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# taz.de -- Montagsinterview mit Typograf Erik Spiekermann: "Berlin ist ein dic…
> Ohne Erik Spiekermann sähe Berlin anders aus. Die Busse wären nicht gelb,
> das Berlin-Logo kein Brandenburger Tor aus blau-roten Balken. Er sagt:
> Berlin braucht weniger Kampagnen und mehr Wegeleitsystem.
Bild: "Es gibt kein Wegeleitsystem für Touristen, sondern nur diese grotesk h�…
taz: Herr Spiekermann, Sie haben in den 90er Jahren das BVG-Leitsystem
entwickelt und dadurch das Gesicht der Stadt entscheidend geprägt. Jetzt
werden Sie zu Stadtmarketing-Podien als Experte eingeladen, über die
"starke Marke Berlin" zu sprechen. Haben Sie die Marke Berlin mit erfunden?
Erik Spiekermann: Das war nicht der Auftrag, als wir 1990 den Zuschlag für
ein Fahrgastleitsystem bekamen. Die historische Leistung, die mir und
meiner Agentur damals zufiel, bestand darin, die beiden Stadthälften
zusammenzubringen. Westberlin war ja auf der DDR-Landkarte weiß wie der
Obere Nil vor Livingstone. Und wir Westberliner hatten den Osten als grau
unterlegte Zone, wo man nur durchfahren konnte, aber nicht aussteigen. Dann
fiel die Mauer, und plötzlich sollte das eine Stadt sein. Ich lebte seit
1964 im Westen, im Osten kannte ich mich aber gar nicht aus. Das Erste, was
wir machten, war, Karten für Busfahrer zu entwickeln. Die Linien, die bis
dahin an der Mauer endeten, sollten in den Ostteil verlängert werden. Die
Busfahrer brauchten Karten, die sie sich aufs Lenkrad legten, um zu wissen,
dass die nächste Haltestelle Otto-Grotewohl-Straße hieß.
Stimmt es eigentlich, dass Berlin Ihnen die gelben BVG-Straßenbahnen und
Busse zu verdanken hat?
Ja, und das rechne ich mir durchaus als Verdienst an. Vorher waren die
Busse im Westen beige, die U-Bahnen orange-gelb. Im Osten waren die
U-Bahnen zitronig-creme, die Straßenbahnen orangig-creme. Lauter
Beamtenfarben - furchtbar. Trotzdem nannte die B.Z., die ja immer
vermeintlich volkstümliche Ausdrücke wie "Schwangere Auster" oder "Langer
Lulatsch" erfand, die Bahn immer "die große Gelbe". Also überredete ich den
damaligen BVG-Chef, alles knatschgelb zu lackieren. Inzwischen sind ja die
gelben Doppeldecker stadtprägend wie in New York die gelben Taxis oder in
London die roten Busse.
Sie prägten auch das offizielle Logo der Stadt: ein stilisiertes
Brandenburger Tor, das den Internetauftritt der Berliner Verwaltung
schmückt. Das blau-rote Tor wirkt, mit Verlaub, ja etwas piefig …
Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass dieses Signet in den 90ern
für die Berliner Verwaltung entwickelt wurde - für den
Behördenschriftverkehr und nicht fürs Publikum. Man suchte einen
zeitgemäßen Ersatz für den Bären mit Mauerkrone, der bis dahin auf den
Briefbögen der Stadt stand. Es gab einen Senatswettbewerb, den wir zwar
nicht gewonnen hatten, aber der Sieger hatte ein Lindenblatt vorgeschlagen,
das dummerweise die Stadt Lindau schon hatte. Also kamen wir zum Zug. Uns
war klar: Da muss das Brandenburger Tor drauf. Denn je weiter man von
Berlin weggeht, desto bekannter ist es.
Ist der Fernsehturm nicht das Berlinsymbol schlechthin?
Das kommt einem nur so vor, wenn man in der Stadt lebt. Außerhalb kennt man
den Fernsehturm nicht als Berliner Wahrzeichen, schließlich gibt es davon
viele auf der Welt, die alle gleich aussehen. Aber das Brandenburger Tor
ist einzigartig - auch als Symbol: an der Nahtstelle zwischen Ost und West.
Die Quadriga, die nicht erobert, sondern von außen zurückkommt. Zur
Sicherheit arbeiteten wir noch das Wort "Berlin" ein. Heute würde Berlin
auch allein funktionieren, es ist in allen Sprachen der Welt
unverwechselbar. Unser Entwurf wurde leider auch für die Werbung benutzt.
Dafür ist das Tor zu steif, woraus sich dann diese dusselige Imagekampagne
entwickelte …
Meinen Sie die Stadtmarketingkampagne "Be Berlin", die der Senat 2008 ins
Leben gerufen hatte?
Eine Katastrophe ist das! Der Slogan ist alt - ich sage nur: Be Birmingham,
I Amsterdam, I Love New York. Und dann haben sie neben den Slogan auch noch
mein Brandenburger-Tor-Logo gepappt. Das Ding hat zu viele Mitteilungen: Be
Brandenburger Tor Berlin. Mein Bruder, der kein Englisch kann, sondern
Spanisch, fragte mich, was das soll: Be Berlin. Weiß man eben auch nicht
sofort.
Es gibt die Kampagne Be Berlin, die Agentur Visit Berlin, dann noch
Unterkampagnen wie die Freundlichkeitsoffensive der BVG - hat Berlin zu
viele Tourismuskampagnen?
Natürlich. Berlin traut sich nicht, als ein Absender zu sprechen. Wenn ich
Psychologe wäre, würde ich sagen: Da fehlt das Selbstvertrauen, wenn man
sich zweimal nennen muss. Überhaupt passt so eine Kampagne nicht zu Berlin:
Kommunikation wird durch Inhalte bestimmt. Aber wenn man nur gute Stimmung
angesichts schlechter Nachrichten verbreiten will, dann kommt das nicht an.
In Kreuzberg tauchen im Straßenbild vermehrt Aufkleber mit einem
durchgestrichenen Herzen auf: "Berlin doesnt love you" ist die Botschaft
der Anwohner an die Touristen, durch die sie ihre Lebensqualität bedroht
sehen. Was halten Sie davon?
Ich finde das fremdenfeindlich. Es ist zwar verständlich, dass es die
Kreuzberger empört, wenn die Mieten steigen, weil die Dänen oder Holländer
kommen, aber müsste man dann nicht auch sagen: Wir schmeißen die ganzen
Schwaben raus? Wo fängt das an und wo hört das auf, wenn man sich gegen
bestimmte Gruppen wendet? Wer ist denn Kreuzberger? Die seit den 70er
Jahren hier sind? Nur geborene Berliner? Die eingewanderten Türken? Wenn
man das zu Ende denkt, ist das eine dörfliche Haltung. Wie im Kleingarten,
wo man einen Zaun hat und die Hecken oben abschneidet, damit nichts
drüberwächst.
Aber dahinter steckt etwas Ernstes: die Sorge, dass die Freiräume für die
viel beschworene Berliner Lebensart schwinden. Zerstört die Ausrichtung auf
Touristen unsere Stadt?
Es ist zwar schade, wenn die Stadtmitte zur Touristenmeile wird, aber
letztendlich völlig normal. Als reine Kreativstadt wäre Berlin schon längst
so pleite, dass hier kein Müll mehr abgeholt würde und die BVG nicht mehr
führe. Tourismus ist nun mal die Haupteinnahmequelle, so wie das in London
und Paris auch ist. Was die Besucherzahlen betrifft, rangiert Berlin
bereits knapp hinter Paris. Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht.
Das Berliner Biotop ist natürlich im Eimer. Aber ohne Geld von außen wäre
die Stadt schon vor zehn Jahren pleite gewesen.
Wo wohnen Sie selbst?
In Mitte. Natürlich gehen mir auch die Gruppen auf die Nerven, die
Bürgersteige verstopfen und auf den Fahrradweg springen. Aber gäbe es
Fabrikschlote, dann würden wir uns über den Qualm beschweren. Oder
Dampframmen, dann würden wir über Lärm klagen. Ich verstehe nicht, was sich
manche Leute vorstellen: Wir nehmen uns die Freiräume, besetzen Ruinen, wir
leben - ja wovon eigentlich? Von welchem Mehrwert, den wir produzieren? Die
Leute, die so was sagen, haben ihr "Kapital" nicht gelesen. Darin steht
auch: Von nix kommt nix. Mir sind Touristen immer noch lieber als
Kohlebergwerke oder Hütten. Da muss man nur mal in den 60ern in Dortmund
gewesen sein, um zu wissen, wie das ist. Die Familie meines Vaters lebte
da, ich war oft zu Besuch. Mein Vater war übrigens Lastwagenfahrer, ich
habe das auch eine Zeit lang gemacht. Ich weiß, was Arbeit ist. Ich habe
eigentlich immer gearbeitet.
Jetzt klingen Sie aber sehr konservativ. Kamen Sie nicht auch mal als
Wehrdienstflüchtling nach Berlin?
Sicher, aber nicht, um mich hier auszuruhen. Ich habe studiert und nebenher
gearbeitet. Diese linken Sozialromantiker aus den Kiezen ärgern mich.
Leute, die sagen: Lieben wollen wir die Touristen nicht, auch mit dem Staat
wollen wir nichts zu tun haben, wir wollen nur die Knete - das finde ich
total kleinkariert. Genauso kleinkariert finde ich aber auch, dass der
Senat denkt, er könne die Leute mit einer Werbekampagne motivieren. Dass
Berlin eine coole Location ist, muss Visit Berlin eher in Singapur, New
York oder Tokio vermitteln.
Muss man das wirklich noch irgendwem erzählen?
Es geht ja nicht um die Einzeltouristen, sondern um Gruppen. Wer in Berlin
eine Messe besuchen will oder eine Tagung abhalten will, braucht konkrete
Anlaufstellen und Informationen. Wenn VW hier seine Jahreshauptversammlung
macht, ärgert das vielleicht manche für drei Tage, bringt aber viel Geld.
Über die Geschäftsleute regt sich ja keiner auf - es sind die
Partytouristen, die zum Feiern herkommen und in billigen Hostels schlafen,
die Ärger machen. Weil die Hostels oder Ferienwohnungen meist mitten in
Wohnquartieren liegen.
Das ist ein Auswuchs, dem die Bezirke gegensteuern müssen. Natürlich ist es
untragbar, wenn man nicht mehr schlafen kann, weil gegenüber 100 Betrunkene
grölen. Aber ein gewisses Maß an Tourismus müssen wir in der Innenstadt
einfach tolerieren. Wir haben ja sonst nix: Der Großteil der berühmten
Kreativen in der Stadt lebt von grenzenloser Selbstausbeutung, von
Tagessätzen, mit denen man in anderen Städten nicht überleben könnte.
Auftraggeber nutzen diese Niedriglohnsituation aus. Das ist fatal, es macht
die Preise in der Branche kaputt. Wir sind zur digitalen Proletenwerkbank
für Großkonzerne geworden, die mit ihrer Zentrale lieber in Düsseldorf
bleiben.
Immerhin haben Sie diese Branche in Berlin mit aufgebaut: Sie gründeten die
Agentur MetaDesign, ihre jetzige Agentur Edenspiekermann vermittelt
Kommunikationskonzepte - wenn auch nicht gerade zu Dumpingpreisen.
Schon. Aber ich hoffe, dass es irgendwann wieder die berühmte Berliner
Mischung gibt, schließlich gibt es noch Reste einer Handwerkskultur, die
ich im Kreuzberg der 60er Jahre noch erlebte: Vorne wohnt der Chef, hinten
arbeiten die Leute in kleinen Betrieben. Später wandelte die alternative
Szene manche davon in Kollektive um. Ich betrieb während des Studiums
selbst eine kleine Druckerei im Keller eines Mietshauses. Allerdings nicht
aus ideologischen Gründen, sondern weil ich früh Familie hatte und Geld
verdienen musste. Am Drucken ist ja nichts romantisch. Immer dreckige
Fingernägel und krummer Rücken. Als meine Druckerei 1977 abbrannte, war es
das dann auch.
Sie scheinen darunter zu leiden, nur noch virtuelle Dinge zu produzieren.
Das Ärmelhochschieben und Kittelanziehen fehlt mir tatsächlich manchmal.
Heutzutage bedeutet Arbeit ja, Pixel herumzuschieben. Zu Hause habe ich
deshalb noch eine kleine Druckmaschine, nur für mich allein. Was mir aber
nicht fehlt, ist Schichtdienst. Oder der Dienstleister für andere zu sein.
Ich war während des Studiums in der Spontiszene unterwegs. Ich war der Typ,
der Papier besorgen und drucken konnte. Meine Aufgabe war es, die
Flugblätter zu drucken, die dann morgens um 6 Uhr vor den Werkstoren von
Siemens verteilt werden sollten, zur Agitation der Werktätigen. Als ich um
eins schweißgebadet mit den fertigen Blättern kam, saßen die Genossen noch
beim Bier und forderten, das Flugblatt noch mal zu ändern. Ich habe dabei
gelernt, dass der Besitz der Produktionsmittel mir einen Vorteil verschafft
gegenüber den Theoretikern.
Als Corporate-Identity-Designer für die Deutsche Bahn haben Sie sich in der
linken Szene wohl nicht viele Freunde gemacht.
Wissen Sie was: Ich bin jetzt über 60, das schert mich kein bisschen. Ich
bin ein Systemgewinnler, weil ich für Marken arbeite. Von meinem Sohn muss
ich mir das oft genug anhören. Aber ich finde es nicht ehrenrührig, für die
BVG oder die Bahn zu arbeiten. Meine Argumentation meinem Sohn gegenüber
ist, dass ich mit meiner Arbeit zwar das System nicht verändere, aber
zumindest eine repressionsarme Umgebung herstelle. Alle werden ordentlich
bezahlt, es gibt keine Stechuhr, wir stellen jede Menge junge Frauen ein,
obwohl sie schwanger werden. Weil sich das so gehört.
Für den neuen Flughafen BBI braucht man wieder ein Informationsleitsystem.
Haben Sie sich auch dafür beworben?
Ja, aber wir wurden unterboten von einer Firma, die kurz nach dem Gewinn
der Ausschreibung die Preise hochsetzte. Sehr schade. Schließlich fühle ich
mich für Berlin auch ästhetisch verantwortlich.
Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf in der Stadt?
Es gibt kein Wegeleitsystem für Touristen, sondern nur diese grotesk
hässlichen blauen Schilder, die Unsinn wie "Synagoge: 1.350 Meter"
verzapfen. Das müsste man mal ordentlich machen, mit schöner Schrift,
logisch gerichteten Pfeilen. Und einem vernünftigen Logo, damit man weiß,
wer da spricht.
Wie wäre es mit einem neuen Berlin-Maskottchen statt des ewigen Bären?
Ja, so ein schöner Kackhaufen, da weiß man gleich, wo man sich befindet! Im
Ernst: Berlin ist weder das Brandenburger Tor noch ein Bärchen. Am ehesten
ist es ein dickbäuchiger Typ in meinem Alter, der mit einem eng anliegenden
T-Shirt rumläuft. Offiziell macht man einen auf jung, aber das ist von der
Verwaltung bestellt. Nur eins ist hier sicher: Man weiß nicht, wie es in
zehn Jahren sein wird. Vielleicht sind die schönen Zeiten vorbei, und
Berlin wird eine normale Stadt mit steigenden Mieten, steigenden Löhnen,
eine Stadt ohne Dreck, ohne Lücken, ohne Zufall. Dann bin ich
wahrscheinlich weg. Aber solange diese Stadt im Wandel bleibt, sollte man
die Botschaft offenhalten und sagen: "Berlin". Oder "Brandenburger Tor".
Und fertig. Dass das nicht Bad Oeynhausen ist, verstehen die Leute dann
schon.
10 Jul 2011
## AUTOREN
Nina Apin
Nina Apin
## TAGS
Gegenwartsliteratur
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