Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Peking zu Hochgeschwindigkeitszug: "Wir vertrauen ihm"
> Trotz des schweren Zusammenpralls zweier Schnellzüge hält die chinesische
> Regierung am hohen Tempo fest. Im Internet aber hagelt es massive Kritik.
Bild: Die Regierung baggert ganz schnell Schutt über das Zugunglück.
PEKING taz | Ungewöhnlich zügig zerlegen die Arbeiter die Waggons. Den
Schrott vergraben sie mit einer merkwürdigen Begründung: Man wolle auf
diese Art die wertvolle chinesische Technologie in den Zügen vor
"Diebstahl" schützen, heißt es.
Nach dem schweren Zugunglück bei Wenzhou in Ostchina, bei dem mindestens 36
Menschen ums Leben kamen und etwa 200 verletzt wurden, haben
Rettungsmannschaften die Unglücksstelle in nahezu Rekordgeschwindigkeit
geräumt. Damit ziehen sie den Verdacht auf sich, Spuren verwischen zu
wollen.
Zwei Hochgeschwindigkeitszüge waren am Wochenende bei einem Gewitter
aufeinandergeprallt, weil offenbar die Signaltechnik ausfiel. Nach erster
Darstellung hatte ein Blitzschlag die Stromversorgung des Schnellzuges
D3115 lahmgelegt. Der nachfolgende Zug konnte nicht mehr rechtzeitig
bremsen, sein Lokführer kam beim Aufprall ums Leben. Drei hochrangige
Funktionäre der Shanghaier Eisenbahnbehörde wurden noch am Sonntagabend
gefeuert. Gleichzeitig ordnete die Regierung an, die Sicherheit des
gesamten Schienennetzes zu überprüfen.
## "Fortschrittlich und ausgereift"
Der Sprecher des Eisenbahnministeriums, Wang Yongping, entschuldigte sich
für das Unglück. Zugleich aber erklärte er: "Chinas Hochgeschwindigkeitszug
ist fortschrittlich und ausgereift. Wir vertrauen ihm."
Die chinesische Öffentlichkeit reagierte empört über die - wie viele
Chinesen glauben - vermeidbare Katastrophe. Auf den Webseiten und in
Mikroblogs kursierten in kürzester Zeit Fotos und Filme vom Ort des
Geschehens, Berichte überlebender Passagiere und kritische Fragen über die
Hintergründe des schlimmsten Unglücks seit der Einweihung der ersten
Hochgeschwindigkeitsbahnen im Jahr 2007. Beim Bau wurde, so der Tenor,
womöglich gespart, weil sich Funktionäre bei der Auftragsvergabe die
Taschen füllten.
Der - inzwischen wegen Korruption verhaftete - frühere Eisenbahnminister
hatte einen "großen Sprung nach vorn" in der Bahntechnik versprochen. Das
Schienennetz soll innerhalb von fünf Jahren von derzeit 8.000 auf 17.000
Kilometer erweitert werden, versprach er.
## Warnungen in den Wind geschlagen?
"Warum gibt es kein System, das die Züge vor Blitzeinschlag schützt", fragt
nun ein Kommentator im populären Webforum "Tianya". Andere erinnern daran,
dass sich Chinas Eisenbahnfunktionäre bei der Einweihung der
Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Shanghai Ende Juni
gebrüstet hatten, mit den 300 Stundenkilometer schnellen Zügen besser als
Japaner und Deutsche zu sein, deren Kawasaki- und Siemens-Technik als
Grundlage dienen. Ein weiterer Online-Kommentator beklagt, die Behörden
hätten alle Warnungen über mangelnde Sicherheit in den Wind geschlagen:
"Solange es keinen Unfall gibt, prahlen sie, Nummer eins auf der Welt zu
sein. Sobald etwas passiert, erklären sie, das könne jedem Land passieren,
weil die Technik so schwierig ist."
Und es kursiert noch ein weiterer Verdacht: Die Zahl der Todesopfer sei
womöglich nach unten manipuliert worden sein - so wie es auch bei
Minenunglücken üblich ist. Denn übersteigt die Menge der Toten eine
bestimmte Grenze, müssen Funktionäre neuerdings automatisch ihren Hut
nehmen. Belege, dass dies auch in Wenzhou geschehen ist, gibt es dafür
nicht.
Ein Kommentator auf "Sina.Weibo", der chinesischen Schwester von Twitter,
fasste die Situation folgendermaßen zusammen: "Wenn ein Land so korrupt
ist, dass ein einziger Blitzschlag eine Eisenbahnkollision verursacht, dann
ist niemand von uns sicher. China ist heute ein Zug, der durch ein schweres
Gewitter fährt. Keiner von uns ist nur Zuschauer, wir sind alle
Passagiere."
25 Jul 2011
## AUTOREN
Jutta Lietsch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schnellzug-Projekt in England: Leeds rückt näher an Paris
Englands Regierung hat den Bau einer Highspeed-Bahntrasse von London in den
Norden entschieden. Anwohner der betroffenen Strecke sprechen von einer
Fehlinvestition.
Nach dem Bahnunglück in China: "Blut-Wachstum" am Ende
Chinesische Experten stellen das Wachstumsmodell des Landes infrage. Die
Regierung reagiert mit Zensur: Nur noch positive Nachrichten werden
veröffentlicht.
Politische Stimmung in China: Wie ein Satz zum geflügelten Wort wird
Eine Formulierung führt zum Bruch zwischen Funktionären und Volk. Auslöser
ist die arrogante Bemerkung eines Ministeriums-sprechers nach einem
schweren Zugunglück.
Debatte Weltwirtschaft: China ertrinkt im Geld der Investoren
Die europäische Staatsschuldenkrise verschärft Chinas Inflation. Das Land
kann sich vor lauter Geld kaum retten. Europas Genesung würde die Probleme
der Chinesen mildern.
Hochgeschwindigkeitszüge in China: Cool. Toll. Nur für Bosse
Mit neuen Bahnstrecken will China das ärmere Hinterland an die reiche Küste
anschließen. Doch der "Zug der Harmonie" ist nichts für Arme.
Inflation in China: Der Schweinediebstahl boomt
Angesichts der rasanten Preissteigerungen sucht die chinesische Regierung
einen Schuldigen - und findet ihn in den Bauern. Dabei ist vieles
hausgemacht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.