# taz.de -- Kommentar zu Norwegen: Offene Gesellschaft herausgefordert | |
> Die Aufgabe der Gesellschaft muss es sein, erste Anzeichen einer solchen | |
> Tat wie der von Oslo frühzeitig zu erkennen. Denn: Die Gefahr kommt oft | |
> von innen. | |
Allen Bildern zum Trotz: Was sich am Freitagabend auf der norwegischen | |
Ferieninsel Utøya ereignet hat, bleibt letztlich unvorstellbar. Was hat | |
Anders Behring Breivik geprägt, was hat ihn dazu gebracht, sich so sehr in | |
seinen Hass hineinzusteigern, dass er am Ende ein Ferienparadies zur Hölle | |
macht, in dem er im Minutentakt Jugendliche hinrichtet? | |
Was sagt diese Tat aus über ein europäisches Land, das sich selbst bis zu | |
ebenjenem Freitagnachmittag so überzeugt als friedliebend und weltoffen | |
präsentiert, wenn solche Menschen in der Mitte seiner Gesellschaft leben? | |
Und was schließlich bedeutet es für uns alle, auch für Deutschland, wenn | |
der erste Reflex auf ein Bombenattentat immer der gleiche ist: die | |
Mutmaßung, dass es islamistische Terrorgruppen sind, die hinter dem Morden | |
stecken? Wo genau hängt das zusammen: die fast selbstverständliche | |
Islamophobie, verbreitet zu den besten Sendezeiten auf der einen Seite, und | |
auf der anderen Seite ein Mann, der in rechtspopulistischen Vereinigungen | |
geprägt wird und schließlich offensichtlich als Einzeltäter in blinder | |
Mordlust wütet? | |
Richtig ist, dass die Taten von Einzeltätern nur schwer zu verhindern sind. | |
Richtig ist aber auch, dass es Anzeichen gab. Der Mörder hat in | |
Internetbeiträgen seinen sich steigernden Hass auf eine multikulturelle | |
Gesellschaft mit der Welt geteilt und seine antieuropäische Ideologie klar | |
und deutlich verbreitet. Kein Mensch wird als Nazi geboren. Diese schlichte | |
Einsicht muss Auftrag sein. Gesellschaften müssen Wege finden, solche | |
Internetbeiträge und andere Zeichen wahr- und ernst zu nehmen. Und | |
Mechanismen entwickeln, damit umzugehen. | |
Die große Herausforderung wird es sein, nicht indirekt das zu tun, was | |
Täter wie Anders Behring Breivik wollen. Norwegen darf jetzt nicht die | |
Schotten dicht machen, bewaffnete Posten im Land positionieren und alles, | |
was fremd scheint, wegschieben. Bewundernswert, wie klug und weitsichtig | |
die Worte waren, die der norwegische Ministerpräsident diesbezüglich direkt | |
nach den Anschlägen fand. | |
In Norwegen war der Feind, wie in Oaklahoma und bei anderen Attentaten, | |
weiß, männlich und christlich. Einer, der von innen kommt. Das müssen sich | |
die westlichen Gesellschaften endlich klarmachen und entsprechende | |
Strategien entwickeln. Ja, es gibt eine Terrorgefahr von außen. Aber es | |
gibt auch Attentäter, die ihre dummen Hirne mit einer | |
christlich-fundamentalistischen Weltsicht füttern. | |
Eine abschließende Antwort darauf, warum ein Mensch eine solche Tat begeht, | |
wird es nie geben. Und viel wird im sehr Privaten liegen. Aber auch ein | |
Anders Behring Breivik bewegt sich immer auch in einem gesellschaftlichen | |
Umfeld. Dessen müssen die Politikerinnen und Politiker gewahr sein, wenn | |
sie über Griechenland, den Euro, Europas Zukunft und den Umgang mit | |
Flüchtlingen reden. | |
24 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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