Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Palästina: Eine Frage der Souveränität
> Benjamin Netanjahu behauptet, das Westjordanland stünde Israel historisch
> zu. Diese Haltung macht die UN-Resolution zur Gründung eines
> Palästinenserstaats nötig.
Bild: Markierung: Eine palästinensische Flagge weht in der Nähe von Betlehem.
Bevor der israelische Premier Benjamin Netanjahu Ende Mai seine Rede vor
dem Kongress in Washington hielt, war ich mir nicht sicher, ob ich die
palästinensische Idee, per UN-Resolution im September die Anerkennung eines
eigenen Staates zu erwirken, unterstützen sollte. Genau wie Obama dachte
ich, dass dies nicht zu der Gründung eines palästinensischen Staats führen
würde, weil Israel so eine Resolution ohnehin ablehnen dürfte.
Doch Israels unilaterale Haltung und seine fehlende Bereitschaft, die
besetzten Gebiete zu räumen, haben eine solche UN-Resolution notwendig
gemacht. Netanjahu argumentiert, dass Israel im Westjordanland keine
Besatzungsmacht sei und dass ihm "Judäa und Samaria" aufgrund der
historischen Verbindung der jüdischen Nation zu diesen Gebieten zustehen
würden.
Damit setzt sich Netanjahu über die militärische Besatzung der
palästinensischen Gebiete und alle Schritte, die Israel seither unternommen
hat, hinweg: den Raub palästinensischen Lands, die Verweigerung
grundlegender Bürger- und Menschenrechte, die Verhinderung wirtschaftlicher
Entwicklung und die Hürden, mit denen es die Bewegungsfreiheit der
palästinensischen Bevölkerung einschränkt. Dies alles ist jeder
Besatzungsmacht untersagt. Aber Israel rechtfertigt sich damit, dass es
eben keine Besatzungsmacht sei.
Unbestreitbar besteht eine historische Bindung des Judentums an die
besetzten Gebiete, aber sie ist irrelevant. Die jüdische Nation verfügt
über ähnliche Bindungen zum östlichen Ufer des Jordans – würde das
rechtfertigen, es zu besetzen, zu besiedeln und seinen nichtjüdischen
Einwohnern die Menschenrechte vorzuenthalten? Das Gleiche gilt für die
Sinai-Halbinsel – hat die "historische Bindung" Israel davon abgehalten,
seine Siedlungen auf ägyptischem Gebiet zu räumen und sich hinter die
international anerkannte Grenze zurückzuziehen?
Die stehenden Ovationen des US-Kongresses als Reaktion auf Netanjahus
sentimentalen Nonsens machen eine angemessene Antwort der internationalen
Gemeinschaft erforderlich. Die angemessenste wäre die Anerkennung eines
palästinensischen Staats durch die UN-Vollversammlung. Solch eine
Resolution würde deutlich machen, dass Israel eine Besatzungsmacht ist –
und dass die Besetzung ein unilateraler und illegaler Akt ist.
Zieht man den Inhalt von Netanjahus Rede vor dem UN-Kongress in Betracht,
mutet Obamas Aufforderung an die Palästinenser, lieber direkt mit Israel zu
verhandeln, wie eine Zumutung an. Nicht nur, dass solche Verhandlungen
nirgendwo hinführen werden. Unter diesen Umständen würden sie nur dazu
dienen, dem Anspruch, die Gebiete seien in der Tat Israels "Judäa und
Samaria", Legitimität zu verleihen. Sie würden nahelegen, dass es an Israel
– und nur an Israel alleine - liegt, Landstriche zu räumen, die ihm passend
erscheinen, und dort zu bleiben, wo es ihm gefällt.
## Besatzer oder "Befreier"?
Falls überhaupt, sind direkte Verhandlungen aber nur möglich, nachdem die
UNO einen palästinensischen Staat anerkannt hat – basierend auf dem klaren
Bewusstsein, dass das palästinensische Volk der rechtmäßige Souverän über
die Gebiete ist – während es sich bei Israel, welche historischen Bindungen
es auch immer geben mag, um eine fremde Besatzungsmacht handelt.
Israels rechtliche Begründung, mit der es seinen Status als Besatzungsmacht
leugnet, stützt sich auf die Situation, die in den Jahren zwischen 1948 und
1967 herrschte [als der Gazastreifen von Ägypten und das Westjordanland von
Jordanien regiert wurde; d. Red.], und auf die Tatsache, dass es 1967
keinen rechtmäßigen Souverän gab. Obwohl die UN-Resolution 181 diese
Gebiete einem zukünftigen palästinensischen Staat zuschrieb, wurden sie in
der Folgezeit von Ägypten und Jordanien besetzt.
Mit anderen Worten: Israel argumentiert, dass es in Ordnung sei, die
Besatzung von einer anderen Besatzungsmacht zu übernehmen. Es behält diese
Gebiete als ein "Faustpfand für den Frieden", um mit den Worten der
israelischen Arbeitspartei zu sprechen. Oder, in den Worten Netanjahus, es
hat sie "befreit".
In Anbetracht dessen wäre es der angemessenste und sinnvollste Schritt, die
Frage der Souveränität durch eine UN-Debatte und -Resolution klären zu
lassen. Schließlich beruht auch die Legitimität des Staates Israel nicht –
jedenfalls nicht, solange es internationales Recht betrifft – auf den
historischen Bindungen des jüdischen Volks an Haifa oder Tel Aviv, sondern
auf der UN-Resolution 181. Das Problem ist, dass aufgrund der
palästinensischen Ablehnung dieser Resolution im Jahre 1948 gleich neben
Israel ein rechtliches Niemandsland entstanden ist.
Erst wenn die UN-Vollversammlung die Grenzen des palästinensischen (und
israelischen) Staats neu gezogen hat, wird es möglich sein, über ein
vereintes Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt, über wirtschaftliche
Beziehungen zwischen beiden Staaten, über Sicherheitsvereinbarungen und die
gemeinsame Verwaltung von Wasser, Luft und heiligen Stätten zu verhandeln.
## UN-Resolution ist nur der erste Schritt
Solch eine Resolution würde es auch erlauben, die Rechte der jüdischen
Siedler zu definieren, die sich dafür entscheiden, unter palästinensischer
Verwaltung zu leben – und sie würde den Siedlungsbau, den Bau der
Trennmauer und die mit "Nur für Juden" ausgewiesenen Straßen im
Westjordanland für illegal erklären. Andererseits kann die Anwesenheit von
Siedlern keinesfalls dazu benutzt werden, um Änderungen des Grenzverlaufs
zu rechtfertigen, denn damit mit würden Israels einseitige und illegale
Handlungen nachträglich legitimiert.
Wer verhindern möchte, dass der Nahe Osten wieder in einen Kreislauf der
Gewalt und des Blutvergießens gerät, muss jetzt die Palästinenser in ihrer
gewaltfreien Strategie des Widerstands gegen die Besatzung unterstützen.
Eine UN-Resolution ist dabei nur ein erster Schritt. Hoffentlich wird Obama
zur Besinnung kommen und diesen Schritt unterstützen. Aber auch, wenn
nicht: Entscheidend bleibt, dass die internationale Gemeinschaft in ihrem
Urteil die Unrechtmäßigkeit der israelischen Besetzung bekräftigt.
11 Jul 2011
## AUTOREN
Lev Grinberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Israelische Marine greift ein: Gaza-Yacht geentert
Nur ein einziges Schiff der Hilfsflotte war unterwegs in Richtung
Gazastreifen. Die Israelis haben die französische Yacht ohne
Gewaltanwendung aufgebracht und umgeleitet.
Unabhängigkeitsantrag Palästinas: Israel rüstet sich für Tag X
"Turm der Stärke": Mit der größten Militär- und Polizeiaktion seit dem
Abzug aus dem Gazastreifen rüstet sich Israel für palästinensische
Massendemonstrationen.
Knesset verbietet Boykottaufrufe: Kauft nicht nicht beim Siedler
Ein israelisches Gesetz verbietet Appelle, keine Waren mehr aus den
israelischen Siedlungen im Westjordanland zu kaufen. Weitere Gesetze dieser
Art könnten folgen.
Palästinensisch-israelischer Autor über Israels Ängste: "Wir gelten als fün…
Der auf hebräisch schreibende Autor Sayed Kashua sorgt sich um die Früchte
des arabischen Frühlings und sieht die UN-Abstimmung im September als
letzte Chance für einen Palästinenser-Staat.
Kommentar Gaza-Flotille: Ein seltsamer Hass auf Israel
Es gibt heute, ein Jahr nach der Mavi Marmara, im Gazastreifen nur noch
wenig, das es nicht gibt. Die Flotille-Aktivisten lassen das Gespür für das
richtige Maß vermissen.
Übergabe von getöteten Palästinensern: Leichen als Verhandlungsmasse
Israels Verteidigungsminister Barak stoppt die Übergabe von 84 getöteten
Palästinensern. Die Leichen dienen als Pfand für einen entführten
israelischen Soldaten.
Debatte über Palästina: Tsunami oder Chance für Israel?
Eine Gruppe junger israelischer Strategen halten die Unterstützung für
einen palästinensischen Staat für sinnvoll. Sie wendet sich damit gegen die
politische Agenda der Regierung.
Palästinenser zweifeln an UN-Appell: PLO-Funktionär fürchtet neue Gewalt
Vor der möglichen UN-Anerkennung eines unabhängigen Staates gibt es
Unstimmigkeiten zwischen Hamas und Fatah. Eine gemeinsame Regierung steht
noch aus.
Nahost: Zerrissenes Palästina
Ein Staat löst sich auf, bevor er gegründet wird von Alain Gresh
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.