# taz.de -- 50 Jahre Mauerbau: Literatur als Gedenkort | |
> In Dömitz an der Elbe soll ein Museum entstehen, das die innerdeutsche | |
> Grenze entlang des Flusses und ihr Nachbeben in der Literatur | |
> thematisiert. | |
Bild: Ein Museum als Alternative zum Gedenken an die Mauer: Abschnitt der Mauer… | |
"Wenn ich auf die andere Seite geschaut habe, sah ich nur den Zaun und | |
hörte das Kläffen der Hunde." Axel Kahrs steht am Elbufer in Schnackenburg | |
und schaut über den Fluss ins brandenburgische Lütkenwisch. Der | |
Metallgitterzaun ist weg, der Blick geht in die Weite. 96 Kilometer lang | |
markierte die Elbe die innerdeutsche Grenze. Axel Kahrs sagt: "Für uns war | |
das Gegenüber ein Land der Stille. Man sah nichts. Kein Schornstein, aus | |
dem Rauch quoll, keine Stimmen, es fuhren keine Züge. Nur das Kläffen der | |
Hunde." | |
Auch der Schriftsteller Arnold Stadler hat die Elbe zwischen Schnackenburg | |
und Lütkenwisch beobachtet. In seinem Roman "Sehnsucht" sind Grenzzaun, | |
Todesstreifen und Hundegebell zwar Geschichte - aber eine überaus präsente: | |
"Auf der Fähre war ich mit meinem Wagen der Einzige, der sich übersetzen | |
ließ, die Elbe glitzerte wie eine Fata Morgana des Nordens. Den ehemaligen | |
Todesstreifen überquerte ich schwimmend. Der Todesstreifen war nun ein | |
Naherholungsgebiet. Aus der Hundegrenze war ein Biotop geworden. […] Drüben | |
sah ich, was ich in jenem Augenblick gar nicht sehen wollte. Da lagen zwei | |
und machten Liebe." | |
Arnold Stadler, 1954 geboren und an Rhein und Donau aufgewachsen, kam 1999 | |
erstmals ins Wendland und an die ehemalige Grenzelbe, ein Jahr später war | |
er Stipendiat im Künstlerhof Schreyahn, den Axel Kahrs leitet. Stadlers | |
Blick auf die ehemalige Flussgrenze ist der eines Nachgeborenen, doch die | |
Rückkehr zur Normalität an solchem Ort ist schwer. Immer wieder schaut sein | |
Ich-Erzähler auf das Liebespaar: "Mitten im Todesstreifen, da, wo einmal | |
die Hunde auf- und abliefen und sich in regelmäßigen Abständen immer wieder | |
festbissen." | |
Als am 13. August 1961 in Berlin die Mauer gebaut wurde, begann an der | |
Elbgrenze die Aussiedlung. Viele Bewohner der Dörfer mussten ihre Heimat | |
verlassen, sie wurden weiter im Binnenland angesiedelt. "Aktion Ungeziefer" | |
nannten die Behörden diese Zwansgumsiedlung, die aus dem Dörfchen Rüterberg | |
sogar eine Exklave machte, zu erreichen nur über eine Stichstraße. Bekannt | |
geworden ist Rüterberg durch seine Renitenz. Bereits vor dem Fall der Mauer | |
hatten die Bewohner die Grenzlage satt. Sie wollten nicht länger Teil der | |
DDR sein und riefen die "Freie Dorfrepublik Rüterberg" aus. Dieser Titel | |
ist ihnen bis heute geblieben - offiziell erteilt vom Innenministerium des | |
Landes Mecklenburg-Vorpommern. | |
Fünfzig Jahre nach dem Bau der Mauer und des Metallgitterzauns entlang der | |
Elbe läuft die Erinnerungsmaschine inzwischen auf Hochtouren. Das | |
Literaturthema Elbgrenze fristet in diesem Erinnern aber eher ein | |
Schattendasein. "Wer die Elbe als Gegenstand der Literatur präsentieren | |
will, der fängt nicht bei null an, sondern im Minus", so sieht das Axel | |
Kahrs. Eine Ausstellung mit Texten und Autografen zur innerdeutschen Grenze | |
hat er bereits unter dem Titel "Grenzinschriften" zusammengestellt. Nun | |
will er den nächsten Schritt gehen: In den Kasematten der ehemaligen | |
Eisenbahnbrücke in Dömitz in Mecklenburg-Vorpommmern soll das Museum | |
Literaturraum Elbe entstehen. | |
## Vom Natur- zum Kulturraum | |
Seit dem Fall der Mauer hat Axel Kahrs die deutschsprachige Literatur nach | |
Einträgen zur Elbe gesichtet. Fündig wurde er in Brigitte Kronauers Roman | |
"Teufelsbrück", in Reinhard Jirgls "Abtrünnig" oder in Jenny Erpenbecks | |
"Heimsuchung". Mit seinem Roman "Nachglühen" hat der Autor Jan Böttcher | |
sogar den Strom und die Grenze selbst ins Zentrum der Handlung gestellt. | |
Der Blick auf den ehemaligen Grenzfluss, sagt der Germanist Sven Kramer von | |
der Leuphana Universität Lüneburg, "ruft bei vielen Schriftstellern Fragen | |
nach der Positionsbestimmung der deutsch-deutschen Vereinigung auf". So | |
bewahren die Schriftsteller die Elbgrenze vor dem Vergessen, meint Kramer. | |
"Indem sie das Hineinwachsen der Vergangenheit in die Gegenwart gestalten, | |
konterkarieren die Autoren die in der populären Wahrnehmung stattfindende | |
Transformation des Kulturraums zum Naturraum." | |
Für Axel Kahrs ist die Elbe auch ein biografischer Ort. Aufgewachsen in | |
Wustrow zwischen dem westdeutschen Lüchow und dem ostdeutschen Salzwedel, | |
hat der 1950 geborene Kahrs den Mauerbau und die Grenze bereits als Kind | |
erlebt. Das hat ihn auch davor bewahrt, die deutsche Teilung als Normalität | |
hinzunehmen, als im Wendland andere Themen populär waren. So wurde Axel | |
Kahrs zum Gorlebengegner und zum Grenzlandbewohner, der die Stille auf der | |
anderen Seite der Elbe nicht hinnehmen wollte. Seit dem Fall der Mauer kann | |
er mit seiner Stipendiatenstätte nun Autoren aus Ost und West einladen, um | |
den "Messerschnitt entlang der Elbe", wie der DDR-Schriftsteller Eduard | |
Claudius 1951 die Grenze beschrieb, im Gedächtnis zu bewahren. | |
Einen ersten Schritt zur Realisierung des Museums Literaturraum Elbe war | |
Kahrs bereits Anfang der 2000er Jahre gegangen. Auf dem Steilufer über der | |
Elbe bei Hitzacker sollte eine gläserne Rotunde entstehen. Je höher man | |
steigt, so die Idee, desto großartiger werde der Blick über den Strom. Die | |
Literatur hätte sich, eingraviert in Gestalt der Elbezitate, vor diesen | |
Blick geschoben. "Die Finanzierung der Rotunde war aus Mitteln des | |
Bundesbeauftragen für Kultur und Medien gesichert", sagt Kahrs. Doch | |
plötzlich überlegte es sich Hitzacker anders. Das Geld ist nun verfallen. | |
## Historische Brücke nutzen | |
Einen zweiten Anlauf startete Kahrs vor einem Jahr. Die einst 986 Meter | |
lange Eisenbahnbrücke bei Dömitz, heute nur noch ein Torso, war von der | |
Deutschen Bahn versteigert worden. Den Zuschlag erhielt der niederländische | |
Investor Toni Bienemann. In den Gewölben im Kopfbau der Brücke sah Kahrs | |
geeigneten Raum für sein Konzept. Mehrfach hat er mit dem Käufer darüber | |
gesprochen, nun wartet er auf ein Signal der niedersächsischen Ministerin | |
für Kultur, Johanna Wanka (CDU). Wankas Ostbiografie und ihre | |
Wendeerfahrung als Bürgerrechtlerin, hofft Kahrs, könne das Museumsprojekt | |
an der Elbe voranbringen. Wanka hat bereits Unterstützung zugesagt. | |
Für Sven Kramer wäre ein Museum Literaturraum Elbe auch eine Alternative | |
zum Gedenken an die Mauer in Berlin. "Nicht von außen, als verordnete | |
Gedenkpolitik, stellt sich die Erinnerung an die einstige deutsch-deutsche | |
Grenze hier ein, sondern von innen, als Nachbeben der Versehrungen, die das | |
Gewaltverhältnis in den Menschen hinterlassen hat." | |
8 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Uwe Rada | |
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