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# taz.de -- Soziale Proteste in Israel: 150.000 gehen auf die Straße
> Mieterhöhungen, Kinderbetreuung, Spritpreise: Hunderttausende
> demonstrieren für soziale Gerechtigkeit und errichten Zeltstädte – auch
> palästinensische Israelis machen mit.
Bild: Mit wehenden Fahnen: Protest in Tel Aviv.
JERUSALEM taz | Von Dimona im Negew bis Kirjat Schmona am Hermon – Israels
Zeltstädte breiten sich aus. 150.000 Demonstranten gingen am Samstagabend
in gut einem Dutzend Städten auf die Straße. "Soziale Gerechtigkeit" ist
der zentrale Slogan der heterogenen Protestgruppe. Ende vergangener Woche
schlossen sich in Haifa, Nazareth und in dem Grenzort Baka al-Gharbijeh
auch palästinensische Bürger Israels an. Regierungschef Benjamin Netanjahu
beauftragte eine Expertenrunde der betroffenen Ministerien, rasch Lösungen
zu liefern.
Was als spontaner Protest gegen eine Mietpreiserhöhung begann, weitet sich
aus. Am Wochenende war zum ersten Mal von staatlicher Mietpreisbindung die
Rede. Die Forderungen umfassen aber auch Reformen im Gesundheitssystem und
kostenfreie Kinderbetreuung ab der Geburt. Die seit Wochen streikenden
unterbezahlten Ärzte gehen Hand in Hand mit den Protestcampern, unter die
sich inzwischen auch junge Eltern und erzürnte Autofahrer mischen.
Neben selbst bemalten Schildern zur Ermunterung der Anwohner wie: "Komm
runter von deinem Balkon, der Staat bricht zusammen" oder einfach nur:
"Gerechtigkeit", waren am Samstag auch Pamphlete gegen die
Verbrauchersteuer beim Benzin zu sehen. Die Autofahrer sind im Grunde die
ersten Gewinner des sozialen Aufstands, denn Netanjahu unterband eine für
diese Woche geplante Preiserhöhung der Treibstoffe, offenbar aus Sorge, er
könne das Volk sonst noch mehr erzürnen.
"Wir sind überrascht, zu erkennen, dass bei all den Themen, die auf den
Bühnen der Zeltbewegung landesweit angesprochen werden, der eine vom
anderen nicht weit entfernt ist", sagte Jonathan Levi, einer der
Initiatoren des Protests vor den rund 100.000 Demonstranten in Tel Aviv.
Ein eher kleiner Teil der Camper dürfte sich indes für die Benzinpreise
interessieren. Die meisten radeln oder sind Nutzer öffentlicher
Verkehrsmittel. Was die Buntheit der Gruppe ermöglicht, ist, dass der
Protest überparteilich ist und dass es diesmal nicht um den Konflikt mit
den Palästinensern geht.
## "Lieber Frieden als Gebiete erobern"
##
Nur Aviv Geffen, einer der vielen Popstars, die am Wochenende die
Kundgebungen mit Auftritten unterstützten, erlaubte sich einen Schlenker
zur grenzübergreifenden Politik. "Den Frieden erobern, nicht die Gebiete",
sang er von der Bühne in Jerusalem, wo er die Protestcamper ermutigte.
"Seid geduldig, dann werdet ihr es schaffen", rief er und stimmte dann sein
schon vor Jahren komponiertes Lied "Wir wollen Veränderung" an, für das es
keinen besseren Rahmen hätte geben können. "Lasst es uns versuchen", so
heißt es im Refrain, "bis es gut ist".
Um alle unter einen Hut zu bringen, halten die Zeltstädte Wahlen ab. Es
wird viel improvisiert. Jeder Kandidat darf für ein paar Minuten ans
Mikrofon, bevor über die neuen Vertreter abgestimmt wird, die den Protest
ab sofort koordinieren. "Bibi (Netanjahu) nach Hause. Das Benzin zahlen
wir", steht auf einem Plakat, das keineswegs alle repräsentiert. Dafni Lif,
die Frau, die, nachdem ihr die Miete erhöht wurde, den gesamten Protest
erst ins Rollen brachte, findet nicht, dass die Regierung ersetzt werden
soll, aber es müsse "neue Spielregeln geben".
Die von der Regierung vorgeschlagenen Ideen stießen rundum auf Ablehnung.
Netanjahu wollte durch die günstige Veräußerung staatseigenen Landes den
Bau von Mietwohnungen ankurbeln. Zu den neuen Plänen, die Netanjahus
Expertenteam prüfen soll, gehört die Senkung der indirekten Steuern, die
fast die Hälfte der staatlichen Gesamteinnahmen ausmachen. Außerdem stehen
Preissenkungen durch Importerleichterungen zur Debatte.
31 Jul 2011
## AUTOREN
Susanne Knaul
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