# taz.de -- Arte-Doku über Akustikfolter: Satanische Töne | |
> Dauerbeschallung mit Heavy Metal und Sesamstraßen-Songs: "Musik als | |
> Waffe" (Arte, 23.25 Uhr) seziert die Akustikfolter von Guantánamo – und | |
> enttäuscht dabei. | |
Bild: Hilflos dem Schall ausfgeliefert: Akustikfolter. | |
Dass Musik bisweilen recht qualvoll sein kann, dürften Sie mit einem | |
wissenden Nicken bestätigen. Wer hat sie nicht, seine Situationen, seine | |
Momente, seine Musik, die sich traumatisch auf ewig ins Gedächtnis | |
eingebrannt haben? | |
Lange Autofahrten bei stechender Hitze mit schier endlosen Opernarien. | |
Dieser leiernde Singsang, diese quälend hohen und stechend lauten | |
Frauensirenen, die unablässig bis in die hintersten Windungen der | |
Gehörgänge vordringen, um mit jedem Ton das Unwohlsein noch zu verstärken. | |
Von der Folter, tagein, tagaus zum Frühstück der Musikauswahl von Bayern 1 | |
ausgesetzt zu sein, ganz abgesehen. | |
Dass Musik sich dementsprechend auch bewusst als Waffe einsetzen lässt, | |
liegt nahe. In München vertreibt man so Obdachlose und Dealer aus einigen | |
U-Bahnhöfen: durch dauerhafte Beschallung mit Klassikmusik, die nach | |
gewisser Zeit durchaus eine Belastung darzustellen scheint. | |
Helmut Salzinger, Popkritiker seinerzeit, war wiederum von der subversiven | |
Kraft von Rockmusik überzeugt, als Waffe gegen das System: "Während die | |
Agenten der Kulturindustrie lediglich einen Massenartikel an den Mann zu | |
bringen glauben, vertreiben sie zugleich den Sprengstoff, mit dem die | |
Fundamente ihres Systems unterminiert werden." | |
Die Arte-Dokumentation "Musik als Waffe" (23.25 Uhr) von Tristan | |
Chytroschek thematisiert den aktuellsten und mitunter abartigsten Einsatz | |
von Musik: als militärisches Folterinstrument in Guantánamo. Chytroschek | |
begibt sich in die Vereinigten Staaten, um dort gemeinsam mit Christopher | |
Cerf – dem Komponisten von über 200 Liedern der "Sesamstraße" – | |
herauszufinden, was es mit den Verhörmethoden genau auf sich hat. | |
Als einer der Musiker, deren Werk zur Folter in Guantánamo missbraucht | |
worden ist, gibt Christopher Cerf den roten Faden. Er sucht einen | |
Verhörspezialisten auf, um am eigenen Leib zu erfahren, wie qualvoll und | |
auf welche Weise sich diese Methode auf die eigene Psyche auswirkt. Er | |
trifft einen ehemaligen Häftling sowie einen ehemaligen Wärter, die ihm | |
beide die menschenverachtenden Praktiken des amerikanischen Militärs | |
schildern und bestätigen; und er trifft sich mit der Rockband Drowning | |
Pool. | |
Deren Musik wird ebenfalls zur Folter genutzt, gleichzeitig hat sich ihr | |
Lied "Bodies" aber auch zu einer Art Klassiker unter den Soldaten im Irak | |
gemausert. Nach Selbstreflexion und kritischem Denken sucht Cerf hier | |
vergebens; stattdessen flüchten die Bandmitglieder sich in die allseits | |
bequem-beliebte Mär des Nichtpolitischseins. | |
## Wenig neue Erkenntnisse | |
"Musik als Waffe" zeigt Christopher Cerf auf einer Selbstfindungsreise, die | |
für den Durchschnittszeitungsleser kaum neue Erkenntnisse bringt und bei | |
der beim Treffen mit den moralbefreiten Musiker nicht der Mut aufgebracht | |
wird, wirklich nachzuhaken und Stellung zu beziehen. Dass in Guantánamo mit | |
Musik gefoltert wird, ist traurig, aber bekannt, und dass Heavy Metal bei | |
100 Dezibel, unter einer schwarzen Haube und in unbequemer Sitzhaltung | |
grausam ist, kann man sich vorstellen. | |
Die wirklich spannenden und interessanten Teile der Dokumentation dienen | |
derweil nur als Nebenschauplätze zwischen den verschiedenen Stationen der | |
Reise: die Entwicklung der Marschmusik als moralstärkendes Instrument der | |
Kriegsführung, der erstmalige Gebrauch von Musik als Folterwerkzeug durch | |
China und Nordkorea im Koreanischen Krieg, die Erfindung von | |
Hightechlautsprechern, die als akustisches Kampfmittel das Trommelfell von | |
Menschen zum Platzen bringen und Übelkeit hervorrufen können. | |
All das wird thematisiert und ist doch viel zu umfangreich, um nur als | |
Nebenaspekt in einem 50-Minüter oberflächlich gestreift zu werden. Tolle | |
Idee, traurig umgesetzt. | |
11 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Max Büch | |
## TAGS | |
Guantanamo | |
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