# taz.de -- Kommentar Dominique Strauss-Kahn: Rechtsprechung ist kein Spektakel | |
> Was sich bei dem Strauss-Kahn-Prozess in New York zeigt, ist die | |
> Erkenntnis, dass Rechtsprechung kein Zirkus sein darf. Sie braucht Ruhe, | |
> Zeit und Geduld. Keine Kameras. | |
Der mutmaßliche Täter, dessen Verfahren wegen versuchter Vergewaltigung | |
weiter geht, kommt mit strahlendem Sieger-Lächeln auf die Straße, nachdem | |
das Gericht seinen Hausarrest und seine Kaution gestrichen hat. Seine linke | |
Hand ruht lässig auf einer Schulter seiner Frau. Und in Paris wollen manche | |
AnhängerInnen in ihm schon wieder den Retter sehen, der sie im kommenden | |
Jahr von Präsident Nicolas Sarkozy befreien soll. | |
Das mutmaßliche Opfer, die 32-jährige Einwanderin aus Guinea, sitzt weinend | |
zuhause. Und ihr Anwalt, der befürchtet, der komplette Prozess wegen | |
sexueller Gewalt und versuchter Vergewaltigung könnte eingestellt werden, | |
geht in die Flucht nach vorn. In schmerzhaften Details spricht er über | |
Verletzungen in ihrer Vagina, gibt zu, dass sie "Fehler" gemacht habe und | |
kündigt an, dass sie selber vor die Öffentlichkeit treten werde. Um genau | |
zu erzählen, was Strauss-Kahn ihr am 13. Mai in einem Hotelzimmer in New | |
York angetan habe. | |
Szenen von einer Straße in Manhattan. Sie spielen vor dem Gebäude, in dem | |
eigentlich Rechtsprechung stattfinden soll. Und aus dessen Innerem | |
stattdessen der Stoff für weltweites Reality-TV kommt. Diese Auftritte | |
setzen konsequent fort, was in den Vorwochen geschehen ist: als der | |
einstige IWF-Chef in Handschellen vor die TV-Kameras geführt wurde. Als | |
Spitzenpolitiker in Paris Sexualverbrechen banalisierten. Und als | |
Putzfrauen in Uniform ein Spalier vor dem Gericht bildeten und skandierten: | |
"Shame on you". | |
All das ist - im günstigsten Fall - Zirkus. Unterhaltung. Es bestätigt oder | |
widerlegt Vorurteile, Ressentiments oder Sympathien. Und es erhöht die | |
Einschaltquoten und Auflagen. Aber es befördert nicht das Auffinden der | |
Wahrheit. Ob Strauss-Kahn tatsächlich eine Vergewaltigung versucht hat, | |
wird so nicht herauszubekommen sein. Genau so wenig wird sich eine Antwort | |
auf die Frage finden lassen, ob eine Frau, die über andere Dinge in ihrem | |
Leben gelogen hat, unglaubwürdig ist, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigt. | |
Was sich bei dem Strauss-Kahn-Prozess in New York deutlich zeigt – und was | |
wir rückblickend möglicherweise als seinen einzigen Nutzen betrachten | |
werden – ist die Erkenntnis, dass Rechtsprechung kein Spektakel sein darf. | |
Sie braucht Ruhe, Zeit und Geduld. Keine Kameras. | |
1 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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