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# taz.de -- Stadtanalytiker über Berliner Stadtschloss: "Schluss mit den Spieg…
> Architekturdebatte in einer neurotischen Stadt: Ein Gespräch mit dem
> Stadtanalytiker Dieter Hoffmann-Axthelm über das Berliner Stadtschloss
> und das Humboldtforum.
Bild: "Ein Riesenbündel, das mühsam zusammengehalten wird": Die Humboldtbox a…
taz: Herr Hoffmann-Axthelm, das kubistische Gebilde der Humboldt-Box auf
dem Schlossplatz in Berlin ist ja ein ungewohnt modernistischer Anblick auf
diesem geschichtsgesättigten Rasen.
Dieter Hoffmann-Axthelm: Das ist doch ein schöner Kontrast. Es sieht aus
wie ein Riesenbündel, das mühsam zusammengehalten wird. Insofern ist es ein
gutes Abbild der Situation.
Was meinen Sie damit?
In dem Sinne, dass an dieser Stelle sehr disparate Dinge zusammengezwungen
werden. Auf der einen Seite das Memorialprojekt Schloss, auf der anderen
das Museum. Ich bin Schlossbefürworter aus psychologischen Gründen. Weil es
für die Berliner wichtig ist, dass der historische Ort wieder besetzt wird,
statt der heutigen Leere. Das ist kein Architekturproblem. Im Zentrum steht
die Frage: Wie baut man eigentlich eine historische Reminiszenz auf? Also
ein Erinnerungsobjekt, das auch durch moderne Architektur nicht zu ersetzen
ist, das wir aber als ein Stück Rückbindung brauchen. Es wäre sinnvoll
gewesen, das sehr langsam anzugehen, als Work in Progress.
Vergangene Woche hat der Bundestag die erhöhten Baukosten für das Schloss
bewilligt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Das ist noch nicht mal die Kostenrate für den Wiederaufbau der
Staatsbibliothek Unter den Linden. Darüber spricht keiner.
Sind 590 Millionen Euro nicht trotzdem eine Menge Geld für ein falsches
Schloss? Dafür könnte man das ganze Kopfsteinpflaster in Neukölln vergolden
lassen.
Das Geld wird nicht für das Schloss ausgegeben. Sondern für ein Museum. Die
Summe ist der Größe des Vorhabens durchaus angemessen. Und eine
Gesellschaft, die sich überhaupt nicht mehr traut, irgendeinen Großbau
hinzustellen, und das Geld stattdessen für die Renovierung von
Schultoiletten ausgeben will, ist vielleicht auch nicht auf dem richtigen
Dampfer.
Dem Palast der Republik scheinen Sie nicht nachzutrauern?
Nein. Der Palast war keine architektonische Glanzleistung. Und
städtebaulich war er ein Fehler. Das sahen schon die DDR-Planer so. Ich
habe damals dafür geworben, einiges davon stehen zu lassen, sozusagen eine
Verzahnung von Schloss und Palast. Schon deshalb, weil der Palast auch die
Reste des gotischen Schlosses vernichtet hat und nun, nach Abriss des
Palasts, neu erfunden werden musste. Die Lösung von Franco Stella aber
greift daneben: eine Schaufront, wo sonst nichts ist.
Sie haben zu Beginn der neunziger Jahre für ein "Projekt Wiederaufbau" am
Berliner Schloss plädiert, das Schloss und Palast in eine Art nationales
Erinnerungsprojekt integriert. Herausgekommen wäre ein Haus, das diesen
kollektiven Lernprozess architektonisch spiegelt. Das können Sie jetzt wohl
vergessen?
Ja. Das Schloss war ja kein einheitlicher Entwurf. Sondern ein Streit
zwischen verschiedenen Bauideen. Es gab einen gotischen Anteil und einen
Renaissance-Korpus. Der wurde mehrfach barock überbaut. Vor Schlüter hat,
wie der Bauhistoriker Goerd Peschken dargestellt hat, Nicolaus Tessin, ein
anderer Barockmeister, daran gebaut. Schlüter hat dessen Umbau
auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Um diese Uneinheitlichkeit
darzustellen, braucht man Zeit. Da kann man nicht sagen: Hier haben wir die
Fotodokumentation, die verwandeln wir jetzt in einen Plan der Fassaden und
wickeln die dann drumherum. Da gehen die Widersprüche der Baugeschichte den
Bach runter.
Was bedeutet es für die nationale Identität, dass hier das barocke
Stadtschlosses nachgebaut wird?
Ich glaube, da hat man sich auf eine falsche Spur begeben. Diese Überhöhung
zum Nationaldenkmal halte ich für vollkommen abwegig. Das geht an der
föderalen Struktur des Bismarckreiches vorbei, wo die ganzen anderen
Schlösser ja weiter regiert haben. Bis 1918. Das Berliner Schloss ist
niemals ein Nationaldenkmal gewesen. In den Moment, wo sich die Nation ein
Stück mehr Zentralismus verpasst hat, also 1918, ist das Schloss Museum
geworden. Und es war immer ein preußisches Museum.
Dass man da jetzt noch eins draufsetzt und meint, an die Stelle des
Kaiser-Wilhelm-Denkmals ein Nationaldenkmal in Form des geplanten
Einheitsdenkmals setzen zu müssen, ist absurd. Das Denkmal war eine riesige
Angeberei. Aber derjenige, der da auf dem Sockel stand, hat zu Lebzeiten
noch verhindert, dass die Bürgerhäuser, die davor standen, abgerissen
wurden. Das Vorfeld mit seiner Repräsentativität ist erst unter Willy zwo
so inszeniert worden. Das war nur eine kurze Phase. Und die ist ja mit
Glanz und Gloria in den Abgrund gestürzt.
Sie wollen die historischen Bürgerhäuser vor dem Schloss wieder aufbauen?
Auf jeden Fall. Weg mit dem Nationaldenkmal. Schluss mit den ganzen
Spiegelfechtereien. Und da Häuser bauen. Es geht ja sowieso nur um
Zeichengebung. Und dann muss man zeigen: Da hat auch normales bürgerliches
Leben sein Recht. Preußen war nicht so, dass da der König war und sonst
nichts. Unter den Monarchien in Europa ist es wohl die bürgernaheste
gewesen.
Ist die Entscheidung für das Schloss ein Zeichen für den Retrogeist in der
Republik?
Das Schloss als solches nicht. Was ich bedenklich finde, ist, dass es als
Nationaldenkmal diskutiert wird. Ob wir in einer gigantischen Retrobewegung
sind, weiß ich nicht. Retro sagt ja immer: Wir wissen, wohin es zurückgeht.
Das wissen wir aber überhaupt nicht. Was ich beobachte, ist eine
gigantische Sklerotisierung. Die Politik steht still. Und weiß nicht
weiter. Es gibt einen Konservatismus der Moderne. Viele Entwicklungen würde
ich unter dem Titel Verzweiflung diskutieren. Wir leben in einer
Gesellschaft, die nicht weiß, wo sie hin will. Die Angst hat vor der
Zukunft, bei ständigem technischen Vorwärtsstürzen.
… der digitalen Revolution …
Das stört sich gegenseitig überhaupt nicht. Das Schloss selbst ist da
eigentlich etwas ganz Harmloses. Davor hätte ich keine Angst. Wo bei mir
die roten Lichter angehen: diese wahnsinnige Gedenkpolitik. Dass man kaum
durch Berlin gehen kann, ohne über irgendwelche Gedenkhäufchen zu stolpern.
Man benutzt die Vergangenheit, um Gegenwart zuzudecken.
Apropos retro: Was halten Sie von der Schlossarchitektur Franco Stellas?
Man hat den Entwurf genommen, der am pflegeleichtesten schien. Derjenige,
der dem, was man an Nutzung haben will, am wenigsten entgegensteht. Der
größte Nachteil am Stella-Entwurf ist für mich, dass er sich überhaupt
nicht zum Umfeld verhält. Stella setzt einen Kasten in die Gegend, und das,
was am alten Schloss Verbindung mit der Stadt leistete, wird gekappt.
Gerade an der Spree, wo man jede Menge Auflösung zugunsten kleiner ziviler
Nutzungen hätte schaffen können, gibt es nur diese große Geste, die ins
Leere läuft.
Ist das geplante Humboldt-Forums in Stellas Schloss am richtigen Platz?
Wie gesagt: Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Ort anders entwickelt
wird. Aber wenn schon hauruck, dann ist von den möglichen Lösungen die
Humboldt-Variante noch die beste: ein Ort, an dem sich Preußen nicht selbst
bespiegelt. Sondern da zeigen wir, dass wir in der globalen Welt angekommen
sind. Und dass auch andere Kulturen als die unseren ihren Stellenwert
haben. Das setzt aber von der Museumsseite auch einen qualitativen Sprung
voraus, hinaus über das bloß Ethnologische. Es kann die gesamte Geschichte
der Kolonisierung und der Auseinandersetzung zwischen den Kulturen in der
Welt zusammenfassen und daraus ein Fazit ziehen, das über den
ethnologischen Ansatz weit hinausgeht.
Aber außen Preußen, innen Weltkulturen. Kann dieser Coup wirklich aufgehen?
Preußen hat seit dem Großen Kurfürsten Kontakte in alle diese Bereiche
aufgenommen: China, Türkei. Der Barock ist der Zeitpunkt, wo die großen
Expeditionen losgehen. Preußen war auch kein ethnischer Staat wie Schwaben
oder Bayern. Preußen ist aus dem gewachsen, was an Menschen herangeholt
worden ist. Von daher macht der Ansatz durchaus Sinn.
Aber kann man die ethnologischen Sammlungen in dem Bau präsentieren, ohne
in einen neokolonialen Gestus zu verfallen?
Nach diesem Argument müssten Sie auch die Sammlungen in Dahlem von den
Aborigines und anderen Völkern neu zusammenstellen lassen. Wenn der vom
Kulturstaatsminister bestellte Beirat aus internationalen Fachleuten nicht
nur ein Frühstücksdirektorium ist, sondern sich anstrengt, ein solches
Konzept zu entwickeln, sehe ich da eine große Chance.
Würden Sie der bösartigen Deutung zustimmen, am Schlossplatz solle das 19.
mit dem 21. Jahrhundert kurzgeschlossen werden?
Ich halte es für völlig verfehlt, das Schloss zum Objekt im Streit um
Architekturstile zu machen. Das ist eine ganz kleine Fraktion, die meint,
Moderne und Architektur sei eine feste Bastion, die gegen die Reaktionäre
verteidigt werden muss. Viele Architekten bekommen Zweifel angesichts einer
Architektur, die riesige Glaskästen in die Welt setzt, ohne sich um Fragen
wie der Zugänglichkeit oder dem körperlichen Empfinden zu kümmern. Ohne
mich ganz auf die eine oder andere Seite zu schlagen: Das Schloss hat für
mich weder etwas mit Denkmalpflege noch mit Architektur zu tun. Das ist
eine rein geschichtstheoretische Frage. Ist es sinnvoll und war es nötig,
in einer so neurotischen Stadt wie Berlin an einem zentralen Punkt dieses
Gebäude wieder hinzurücken.
Der Streit um das Schloss war lange ein verbissener ideologischer
Grabenkampf. Ist es nicht auch ein gutes Zeichen, dass da ein bisschen die
Luft raus ist?
Soweit der Grabenkrieg um die Ideologie ging - wer das Schloss will, ist
ein Reaktionär, und wer progressiv gesinnt ist, muss für moderne
Architektur und gegen das Schloss sein -, war und ist das Unsinn. Ich sehe
dahinter das Dilemma der 68er-Linken: Man ist ökonomisch eingetütet. Und
pflegt die Ideale, wo es nichts kostet. Wo man noch die Faust hochheben und
progressiv sein kann. Es ist aber doch völliger Unsinn, anzunehmen, mit dem
Wiederaufbau eines Schlosses würden, ob Berlin, Braunschweig oder Hannover,
politische Entscheidungen getroffen. Oder mit moderner Architektur würde
man der Demokratie aufhelfen.
An der breiten Bevölkerung scheint diese Diskussion vorbeizugehen?
Der ist das völlig egal. Die will doch wohl das Schloss haben. Ich gehe
jede Wette ein: Wenn es steht, wird es ein Massenmagnet sondergleichen.
14 Jul 2011
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Einheitsdenkmal
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jetzt gemeißelt.
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