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# taz.de -- Nachruf Leo Kirch: Ein ungeliebter Mythos
> Leo Kirch war einer der mächtigsten Medienunternehmer Deutschlands. Heute
> ist er im Alter von 84 Jahren verstorben.
Bild: Leicht resigniert-amüsiert: Leo Kirch.
Die schönste Anekdote über Leo Kirch ist die mit der Strickjacke: Danach
sei der Filmhändler zu Zeiten des ZDF-Ewigkeitsintendanten Dieter Stolte in
den 1980er Jahren gern mal ganz unmedienmogulenhaft gekleidet in dessen
Vorzimmer erschienen und habe den Sekretärinnen eine kleine Posse
vorgespielt: Er sei ja nur der Fahrer, und der echte Herr Kirch komme erst
noch.
Von wegen: Auch wenn Leo Kirch nie nach dem Selfmade-Millionär aussah, der
er war - sondern eher wie ein Mittelständler, war er doch ein knallharter
Hund. Und zur Zeit der Strickjacken-Anekdote längst nicht nur der oberste
TV-Rechteverkäufer der Republik, in dessen Filmlagern der Stoff lag, aus
dem das Fernsehen war. Sondern auch ein Senderbesitzer, Kanälesammler und
Medienunternehmer, wie es nun keinen mehr in Deutschland gibt - und wohl
auch nicht mehr geben wird.
Er legte mit seinem digitalen Pay-Sender DF 1, der die Zukunft des
Fernsehens bringen sollte, einen genialen Fehlstart hin. Er pokerte hoch -
und verlor fast alles: Als Kirchs Medienimperium 2002 in die Insolvenz
schlitterte, war es die bis dato größte Firmenpleite des Landes.
Nebenbei machte Leo Kirch auch in Politik - ein lebenslanger Freund und
Bewunderer von Helmut Kohl, war für den Franken immer klar: Er steht am
konservativen Rand der CDU. Von dort trommelte er so hörbar wie erfolglos
für die Absetzung selbst von Welt-Chefredakteuren, die ihm zu liberal
schienen.
Wie bei vielen Erfolgsstorys der digitalen Welt stammte auch Leo Kirchs
erste Idee gewissermassen aus der Garage: Mit geliehenem Geld und dem Auto
seiner Frau war er 1956 nach Italien gereist, natürlich nicht, um zu
urlauben. Gemeinsam mit seinem aus Ostpreußen stammenden Studienkollegen
Hans Andresen ging es nach Rom, wo die beiden die deutschsprachigen Rechte
an Federico Fellinis Film "La Strada" erstehen. Empfohlen hatte den
Streifen ein anderer Studienkollege, und ob er Kirch gefällt, ist völlig
zweitrangig. Leo Kirch ist Kaufmann und wittert im Filmrechtegeschäft große
Chancen.
## Voll auf Risiko gespielt
Den Handel mit Kinoware aus Hollywood und mit bundesdeutschen Streifen
kontrollieren andere. Höchstens hier, in der Vermarktung des
anspruchsvollen europäischen Films, ist noch Platz. Und schon hier spielt
Leo Kirch voll auf Risiko. Und bezahlt - wie später für TV-Sportrechte und
weitere Film- und Serienpakete - mit Geld, das er noch gar nicht hat. Die
damals zwanzigtausend Mark Lizenzgebühr müssen erst in Deutschland
zusammengeliehen werden. Hans Andresen, der später noch das US-Geschäft
anschieben darf und dann selbst abgeschoben wird, bleibt so lange als Pfand
in der Ewigen Stadt. Kirch glaubt an seine Marktnische - und wird belohnt.
"La Strada" - "Das Lied der Straße" spielt immerhin mehr als die
Lizenzgebühren ein.
Kaum hat er sich einen bescheidenen Namen als Kinofilmhändler gemacht,
drängte es den Kaufmann aber weiter. Vom Sendestart an setzte Leo Kirch
voll auf das damals neueste Medium und wurde zum "Visionär des Fernsehens"
(ZDF-Intendant Stolte). Seine Absatzmärkte schaffte er sich dabei immer
selbst: Schon im Umfeld von Adenauers regierungsnahem
Deutschland-Fernsehen, das vor 50 Jahren am Widerspruch des
Bundesverfassungsgerichts scheitert, ist Kirchs Firma Beta als
Filmlieferant vorgesehen. Als das ZDF kurz danach das Erbe des
Adenauerfernsehens antritt, erbt es Leo Kirch gleich mit. Nachfrage, lernt
er, schafft man sich also am besten selbst. Der Einstieg ins
Privatfernsehen, Leo Kirch kontrolliert schon bald Sat.1 und - zunächst
über seinen Sohn Thomas - auch ProSieben, ist genauso konsequent wie der
unerschütterliche Glaube an die Zukunft des Pay-TVs, die ihm später
wirtschaftlich das Genick brechen wird.
Hierin zeigt sich der große Fehler des einzigen deutschen
Medienunternehmers von internationalem Format: Er machte immer alles - und
setze dabei zu oft alles auf eine Karte. Seine Pay-TV-Abenteuer von
Premiere bis DF 1 konkurrierten mit seinem Free-TV-Angebot. Sein Versuch,
nach und nach auch den Axel Springer Verlag zu übernehmen - Leo Kirch
kontrollierte bis zur Pleite rund 40 Prozent der Anteile - band Kräfte und
sorgte durch die von Friede Springer inszenierten Abwehrschlachten für
medienpolitisches Durcheinander, das wiederum seinen TV-Ambitionen
schadete: Medienkonzentrationskontrolle hieß bis in die 1990er Jahre hinein
vor allem Kirch-Kontrolle. Dabei hatte die Kirch-Gruppe nie die Struktur
und das Führungspersonal eines internationalen Großkonzerns. Das Geflecht
aus Hunderten von Unter-, Tochter- und Nebenfirmen einte nur, dass im
Handelsregister immer ein gewisser Kaufmann Leo Kirch aus München als
Gesellschafter eingetragen war.
## Geldvernichtungsmaschine Premiere
Das Risiko wuchs so mit jedem Geschäft: Teure und langfristige
Abnahmeverträge mit beinahe allen Hollywoodstudios, internationale
Fußballrechte, die Geldvernichtungsmaschine Premiere: Wo andere monatelang
rechneten und sich dann abwandten, weil die Renditen zu unsicher waren,
griff Leo Kirch in die Vollen. Wenn die Bankhäuser seine exorbitanten
Kreditwünsche nicht mehr erfüllen wollten, konnte er sich auf die
halbstaatliche Kreditvergabe der Bayerischen Landesbank verlassen.
"Businesspläne haben bei uns nicht die Bedeutung von Dogmen", tönte 1997
sein Kronprinz Dieter Hahn, der ihm bis zuletzt treu zur Seite stand: Mit
Hahn focht Leo Kirch noch in diesen Wochen seinen Klagemarathon gegen
seinen Hauptgläubiger, die Deutsche Bank, und ihren ehemaligen Chef Rolf E.
Breuer durch, der 2002 im Interview erklärte, Leo Kirch bekomme wegen
seiner Milliardenschulden nun wohl nirgendwo mehr Kredit. Dieser eine Satz
habe ihn in die Pleite getrieben, davon war Leo Kirch bis zuletzt
überzeugt. Dass Breuer sich hier nicht ganz regelkonform verhielt, ist
mittlerweile gerichtlich bestätigt. Seitdem stritt man sich in mehreren
Prozessen über mögliche Schadenersatzpflichten.
Hahn war auch dabei, als Leo Kirch 2008 noch mal den ganz großen Coup
gelandet zu haben schien: 2007 meldete Kirchs Firma Sirius, sie sei mit der
deutschen Fußball-Liga handelseinig und werde ab 2009 exklusiv die
TV-Rechte an der Fußball-Bundesliga vermarkten. Diesmal war es das
Bundeskartellamt, das die Zentralvermarktung der Liga generell in Frage
stellte und so beide Seiten zwang, den Deal wieder abzublasen. "Ich habe
weniger Gutes getan als Schlechtes verhindert. Ich will die totale
Niveaulosigkeit so lange wie möglich blockieren", hatte Leo Kirch in einem
seiner spärlichen Interviews gesagt - da war er 75.
## Der Mensch Kirch fast immer unsichtbar
Nicht alle Privatfernseh-Zuschauer mögen ihm hier zustimmen. Leo Kirch war
in der Öffentlichkeit wie sein angelsächsisches Pendant Rupert Murdoch
immer höchst ungeliebt. Doch unter Leo Kirch war Sat.1 noch einer der
innovativsten Sender hierzulande - und meilenweit vom heutigen
Excel-Tabellen-Fernsehen entfernt. Der Mensch Leo Kirch blieb bei all
diesem Medienzirkus fast immer unsichtbar: Dass ihn in der weiteren
Öffentlichkeit kaum jemand erkannte und er so gut wie nie öffentlich
auftrat, war ein Markenzeichen dieses Unternehmers, der früher höchstens
durch eigenwillig geföhnte Frisuren auf den wenigen Fotos bestach, die von
ihm im Umlauf waren.
Legendär sind die Berichte von Kirch-Mitarbeitern, die noch mitten in der
sich abzeichnenden Pleite seine Ansprache und Fürsorge rühmten. Was sie
nicht davon abhielt, bisweilen selbst den eigenen Chef nicht zu erkennen:
Als im 1998 ProSieben seinen zehnten Geburtstag feierte, gab sich auch Leo
Kirch die Ehre. Gegen 23 Uhr verlangte er nach einem Taxi. Doch das
gestaltete sich schwierig: Schließlich hatte schon die Einladungskarte
unmissverständlich auf den obligatorischen Shuttlebus verwiesen.
Individuelle Taxibestellungen, wurde der kompakte Herr im schlichten
Straßenanzug belehrt, seien nicht drin. Sein leicht resigniert-amüsiertes
"Kinder, ich will doch nur nach Hause", half auch nicht, bis der damalige
Konzernsprecher auftauchte und den Umstehenden aufging, mit wem sie es zu
tun hatten: mit einem müden Leo Kirch. Heute ist Deutschlands letzter
Medienmogul in München verstorben.
14 Jul 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
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