegen sagen, die
Fahrräder sind nicht richtig vorbereitet. Das tut uns leid. Wir schenken
Ihnen ja den Flug. – Das Werkzeug, mit dem Lenker und Sattel hätten
verkürzt werden können, musste zuvor ins Frachtgepäck. Einen Imbusschlüssel
beim Zoll zu deponieren, scheint die blanke Überforderung zu sein.
Über dem Landwehrkanal ist keine Seite überfordert. Die Amerikanerinnen
überwinden mit langen, präzisen Pässen das Spielfeld, als bestünde es nur
aus dem japanischen Strafraum. Die Japanerinnen zirkulieren mit großem
Gleichmut den Ball ohne jeden Anspruch auf Raumgewinn. Ihr Trainer hat
seine Meditationsmaske aufgesetzt: Es ist alles getan. Wir fahren nach
Plan. Alles wird wie es wird. Es wird turbulent. Konzept gegen Konzept,
Welle auf Welle mit 20 cm Höhenunterschied. Tore und Gegentore unterbrechen
die Brandung nicht. Das amerikanische Wir werden Weltmeisterin blinkt wie
ein Leuchtturm vor Osaka – wir halten stand IST Osaka. Ein Essen mit
Meeresfrüchten im Hauptgang. Dann die Nachspeise der Verlängerung. Die US-
Trainerin hat jetzt große schwedische Augen, in denen sich Verwunderung,
Sorge und Aufmerksamkeit spiegeln. Wieder die Führung. Nebenan ein helles
Aufstöhnen. Wieder der Ausgleich. Jubel. Ich bin für die Japanerinnen, sagt
die Gastgeberin. Sie haben es nötiger. Sie sind schlechter dran im Land.
Leichte Irritation auf der Gegenseite. Wie kann das sein nach dem
Sturmlauf? Elfmeterschießen. Das große Männertor. Vielleicht sollte man die
Regel ändert, schreibt später ein ZEIT- Kommentator. Anlauf. Schuss.
Verschossen. Verschossen. Aus. Aus. Welch Drama. Welche Spannung. Welche
Sensation. Japan trifft und trifft und trifft. Diese stillen
Mädchengesichter. Ein Schniefen, ein Wimpernschlag ohne Wimpern. Einschlag.
Oliver Fritsch hat es ja noch nicht gesehen, dieses Spiel endgültiger
Klärung. Aber er gesteht den Japanerinnen die Ausnahmerolle zu: technisch
beschlagen, alle machen alles, Physis tritt in die zweite Reihe. Und auch
Frau Kemper hat da recht in der ZEIT vom französischen Nationalfeiertag. Da
ist das unerwartete Drama, das in den Köpfen der Zuschauer hängen bleiben
wird, der Mythos der fallenden Heldinnen, David siegt gegen Goliath, der
lächelt ungläubig, dreht sich halb im Kreis, breitet die Arme aus ratlos
und schlägt lang hin. David lächelt unbestimmt, verneigt sich vor sich
selbst, lässt die unheimliche Anspannung in Schüben von kleinen spitzen
Freudenschreien heraus. Da stehen die deutschen Hostessen in Caramelbraun
mit dem Lächeln WIE ENGEL vom Laufsteg, halten die Kissen mit dem Gold und
ein gewaltiges Halleluja aus Faschingskanonen lässt es perfekt regnen. Das
können wir.
Die Kamera zeigt den Jubel der deutschen Equipe im Zuschauerstatus.
Entlastung vor der Frage. Warum nicht WIR. Wir waren gute Gastgeber, sagt
der Wulffsche Oberhirte sanft. Bessere sind nicht zu machen. Wir sind in
den Stadien geblieben trotz des frühen Ausscheidens, sagt Mutter Merkel mit
Eifer. Trotzalledem. Konnten wir nicht verschießen, weil wir verschlafen
haben, was in der Frauenfußballwelt geschah?
Die U- Bahn fährt nur bis zum Sonntag durch, lächelt der Junge mit dem
Leimeimer an der Litfaßsäule. Berlin ist um diese Zeit still vom Kottbusser
Tor bis zum Alex. Es war eine schöne Zeit.
## 20. Juli: Nun ist es passiert
Brasilia ist ein Luxuszeltplatz mit Wache, hellblauem Einlassbändchen,
einer mörderischen Disko für ein paar Teenies und einer
Geschäftspräsentation der Anlieger aus Canet. Nach dem Metal- Konzert in
Llanca und den Albatrosangriffen in Escala wummern die Bässe, statt einer
komfortablen Erholung. Das nicht erwartete kommt prompt. Dabei war das
durchaus zu erwarten. Es gehört zum gehobenen Standardangebot, sagen die
Schließer, geht bis um eins und wird jede Nacht natürlich für die jungen
Leute angeboten. Mensch kann also nur am Strand abwandern. Deutschland
verliert gegen Japan mit 0:1 und ist raus, schreibt die l´equipe auf Seite
acht. Die Einser titelt: und meint die Französinnen, die England mit 4:3
ausschalten. In Frankreich ist bisher von der WM absolut nichts zu
bemerken. Fragen Sie an der Rezeption, ob hier ein Spiel übertragen wird,
sagt die Zeitungsfrau. Wenn die Landsleute insFinale kommen – wird es dann
hier anders? Ist das ebenso zu erwarten, wie jene Niederlage?
Die Männer haben bei der letzten WM mindestens zwei grandiose Spiele
gemacht – gegen Argentinien und gegen England. Ich war ebenso begeistert
wie bei den Frauen gegen Frankreich. Einmal, zweimal erleben, dass es geht
und wie gut es geht und dass es kaum besser gehen kann – was mehr. Ja,
Frauen können alles, hat die Künast recht und nicht erst, wenn sie
Weltmeister werden. Wer kann das verlangen, außer denen, die Deutschland –
und damit sich – wenigstens als Fußballmacht feiern wollen. Das ist immer
noch ein ziviles Anliegen, wenn auch nicht sonderlich souverän. Die
Fußballfrauen haben ihr erfüllt, wenn es denn so etwas überhaupt geben
sollte: gut, ja sehr gut spielen, in Bestform kommen.
Die wird zeigen, ob die Trainerin das auch so sehen kann. Ich sehe sie vom
Typ her wie Löw: sensibel, ruhig, schnell wieder runter, aber auch ganz
schön rauf. Nicht immer ganz selbstsicher, aber sicher im Vertrauen auf die
## 12. Juli: Werbung, Sex und Brechstange
Am Volksstrand von Barcelona schäumen die Wellen und glänzen die Bauten.
Der fliegt auf, wenn man unter ihm steht und sendet sphärische Musik.
Werbung ist in der Stadt sehr sparsam vertreten und Sex fehlt ganz. Am
Platz der Katalanen sieht eine riesige Frau von der Fassade wie Parfüm aus.
Sonst nichts.
Die freie Christin bringt es auf den Punkt: weshalb ich mich nicht verletzt
gefühlt habe durch die Safersex Werbung mit der Banane. Sie fühle sich
betroffen und missachtet, wenn Frauen als Beilage für Männer dargestellt
werden und solidarisiere sich mit ihnen. Das habe zwar abgenommen und mehr
Frauen seien wenig, sondern sehr selbständig, aber es gelte doch wohl immer
noch für größere Mehrheiten. Männer brauchen das anscheinend immer noch
zuhauf, um durch Erniedrigung ihr Ego zu erheben – verstehe ich da noch.
Also die Werbung, setze ich dagegen. Ich habe bisher nirgendwo einigermaßen
sichere Studien zum Geschäftserfolg durch Werbung gesehen, Die Werbeflut
ist so groß, dass die Aufnahmefähigkeit der Kunden längst überschritten
ist. Es wird entsorgt, die Aufkleber stellt jetzt schon der Vermieter zur
Verfügung und das angezielte Unterbewusstsein müsste sich auch schon mit
anderen Gegenständen befassen. Außerdem wirken so viele Faktoren in der
Kaufentscheidung, dass jeder seinen für sich reklamieren kann. Werbung
finanziert dagegen das halbe Internet und dreiviertel aller medialen
Kommunikation. Das ist nicht Nichts. Die Spielerinnen hätten sich wohl
offenkundig aussuchen können, ob und wie sie sich zeigen. Ob die Christin
denn eine Betroffene kennt und erlebt habe.
Die Banane war schon zur Wende nicht mein Symbol für die Überwindung der
Mangelwirtschaft. Dafür stand eher der Kopierer. Und als Sexzeichen
assoziiere ich sie bis dahin eher eine weibliche Verwendung, als
Sexspielzeug. Das hat sich jetzt erweitert und. Offensichtlich bin ich da
auch nicht so abstrakt veranlagt, wende ich ein. Diese Werbung scheint mir
praktisch zu treffen: Schützen, was erhoben bleiben soll. Das ist vor der
praktischen Ausführung auch eher ein freundlicher Gedanke und eine lustige
Geste, einen Froms darüber zu ziehen. Entwertet wird dadurch also gerade
nicht und lächerlich ist die Krümmung auch nicht – sie zeigt die von allen
gewünschte Tendenz zur Erhebung. Ist das Beleg für mehr männliches
Selbstbewusstsein oder bin ich nicht in der richtigen Szene zum Thema. Aber
Linkin Park z.B. bringt das Thema andersherum auf den Punkt: I will be not
ignored. Und das liegt noch weit vor so etwas wie zärtlicher Zuwendung.
Wenn Frauen wie die Bajramaj sich erotisch – selbstbewusst zeigen und
Oberschenkel und Brustansatz ist das eher selbstreflexiv als ein Beitrag
zur Geschlechterkultur.
Aber es geht um Frauen und Fußball und die Bloggerin Kathrina, die meinen
Blog als Brechstange der Zeitung gegen die Verbindung von Linken und
Feminismus vermutet. Mir ist alles, was mit – muss endet, seit langem
verleidet. Wenn muss -muss, dann wird sehr schnell das Emanzipative
verzehrt. Dass der Weg zur Emanzipation so verläuft, ändert da nichts. und
passen von daher durchaus. Aber beide haben erreicht, was man als Block
erreichen kann. Das merken Männer und Frauen eher als Blöcke und Parteien.
Ich sehe mich blockfrei und werte das als Zuwachs an Emanzipation. Und ich
verlasse ich eher auf Konkreta als auf eine brisante Geschlechterspannung.
Frauen spielen Fußball für mich- nicht umgekehrt.
## 10. Juli: Nun ist es passiert
Brasilia ist ein Luxuszeltplatz mit Wache, hellblauem Einlassbändchen,
einer mörderischen Disko für ein paar Teenies und einer
Geschäftspräsentation der Anlieger aus Canet. Nach dem Metal- Konzert in
Llanca und den Albatrosangriffen in Escala wummern die Bässe, statt einer
komfortablen Erholung. Das nicht erwartete kommt prompt.
Dabei war das durchaus zu erwarten. Es gehört zum gehobenen
Standardangebot, sagen die Schließer, geht bis um eins und wird jede Nacht
natürlich für die jungen Leute angeboten. Mensch kann also nur am Strand
abwandern. Deutschland verliert gegen Japan mit 0:1 und ist raus, schreibt
die l´equipe auf Seite acht. Die Einser titelt: und meint die Französinnen,
die England mit 4:3 ausschalten. In Frankreich ist bisher von der WM
absolut nichts zu bemerken. Fragen Sie an der Rezeption, ob hier ein Spiel
übertragen wird, sagt die Zeitungsfrau. Wenn die Landsleute insFinale
kommen – wird es dann hier anders? Ist das ebenso zu erwarten, wie jene
Niederlage?
Die Männer haben bei der letzten WM mindestens zwei grandiose Spiele
gemacht – gegen Argentinien und gegen England. Ich war ebenso begeistert
wie bei den Frauen gegen Frankreich. Einmal, zweimal erleben, dass es geht
und wie gut es geht und dass es kaum besser gehen kann – was mehr. Ja,
Frauen können alles, hat die Künast recht und nicht erst, wenn sie
Weltmeister werden. Wer kann das verlangen, außer denen, die Deutschland –
und damit sich – wenigstens als Fußballmacht feiern wollen. Das ist immer
noch ein ziviles Anliegen, wenn auch nicht sonderlich souverän. Die
Fußballfrauen haben ihr erfüllt, wenn es denn so etwas überhaupt geben
sollte: gut, ja sehr gut spielen, in Bestform kommen.
Die wird zeigen, ob die Trainerin das auch so sehen kann. Ich sehe sie vom
Typ her wie Löw: sensibel, ruhig, schnell wieder runter, aber auch ganz
schön rauf. Nicht immer ganz selbstsicher, aber sicher im Vertrauen auf die
Mann- und Frauschaft. Im Brasilia jedenfalls war nicht zu beobachten. Jetzt
beginnt hier die Session mit dem Kostenlos – Getränk, mal sehen, wer kommt
und wie viele. Ob sie zum Frauenfußball gekommen wären.
## 6. Juli: Der Knoten platzt: Deutschland- Frankreich
Wo?
Im FNAC sagt der Kassierer, sie würden mit Sicherheit das Spiel nicht
übertragen. Er wisse auch nicht, wer das machen wolle. Der Gastgeber
schüttelt den Kopf. Da müsse man einen kennen, der einen deutschen
Fernseher habe. Sein Prof habe einen, aber er gehe in Urlaub. Er kenne
keinen sonst, der das sehen würde. Die freie Christin recherchiert im Netz.
Es gibt drei irische Pups, die übertragen. Sie liegen streng links von der
Kathedrale. Wir queren den Vorplatz, gegen erstmals rechts von dem Monument
vorbei und treffen auf Polizeieinheiten in den Seitenstraßen und
Bodyguards. Wer wird hier geschützt? Auf dem Rathausplatz stehen 80
Demonstranten. Das Rathaus ist abgeriegelt durch Polizei und abenteuerliche
Baretts. Wir biegen rechts in die Flanellstrasse, finden die Pups,
entscheiden uns für einen und bestellen den Eintritt: Guinness 0,5 für 5.10
€.
Im Pub
Da ist keiner weiter. Der Gastgeber hatte recht. Doch nicht in Spanien. Die
Christin kauft vor dem Pub eine Deutschlandfahne. Nächstes Mal sind wir
dabei, erklärt der Verkäufer. Dann wird überall übertragen. Es ist die
letzte deutsche Fahne. Ich lasse sie für 6 €. Neben mir sitzt ein Lehrer
aus Heidelberg. Am Tresen ein Mann, der aus Afrika kommen könnte und ein
Engländer vielleicht. Der Engländer kommt aus Riad, der andere aus
Jordanien. Das Spiel beginnt lautlos. Im Pub dröhnt spanischer Pop. Sie
haben jetzt alle drei Screens auf die Frauen-WM geschaltet. Die ersten 20
Minuten nur Fehlpässe auf beiden Seiten. Dann konsolidiert sich das Spiel.
Die deutschen Frauen kombinieren aus der eigenen Hälfte heraus, schlagen
lange Pässe nach vorn, die ankommen, dann eine Flanke von rechts nach links
und Garefreke schießt im Effekt rein. Die Musik wechselt auf harten
britisch Pop. Der Heidelberger ist Lehrer, mit Brasilianern hier und hat
ansonsten mit Klassenfrequenzen von 30 plus zu tun. Die Araber blicken
freundlich. Wenn ihr gewinnt, geben wir einen aus. Prompt erfolgt der
Einschlag in einer zweiten gleichartigen Kombination durch Grings.
Glänzender Fußball. Der Knoten ist geplatzt. Es stimmt alles. Dann die zwei
Ecken, Standardsituationen. Das ist zu lernen, wie Frau eine höher
springende Kollegin deckt.
An der Tür blinkt die grüne Reklame der Apotheke neben dem Kopf des
schwarzen Sicherheitsmannes. Die deutschen Frauen bauen unermüdlich auf,
unbeeindruckt von den Gegentreffern. Die Pässe sind sehr genau. Der Ball
läuft über wenige Stationen nach vorn. die französische Hüterin stoppt den
Sturmlauf mit Foul und der Elfer wird sicher verwandelt. Was mehr? Fußball
vom feinsten, unerwartet, klar, systematisch. Die Zweikämpfe sind heftig,
die Gesichter nicht mehr verwundert, sondern angespannt bis verzerrt. Doch
die Richterin greift durch. Das scheint unerlässlich. Beim 4:2 endet alles.
Nachspiel
Die Deutschen haben verdient gewonnen. Sie müssen gewinnen. Sie haben das
Geld ausgegeben, sagt der aus Riad und zwinkert. Wir wählen Rotwein. Das
Thema Fußball wechselt zur Welt und zu Gott. Gott erlaubt kein aus der Hand
Lesen. Der Saudi liest mir vor, dass alles stimmt; Philosophie und
Ökonomie. Nur die Beziehungen nicht. Ein Affe, der von Baum zu Baum
springt. Das Leben, erwidre ich, ist Bewegung und die geht sprunghaft. Wie
sonst und warum jetzt anders als bisher. Er lächelt. Die Christin sagt, die
Bibel verbiete Wahrsagerei. Der Mann lächelt. Wovor haben Sie Angst?
Ich mache eben halt nicht alles. Es gibt nicht offen und offen, sondern nur
offen, werfe ich ein. Alles ist offen in Arabien. Beide nicken. Die Frauen
werden gleich. Das ist gut, aber nicht einfach und nicht alles. Das Spiel
ist aus, das italienische Café schließt hinter uns. Barcelona hat gegen
Eins immer noch 25 Grad plus. Morgen geht es weiter. Ich muss hier noch
einmal her. Die Stadt ist wie der Sesam öffne dich. Und die Offenheit
braucht Zeit.
## 5. Juli: Inszenierung, Beteiligung, Verwandlung
Die Pappen
Der Flieger fliegt mit den Pappkartons, in denen die Fahrräder geborgen
sind, gen Süden, landet sicher auf Terminal 2 und keiner klatscht. Außer
den Alpen und zwei Windböen war nichts passiert. Frau Merkel in der kann
nicht klatschen, weil sie in sich zusammengerutscht ist vor Lachen oder
Entsetzen oder beidem. Der Zwanziger an ihrer Seite liegt noch tiefer und
scheint zufrieden wie ein Baby und der Finanzminister hat sich in blankem
Zorn hoch aufgerichtet. Nur Blacher sitzt wach in seinem Amt. Die
Reaktionen löst der Schuss von xxxx in den blauem Himmel aus. Das Verfehlen
scheint dieselbe Wirkung auszulösen wie die Holzerei.
Die Verwandlung
Die Reaktionen der Regierung sind umwerfend. Ich möchte die ganze Serie
sehen und verwenden. Ich kann mir keinen Grund vorstellen, der sie so aus
dem Regierungshäuschen zu sich bringen kann. Ungezwungen trifft das nicht,
das ist willentlich. Das gelingt nur, wenn Mensch sich kontrolliert und die
Kontrolle dann etwas lockert. ist eine Explosion. Ich bin nicht sicher, ob
sie das von sich wussten, gedacht hätten und sich eingeräumt. Es ist über
sie gekommen, was da so kalkuliert als Demonstration begonnen hat. Da
passiert, dass Emanzipation ganz konkret genommen vom Spiel überschwappt.
SpielerInnen und Regierung kommen da zu sich und – zueinander. Nicht durch
Fußball schlechthin – sondern den der, die – innen sind.
Sex contra Leistung?
In der Sonntags – Welt wird nun die erste Wettkampfwoche anders
zusammengefasst. Bei Frau Delius verstellt der Blick auf die Fuß – Frau den
eigentlichen auf die Ball -Leistung. Da steht natürlich nicht, dass sie
schlecht spielten, aber gut war das halt auch nicht. Doch wer spielt denn
einigermaßen stabil gut außer der 1. FC Barcelona? Broder beschreibt
Frauenfußball als den größtmöglichen Sex, macht dahinter die Sponsoren aus,
die die Spielerinnen in Werbeobjekte von Marketing als neuer Sexismusform
verwandeln. Das sehen die interviewten Spielerinnen allerdings nicht so
streng. Ihnen gefällt es offensichtlich, schön gefunden zu werden und die
Form der Präsentation selbst zu bestimmen. Und das ist wohl auch
Wirklichkeit.
Aber während die Regierung dann wieder ins Amt zurück fällt, entspannen
sich die Frauen etwas. So ganz aber nicht, denn sie sind noch nicht in
ihrem Spiel und sie müssen immer mehr – gewinnen.
## 30. Juni: Kader und Kirche
8 von elf Frauen sind aus Frankfurt, sagt der entfernte Nachbar. Von denen
sind wenigstens 6 Ex-Potsdamerinnen. Auf dem Rasen steht nur eine von
Turbine. Turbine ist Meister, Zweiter der Championsleague, setzt auf
Ausbildung des Kaders und Herrn Schröder. Frau Neid setzt auf Frankfurt und
Kommerz. Die Mannschaft, fährt er fort, spielt unter ihren technischen
Möglichkeiten. Wenn der Ball hoch geschlagen wird, dann können viele um ihn
kämpfen. Wird er flach und schnell gespielt, dann kann es zu keinem harten
Tackling kommen. Das Eigene des Frauenfußball ist ruhiger, entspannter,
weniger meckernd, weniger Schwalben und Fallpathos, Frauenfußball ist
familienfreundlicher und bei Bochum sitzen immer ein paar Nonnen auf der
Tribüne.
Ausverkauft. Kein Wunder, sagt Göring Eckart, Sonderbotschafterin der WM
für Dresden. Total selbstbewusste Mädchen sind unterwegs. Die Millionen
werden nicht so mit den Menschen hin- und hergeschoben. Sehen und fördern.
Gleiche Rahmenbedingungen. Das Schönste ist die Integration über Nationen
hinaus, kein Rassismus. Das ist ganz ernst. Dass die Fans das selbst sagen.
Hier ist jeder so gut, wie er spielt. Gott der Herr geht mit auf das
Spielfeld, aber Fußball ist keine Religion. Beides. Begeisterung für eine
Sache und Glaube an etwas, was mehr ist, als das, was man sehen kann. Da
kann man nicht gewinnen und aufsteigen. Keine Punkte auf der Himmelsleiter.
Vorher ökumenischer Gottesdienst, dann mit dem Staat im Stadion.
Maren Brandt, 14 Jahre alt, hat die Eintrittskarten für das Olympiastadion
zur Konfirmation bekommen. Mehr Mannschaft hilft für Schule, Gruppenarbeit,
Teamgeist. Schule fürs Leben. Verlieren können muss man, fürs Leben lernen
und trotzdem guter Dinge sein. Auf Niederlage vorbereitet sein – mein Gott,
welche Perspektiven! Mit Gott und Fußball zur weiblichen Führungsposition
beim Grün – Alternativen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft – gemeinsam
mit den Fürsten. Das klingt wirklich wie Luther und Zweite Reformation.
Marx würde nicken. Wieder was richtig gedacht.
zum Slogan „Jungs, wir rächen Euch!: Wie diese Rache vonstatten gehen soll,
wo doch das Männerteam des spanischen Verbandes gar nicht am Turnier
teilnehmen. Ob nun der Spruch den DFB-Spielerinnen in den Mund gelegt wurde
und deren Motivation wirklich irgendwas mit Schweini undsoweiter zu tun
hat? Immerhin sind wir alle Deutschland. Und als nächstes macht dann Angela
Merkel mit dem Atomausstieg die andauernde Niederlagenserie von Michael
Schuhmacher vergessen.“ Oder ob sie sich wollen – dafür, dass sie die Nr. 1
sind, die die Männer werden wollen und es keiner richtig würdigt?
## Sünde und Hoffnung: Die Budget- Differenz!
Die Fallen
Wir wissen ja nicht, was bei den Männern im Kragen steht! Aber von sicher
nichts. Zum Glück. Das Unglück liegt in der Sünde: Frauen und Fußball
beginnen gleich, Männer haben schon begonnen. Die ersteren sind eventuell
noch vor der Sünde, die zweiten sicher mittendrin. Die Sünde sind die
Budgets. Sie wecken Begehrlichkeiten. Die Argumente – Arbeitsplätze,
Märkte, Wohlstand- ändern daran nichts. Das Problem an der Sünde ist,
stattgefunden zu haben weit vor uns- die belastete Geburt. Es ist also eine
besondere Art Jungfraulichkeit, die den Unterschied macht: Die Frauen
können ihr Spiel noch nicht zu den Millionen verkaufen und die Männer
können es nicht mehr lassen.
Die Zahlen
Die Wirtschaftswoche bricht diese Qualität auf ausgesuchte Quantitäten
herauf:
1.) Budget Frauen: 51 Millionen Euro für 16 Frauschaften = 3.2 Mio je
Schaft; Budget Männer [2006] 430 Mio. für 32 Mannschaften = 13.4 Mio. Das
gut Vierfache oder ein Viertel. Ein Viertel ist vor dem Eisprung.
2.) 5 Tage vor Anstoß waren 80% der 900.000 Karten verkauft. Es gibt also
nicht nur Bedürfnisse, sondern auch zahlungsfähige Nachfrage, also Bedarf.
Mehr wissen wir nicht. Das reicht nicht als Argument für oder gegen die
Sünde, aber vielleicht doch als ein Anfang.
3.) Die Kneipen vor Ort und die Fähnchenhersteller „können kleine Gewinne
erwarten.“ Die bescheidene Formulierung spricht für sich: Keine fette
Torte, bestenfalls Johannisbeerkuchen.
4.) 4 Mio. Frauen- zu 40 Mio. Männer plus x Sponsorengelder gehen an die
FiFA. Das macht wieder nur ein Zehntel und noch keinen Märchensommer.
5.) Ein Sechstel der DFB – Mitglieder sind Frauen. Selbst bei hohem
Zuwachs, den die Wiwo nicht preisgibt, fehlt da noch so viel, dass nichts
so schnell werden muss.
6.) Es sind bisher nur 4,5 Panini – Frauen – Tütchen verkauft worden.
Selbst wenn es 5.5 Mio. werden, verkaufte der italienische Sammelalbum –
Drucker 2006 160 Mio. Männer- Tüten. 3,4% also beschreibt die größte
Hoffnung, dass es nicht reicht, obwohl hier der Zuwachs am ungefährlichsten
für die Sünde sein könnte.
Ein Zahler
Das sagt auch Murphy im TAZZUM. „Finanziell ist es im Moment aber eher ein
Verlustgeschäft.“ Er tritt hier als Unternehmer auf. PHILIP D. MURPHY, 1957
in Boston geboren, ist Harvard-Absolvent und seit August 2009
US-Botschafter in Deutschland. Davor war er 23 Jahre lang bei der
Investmentbank Goldman Sachs tätig, das Privatvermögen des
Obama-Unterstützers wird auf 100 Millionen Dollar geschätzt. Murphy ist
Mehrheitseigentümer des Frauenfußballvereins Sky Blue FC.
Es gibt also Hoffnung, dass es nicht reicht. Das Frauenspiel müsste daher
spielerischer ausfallen können als das männliche. Die Ausnahme Barcelona
bestätigt die Regel Bayern M. Doch sie ist eher klein. Das der Französinnen
war schon auf dem Weg und dass der Kanadierinnen schon sehr weit entfernt
von Nigeria. Der andere Beginn wird immer wieder kassiert:
Jungsfreundlichkeit.
## Geschlechterdifferenz und Selbstbezug
Die Bande Geschlecht
Mich interessiert natürlich der Mann, sagt die Frau an der Ecke unerwartet.
Auch beim Frauenfußball. Das ist doch immer DAS Thema und nicht nur Eines!
Was immer wir auch daran schieben, es ist. Frauen spielen immer für Männer
und Männer selbstredend für sie. Zuerst oder gleichzeitig. Das kann Mensch
intellektualisieren, worauf der Kulturdiskurs ja eigentlich hinaus läuft –
aber er muss es wohl doch nicht.
Der Selbstbezug
Naja, wende ich ein, den exzellenten Abgang der Beatles bei cry baby noch
im Ohr, das Spiel mit sich über den Ball und den andern, der ihn nehmen
will, ist ganz eigen und besetzend. Da ist erst einmal für nichts anderes
Raum. Als die Nigerianerin den Ball herunterholt, von links auf den rechten
Fuß bringt, sich leicht zurücklegt, ausholt und mit Wucht abschießt, das
ist doch eine Erhebung extraordinaire. Das ist DAS Mensch. Dann kommen die
andern, Wirbel von Gattung. Dann kommt wahrscheinlich das Geschlecht, die
Mitfrau, die Frauschaft. Dann das Publikum. Dann – der, irgendein Mann?
Der der Männer
Hast Du mal Männer beim Volleyball gesehen, wie sie am Netz aufspringen,
den Ball schlagen, den Punkt machen, sich einander zuwenden, strahlend, mit
den Händen abklatschen, aufeinander, bis sich ihre Brustkästen berühren –
mit einem kolossal offenen Lächeln? Da ist alles drin für diesen Moment.
Das musst Du erst einmal woanders zustande bringen. Das klappt vielleicht
gerade, weil die Geschlechterspannung fehlt. Weil da originäre Mannrolle
funktioniert. Physis, ungestörte Kooperation, kein Diskursanreiz. Ich sehe
diese Art von Selbsthingabe, von Genuss des mehr bei Männern als bei
Frauen. Sie irgendwie darin, wie in einer Hängematte. Aber eben Nicht beim
Fußball! Da fallen sie in die Jungsrolle oder in die des unbekannten
Soldaten. Aber auch da wollen sie es eher zeigen – und nicht den Frauen. I
got it. Ich habe es gerafft. Messie spielt für sich und Barcelona auch mehr
als fast alle anderen. Der Rest ist, also Produktion im Gegensatz zu Spiel.
Reggae halte ich nur vermischt aus, als Crossover. Der eben war doch zu
viel Kinderschaukel und geht aus dem Bestand. Im Spielpark hinter der
Volksbühne fliegt ein Mädchen im weißen Kleid hoch und höher. Am
improvisiert eine Elektrogitarristin. Kein Fußball, nirgends. Nicht an
jeder Ecke public – viewing. Sommer vom schönsten. Chilenischer Merlot und
The wire tapper 17.
## Umschalten auf hart: Nigeria – Deutschland
Oder wie gewohnt und vom Schlimmsten
Da plötzlich wird alles anders. Oder wie gewohnt. Bei schlechten Spielen.
Und schlechten Schiedsrichtern. Sie hacken in die Beine, Knöchel,
Kniescheiben wie entfesselt. Sie sind wie ausgewechselt. Schwarzafrika
schaltet um auf hart. Ich hätte auch Grönland geflucht oder Deutschland.
Sie stellen nicht nur die Räume zu, sondern rennen die um. Es fehlt, sie
würden triumphierend schreien. Und Frau Südkorea lächelt, statt zu pfeifen.
Es fehlt an Professionalität und Kultur. Jetzt sind sie wie die Männer.
Fußballer. Holzer.
Spielverderbung
Sie setzen alle offensichtlich verbotenen Mittel ein, Ellbogen, Knie, die
Unterseiten der Fußballschuhe. Sie wollen siegen und missachten den andern.
Es sieht aus, als hassen sie ihn. Ich spüre schon, wie ich selbst das zu
hassen beginne. Es verdirbt das Spiel. Es zerstört wie so oft meine
Illusion. Frauenfußball ist Fußball, nicht mehr und nicht weniger und die
Millionen spielen noch gar nicht herein. Sie werden domestiziert werden,
aber sie brauchen den Dompteur. Das ist wie in Rom. Brot und Spiele. Jetzt
denke ich an, jetzt will ich, dass sie das rächen, dass sie Tore schießen,
den Ball rein knallen, zeigen, dass das kein Weg ist, diese Gewalt, sie
rausschießen. Sie müssen da durch. Es muss ausgewertet werden. Ich wünsche
ihnen eine Niederlage. Die Torfrau im fünf- Meter umgerannt. Keine Regel
wird eingehalten. Buschkrieg. Auch Frauenfußball, nein danke. Ein Skandal.
Dann endlich Ende. Sie sind raus! Gott sei dank. Sie haben bei mir
verschissen bis in die Steinzeit. Hier ist Krieg gewesen und ich hasse
Krieg.
Wie es kommt, dass es kommt
Beim Tischtennis im Soldiner Kiez habe ich eingeführt, dass zählt, wie
lange und gekonnt der Ball hin und her geht, ohne dass der andere
herausgeschossen wird. Es geht viel besser als sonst, mehr schöne Züge,
Chancen, Kooperation, Bestätigung als im Kampf darum, den Ball so auf die
Kante zu setzen, dass er andere ihn nicht kriegt. Solange spielen, bis
einer selbst den Ball nicht mehr halten kann, die Dynamik stärker ist. Ich
habe immer wieder gewusst und erlebt, dass Wettbewerb in Konkurrenz,
Konkurrenz in Kampf, Kampf in Angriff mit allen Mitteln und Angriff in
Krieg führt.
Entspannung. Den Puls herunter. Ein Spiel. Ein Spiel. Sport. Die Ausnahme.
Besser als noch ein wirklicher Krieg. Sie leben ja alle, keiner ist
verkrüppelt. Erst wenn Kommerz herein kommt, sagt der entfernte Nachbar,
geht es schief. Da ist doch noch kaum Kommerz drin, sage ich. Es sind schon
Millionen, kommt die Antwort zurück. Sie haben nicht nur Spiele zu gewinnen
und zu verlieren, sondern Geld, Perspektiven, Auswege, Hoffnungen,
Aufstiege. Das Spiel wird verspielt.
## 26. Juni: Die Differenz?
Ich dachte, die Eröffnungsfeier wird plötzlich auf einem großen Screen vor
der Volksbühne zelebriert, aber da ist eine junge Frau. Sie singt und
spielt in ein Band. Beides steigt in den Wind, der es unwiderstehlich zum
mir weht. Es klingt sphärisch, nicht von dieser Welt, also von der anderen.
Religion hat mich bis vor sechs Jahren nicht interessiert, Fußball erst
seit drei Jahren.
Über die Frauen ist hier nur in diesem einfachen oder doppelten
Zusammenhang zu sprechen. Was hinter der Volksbühne hervor hier ankommt,
ist ausreichend verzerrt. Fußball ist dagegen eher klar: Ball und Beine.
Das Frühstücksradio berichtet, sie sammelten bisher Männerportraits in
Mappen. Jetzt sind sie selbst zu sammeln und sie sammeln auch sich selbst.
Männer sammeln war bisher schöner. Das andere Geschlecht zieht
normalerweise an. Jetzt ist es das eigne. Nur wer sich selbst lieben kann,
gerät nicht in den Tauschzwang, wäre eine Botschaft. Wer sich nicht liebt,
gewinnt nicht gegen andere, die wichtigere.
Was ist die Differenz? Lieben Frauen anders? Spielen sie auch anders? Der
Busen hüpft, erklärt ein alter Mann im Radio. Das geht nicht. Er hat
wahrscheinlich noch nie Leichtathletik gesehen. Sport-BH und die Ganze
Körperbewegung. Er wird nicht regelmäßig in die Sauna gehen.
Die Grüne Roth sieht eine besondere Ästhetik in den Stadien und eine große
Öffentlichkeit. Ich befinde mich leicht leidend, wenn Frauen forsch
behaupten, sie seien schön, anstatt wenigstens Gymnastik zu machen, wenn
sie schon nicht Fußball spielen. Ich jedenfalls sehe nichts anderes, als
Frau Roth dann bleibt: jetzt wird die letzte Männerdomäne gestürmt. Wir
werden um volle Stadien kämpfen – Gut Holz.
## Straffer oder Schlaffer oder Lust an Sport?
Gegen 15h kommt die Sonntagssonne erstmals durch. „Das Stadion ist restlos
ausverkauft, 400.000 ZuschauerInnen fiebern dem Einlauf der Footballerinnen
entgegen. Die Spielerinnen rennen aufs Feld und das Gejohle wird bei ihrem
Anblick noch lauter, denn: Die 14 Football-Ladies tragen Helm und
Schulterschutz. Ihre knappen Höschen enden haarscharf an der
Schamhaargrenze, ihre Bustiers werden von überdimensionierten
Silikon-Brüsten gesprengt. Ihren Oberschenkel umfasst ein schwarzes Band.
Die Fans sind begeistert.“ [EMMA, Frühling 2010].
Bei You Tube haben rund 205 000 Leute das Video der San Diego Seductions
angesehen. Die Frauen tragen weiße Sportdress. Die BHs beherrschen die
Oberweiten souverän. Sie trainieren, wie ich Training von meinem Enkel
kenne.
Mich erinnern Silikonbrüste spontan an Schwitters-Plastiken im Hamburger
Bahnhof und an steinzeitliche Mutterfiguren mit Fruchtbarkeitssymbolik.
Frau Schlaffer sieht in der Prinz-Installation in Frankfurt eine radikale
Provokation: „Auf dem Rasen treten Frauen auf, die sich benehmen, wie
Frauen sich nicht benehmen sollen: kämpferisch, mit verzerrtem Gesicht,
risikobereit, rüde und rücksichtslos gegen sich selbst. Sie bejubeln ihre
Tore und feiern ihre Siege mit Gebärden, die sich für Frauen nicht
schicken.“ Sie gehören zum Spiel, erklärt die Professorin.
Mein Ältester, der gestern in einer Potsdamer Straßenfußballmanschaft 80%
der Tore vorbereitet und vier Elfmeter abgewehrt hat, hat nichts kopiert,
wenn er den Arm hochreißt. Soll Frau das nicht so direkt gelingen? Eine
neue Etappe in der Emanzipation, stellt die Forscherin fest, sei Schulung
für Teamarbeit. „Mädchen lernen – das wuchernde Bildungsangebot zeigt es …
immer Fähigkeiten, die sie allein ausüben können.“ [Die Welt online,
25.6.11] Mannschaftsspiel also würde Frauen für einsame Führungspositionen
vorbereiten. Da würde bin ich durchaus als Frau durchgehen. Ich habe aber
seit einer Beziehung mit 68er Dynamik in den frühen 70er Jahren mein
Problem mit Frauen – Emanzipation: Es war einfach zu lange zu viel. Auch
ohne Fußball.
## Probespiel 1: Welch ein Lauf, welch ein Tor
Spielt Hertha, fragt die Nachbarin rechts verdutzt. Frauen-WM, sage ich
konzentriert. Sie weiß es nicht. Sie sieht auch keinen Männerfußball. Das
Endspiel vielleicht, erklärt die 12jährige Tochter der unteren Hauspartei.
Der Nachbar daneben ist nicht da. Ich bin anscheinend der einziger Viewer
des Auftaktspiels, obwohl ich das nicht vorhatte. Seit drei Jahren sehe ich
mit, wenn der Älteste kommt. Der ist Enthusiast. Das führte dann zu einer
leichten Ansteckung. Zur letzten WM jedenfalls ging ich zur Kulm in die
Herberge von Weissig an der Elbe, als die Deutschen spielten. Wenn sie ein
Bier trinken, bot die Wirtin an, schalte ich ein. Wir sahen dann zu zweit
das exzellente Spiel gegen England und zwei weitere. Wenn sie ausschieden,
stimmten die zwei Freundinnen der Frau jenseits des Kanals zu, dann würde
es reichen. Ich habe noch nie besseren deutschen Fußball gesehen.
Frankreich gegen Nigeria zum Auftakt. Zattoo will Geld für besseres Bild
ohne Werbung, aber ich sehe zu selten. Eigentlich nur Spitzensport. Also
Frauen-WM. Das Stadion gut gefüllt. Der Rasen grün. Nigeria in Weiß, bei
den Französinnen auch Schwarze. Die Weißen etwas athletischer, die
Frontfrau mit starken, geschmeidigen Bewegungen im Vormarsch. Dezidierter
Körpereinsatz, aber kein Checken, sondern eher beiseite schieben. Das sieht
kraftvoll und elegant aus. Sanft, aber entschieden und technisch perfekt.
Mit hohem Tempo vor dem Tor ist sie kaum zu bremsen. Zwei-, dreimal gelingt
der Abschluss nicht. Die Trainerin sieht das mit demonstrativer Ruhe.
Sie habe erst einmal die Lesben herausgenommen bei Übernahme des Amtes,
sagt der Reporter vorsichtig. Es müsste eigentlich 2:0 stehen, die zwei
Schiedsrichter-Fehlentscheidungen nicht mitgerechnet. Für Frankreich ist
der Trainer ein sanfter Mann. Er lächelt etwas ratlos von der Seitenlinie.
Die Kamera zeigt die grüblerische Stirn einer nicht eingesetzten
Starspielerin. Auf dem Rasen kommt dann die Torszene: Ein langer Pass, der
in die Strafraummitte weitergegeben wird, die konzentrierte Annahme und der
satte, unhaltbare Schuss. Jetzt läuft es mehr und mehr für Blau. Das
Publikum sei neutral und spielorientiert, kommentiert der Reporter. Die
Sympathien wechseln. Mir scheint doch, dass hier die Frauen besser
miteinander umgehen, weiblicher.
Zum Kämpfen gehört für mich das punktuelle Ausblenden des Mitspielers. Dann
wird der Körpereinsatz zum Check und der Check zum harten Rempler und der
Rempler zur Frustreaktion. Das kann ja noch alles kommen. Aber hier ist es
nicht. Hier kommt die französische Freude zeitverschoben und die
Nigerianerinnen klatschen freundlich. Also dann doch noch Deutschlands
Auftakt.
27 Jun 2011
## AUTOREN
Reinfried Musch
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