# taz.de -- Islamistische Gewalt in Nigeria: "Westliche Bildung ist Sünde" | |
> Die Angst vor Bomben ist überall. Die nigerianische Sekte Boko Haram | |
> verübt immer neue Angriffe, mit dem Ziel einen Gotteststaat zu errichten. | |
> Die Sicherheitsdienste versagen. | |
Bild: Anschlag der Boko Haram in der nigerianischen Stadt Maiduguri. | |
ABUJA taz | In Nigeria wirkt seit Wochen die bloße Erwähnung des Namens | |
Boko Haram - übersetzt bedeutet dies "Westliche Bildung ist Sünde" - wie | |
eine kleine Explosion. Polizei und Militär sind in Alarmbereitschaft, denn | |
alle drei bis vier Tage bekennt sich die islamistische Sekte, die ihr | |
Hauptquartier in der Stadt Maiduguri im nordöstlichsten Bundesstaat Borno | |
hat, zu neuen Anschlägen. Die jüngsten liegen erst ein paar Tage zurück. | |
Anders als in den vergangenen Wochen haben Boko-Haram-Mitglieder dieses Mal | |
mehrere Kirchen in der Pendlerstadt Suleja, die rund eine Autostunde von | |
Abuja entfernt liegt, als Angriffsziel ausgewählt. | |
Die Angst vor weiteren Bomben ist überall im Norden, aber auch in der | |
künstlich-schicken Hauptstadt Abuja spürbar. Seit den Explosionen auf dem | |
Parkplatz des Polizeihauptquartiers Mitte Juni im Zentrum der Stadt gibt es | |
eine Ausgangssperre, an die sich niemand hält, die eine oder andere | |
Polizeikontrolle und eine Aufstockung des privaten Wachpersonals. Dieses | |
Personal ist besonders auf Parkplätzen im Einsatz und fragt Autofahrer | |
danach, was sie im Kofferraum haben. Ein schnödes "nichts" reicht freilich | |
als Antwort, um durchgewinkt zu werden. | |
Ähnlich hilflos und inkonsequent präsentiert sich die Regierung. Vergangene | |
Woche sagte Präsident Goodluck Jonathan (Peoples Democratic Party, PDP) | |
während des Staatsbesuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar: "Wir | |
werden alles tun, um das Problem zu lösen." Doch das wirkt wie eine | |
schwache Floskel. Einziger konkreter Vorschlag ist bislang die Einführung | |
eines Gesprächskreises und ein mögliches Amnestieprogramm gewesen, was Boko | |
Haram jedoch sofort ablehnte. Deshalb hat die Regierung entschieden, die | |
Joint Task Force (JTF), eine Spezialeinheit des nigerianischen Militärs, | |
zur Suche nach Sektenmitgliedern einzusetzen. | |
## Autos und etwas Bargeld als Trost | |
Nach Informationen von Amnesty International soll diese Truppe bei ihrem | |
Einsatz vor knapp zwei Wochen mindestens 25 Menschen getötet und 45 weitere | |
verletzt haben. Es passt ins Bild der Spezialeinheit, die in den | |
vergangenen Jahren häufig im Nigerdelta Rebellen aufspüren sollte. Dabei | |
schaffte sie vor allem eins: Sie schüchterte die Bevölkerung massiv ein und | |
musste sich regelmäßig die Kritik von Menschenrechtsgruppen gefallen | |
lassen. In Maiduguri sollen den Hinterbliebenen nun elf Autos und etwas | |
Bargeld ein wenig Trost spenden. Die Geschenke hat Gouverneur Kashim | |
Shettima am Montag überreicht. | |
Hussaini Abdu, Leiter der nichtstaatlichen Organisation ActionAid, hat | |
indes die Hoffnung auf eine friedliche Lösung nicht aufgegeben. | |
Selbstverständlich seien längst nicht alle Forderungen Boko Harams, wie | |
etwa die Errichtung eines islamischen Staats, erfüllbar. "Trotzdem können | |
Zeichen gesetzt werden", findet er. Dazu gehört für ihn insbesondere die | |
Untersuchung der außergerichtlichen Hinrichtungen im Jahr 2009, als die | |
Polizei auf offener Straße Mitglieder der Sekte einfach erschossen hat. | |
Seitdem ist die Situation extrem angespannt. | |
Eine Aufarbeitung des Konflikts wünscht sich auch Tajudeen Bello, Hauptimam | |
der Fouad-Lababidi-Zentralmoschee in Abuja. "Es ist eine komplexe | |
Angelegenheit", beschreibt er das Verhältnis von Boko Haram und Staat. Weit | |
weniger diplomatisch haben sich in den vergangenen Tagen indes andere | |
Islamgelehrte in Nigeria geäußert. So hat beispielsweise die islamische | |
Nichtregierungsorganisation Rasulul Aazam, die Krankenhäuser und Schulen | |
betreibt, deutliche Kritik an Boko Haram geäußert. In einer Presseerklärung | |
bezeichnete sie deren Verhalten als unislamisch. Eine wachsende Ablehnung | |
beobachtet auch Hussaini Abdu. "Die Menschen werden müde, wenn es jede | |
Woche zu neuen Anschlägen kommt. Sie wollen nur noch eins: Frieden." | |
20 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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