# taz.de -- Steinmetze für das Berliner Schloss: Die Locken des Preußenlöwen | |
> Das Stadtschloss soll ab 2014 in Berlin-Mitte gebaut werden. Damit das | |
> historische Dekor stimmt, wird in der Schlossbauhütte in Spandau bereits | |
> jetzt gemeißelt. | |
Bild: Der Mann mit dem Hammer: Chefsteinmetz Carlo Wloch bei der Arbeit. | |
Behutsam streicht Carlo Wloch mit der Daumenkuppe über den Sandstein. | |
"Sehen Sie diese weichen Locken? Dafür brauchen Sie das richtige Material. | |
Sonst müssen Sie Abstriche in der Ästhetik machen - wie zum Beispiel hier." | |
Für Laien sieht das Löwenkopfmodell mit den idealtypischen Locken dem | |
steinernen Abbild daneben äußerst ähnlich. Für Wloch geht es hier um die | |
Berufsehre. Der Steinmetz, der in Spandau unter einem Holzdach an | |
Löwenköpfen, Wappen und Säulenkapitellen arbeitet, hat einen äußerst | |
anspruchsvollen Job: Er leitet die Schlossbauhütte, in der die | |
Barockfassade für das Stadtschloss gefertigt wird. | |
Spatenstich für das umstrittene Megaprojekt am Schlossplatz ist zwar erst | |
2013 - aber im Juli gab der Haushaltsausschuss des Bundestages nach zwei | |
Jahren Sperre die benötigten 552 Millionen dafür frei. | |
Seit Ende September schaffen fünf Bildhauer in einer ehemaligen | |
Reparaturhalle für britische Militär-Lkws schon mal Fakten: mit | |
detailgenauen Nachbildungen von Schmuckelementen des 1950 gesprengten | |
Hohenzollernschlosses und der Restaurierung der wenigen erhaltenen | |
Originalstücke. An der Einfahrt steht kein Schild und kein Logo - man habe | |
sich bewusst für Unauffälligkeit entschieden, sagt Bernhard Wolter, | |
Sprecher der federführenden Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum. | |
"Graffitibesprühte Bauelemente können wir uns nicht leisten - weder | |
finanziell noch zeitlich." | |
Die Schlossbauer haben noch viel vor sich: Insgesamt 8.000 Kubikmeter | |
Natursteinarbeiten werden für die drei Barockfassaden gebraucht, die laut | |
einem Beschluss des Bundestags das Schloss umschließen sollen. Darunter | |
sind Architekturelemente genauso wie bauplastischer Schmuck in Form von | |
rund 3.000 Einzelstücken. Bauherr der Arbeiten ist die 2010 gegründete | |
Stiftung, die dem Bundesbauministerium unterstellt ist und in deren Beirat | |
Bund, Länder, der Schlossarchitekt Franco Stella und die künftigen Nutzer | |
des modernen Multifunktionsgebäudes sitzen. | |
Das Geld für die historische Hülle kommt vom privaten Förderverein des | |
Unternehmers Wilhelm von Boddien. Es ist das Geld von Barockfreunden aus | |
ganz Europa, aus denen in Spandau kurfürstliche Wappen, Kapitelle, | |
Widder-und Löwenköpfe entstehen. Damit die Spender sehen können, was mit | |
ihrem Geld gemacht wird, organisiert von Boddien regelmäßige Touren im | |
Shuttlebus vom Schlossplatz nach Spandau. | |
Dass es historisch genau zugeht in der Schlossbauhütte, darüber wacht | |
Steinmetz Wloch. Der 63-Jährige hatte bereits Treppengeländer und | |
Marmorverkleidungen für den Palast der Republik angefertigt, der zu | |
DDR-Zeiten an Stelle des Originalschlosses errichtet wurde und mittlerweile | |
längst wieder abgerissen ist. Die Schlossfassade sei die Krönung seiner | |
Bildhauer-und Steinmetzkarriere, sagt Wloch, der in Pankow einen | |
Grabsteinbetrieb hat. | |
Seit elf Jahren beschäftigt er sich mit dem Hohenzollernschloss, er | |
fertigte nach historischen Fotos und Plänen Gipsmodelle, nach denen noch | |
heute gearbeitet wird. Eine erste Sandsteinlieferung hat Wloch bereits | |
verworfen - zu hart. Erst seitdem er aus einem Steinbruch im sächsischen | |
Pirna dasselbe Material bekommt, das seinerzeit die Schlossbaumeister | |
Schlüter und Eosander zur Verfügung hatten, ist er zufrieden. "Hier gehts | |
um allerhöchste Qualität", stellt er klar und widmet sich wieder in aller | |
Ruhe seinem Löwenkopf. | |
Daneben warten komplizierte Reliefs mit den kurfürstlichen Insignien "F 3 | |
K" (Friedrich III. Kurfürst) auf Fertigstellung. Rund vierzig davon werden | |
benötigt, sie sollen über den Schlossfenstern thronen. Dazu kommen | |
unzählige Kapitelle, Tierköpfe und Müschelchen. Für Freunde der Moderne und | |
Gegner der Barockfassade ist das Preußenkitsch. Für Wloch ist es nur die | |
Minimalvariante. Statt einer "modernen Hochbunkerarchitektur" mit | |
Barockfassade würde er am liebsten den ganzen historischen Bau wieder | |
errichtet sehen, inklusive Schlosskapelle, Krönungssaal und Kuppel. | |
Erst einmal wird es nur eine Musterfassade geben, einen vertikalen Streifen | |
mit Säulen und zwei Fenstern. Ab Januar soll der auf dem Schlossplatz | |
stehen - als Vorgeschmack für das Publikum und als Materialtest unter | |
echten Wetterbedingungen für die Bauherren. | |
In einer Halle arbeiten zwei Bildhauer an einem riesigen Kapitell. Vier | |
Monate brauchen sie, bis das Tonmodell fertig ist und in Gips gegossen | |
werden kann. Das Gipsmodell bildet dann die Vorlage für den Bildhauer, der | |
aus einem Sandsteinblock die filigranen Formen herausmeißelt. Einige | |
fertige Gipsformen lagern bereits an der Wand und in Regalen. | |
Offen ist, was mit den imposanten Originalfiguren aus dem Stadtschloss | |
passieren soll, die sich derzeit in der Mitte der Lagerhalle erheben. | |
Darüber streitet sich derzeit noch eine Expertenkommission. Die drei Meter | |
hohen Fassadenfiguren entgingen der Sprengung, weil sie bereits im 19. | |
Jahrhundert so stark beschädigt waren, dass man sie vom Gebäude holte. | |
Einige Fachleute sind der Meinung, dass die empfindlichen Originale lieber | |
kopiert werden sollten, als sie draußen der Zerstörung preiszugeben. Andere | |
finden, dass man die wenigen authentischen Stücke, die man hat, unbedingt | |
verwenden solle. Bis das entschieden ist, lehnen die "Allegorie des | |
Fleißes" und ihre elf KollegInnen in der Halle und warten auf fachgerechte | |
Restaurierung. | |
Carlo Wloch wird sich darum später kümmern. Er hat zu tun. Mit Hammer und | |
Meißel rückt er einem Kurfürstenwappen zu Leibe, dessen vertrackte | |
Dreidimensionalität ihm Probleme macht. Sein Lehrling klopft sich | |
unterdessen Wolken weißen Staub vom Leib. Die Schmutz- und Lärmbelastung | |
ist ein Grund, die Werkstatt so weit vom Ort des Baugeschehens zu | |
betreiben. So sind es nur gelegentliche Stippvisiten von Architekt, Bauherr | |
oder Schlossbaufans auf Besichtigungstour, die das konzentrierte Arbeiten | |
der Barockspezialisten stören. | |
Befürchtungen, dass die Arbeiter mit Umfang und Anspruch des historischen | |
Mammutprojekts überfordert sein könnten, wischt Chefsteinmetz Wloch lässig | |
beiseite: "Mit dem, was ich gelernt habe, fühl ich mich dem Schloss | |
gewachsen." Dass er seine Rente so lange verschieben wird, bis auch der | |
letzte Löwenkopf historisch passgenau an Ort und Stelle sitzt, darauf | |
zumindest können sich die Freunde der Barockhülle verlassen. Ob das reicht, | |
ist aber fraglich. Denn der Spendensammler Wilhelm von Boddien hat bislang | |
erst 22 von 80 Millionen Euro gesammelt. | |
Inzwischen heißt es aus der Stiftung vorsichtig, dass die Barockfassade | |
ruhig "eine Sache von mehreren Generationen" werden könne. Von deren | |
Geldbeutel und vom politischem Willen wird es zukünftig abhängen, wie viele | |
Widderköpfe, Kurfürstenwappen und Sandsteinornamente es einmal an den | |
Schlossfassaden geben wird. | |
22 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
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