# taz.de -- Fünfzig Jahre Mauerbau: Weltgeschichte im Kleinen | |
> 24 Zeitzeugen erzählen, wie sie die Teilung der Stadt erlebt haben. | |
> Mitten im Medienwahnsinn um den 13. August 1961 ist die Ausstellung "An | |
> einem Sonntag im August" angenehm unpathetisch. | |
Bild: Damals eine Teilung, heute ein Ereignis. Die Mauer an der East-side-Galle… | |
Cafés in Prenzlauer Berg tragen gern Wohlfühlnamen. Was "An einem Sonntag | |
im August" bedeutet, erklärt sich laut Online-Hauptstadtportal so: "In der | |
vor dem Café befindlichen Hollywoodschaukel fläzen und den schicken Pipis | |
und Popos beim ,Castingallee-Catwalk' zusehen, ist ein spannendes | |
Erlebnis." | |
Was "An einem Sonntag im August" noch bedeutet, kann man in der | |
Friedrichshainer Zwinglikirche sehen. Dort läuft eine gleichnamige | |
Ausstellung über den 13. August 1961. Für Historiker ist der Mauerbau ein | |
Weltereignis, für Medienschaffende ein jährlich wiederkehrendes Thema, | |
schwer oder leicht, je nach Jubiläumszahl und Zielgruppen-IQ. Für normale | |
Menschen, die besagten Tag in Berlin miterlebten, war es ein Tag, der ihr | |
Leben teilweise aus den Angeln hob oder nur kurz durcheinanderbrachte, auf | |
jeden Fall aber beeinflusste. | |
Um das Epochale des Mauerbaus fühlbar zu machen, legen sich vor allem | |
Event-TVler ins Zeug. Wie man aber Eindruck nicht schinden, sondern | |
erzeugen kann, indem man simpel und unpathetisch an die Sache geht, | |
beweisen die KulturRaum-Aussteller in der Zwinglikirche. Von der hohen | |
Decke hängen Holztafeln mit Zitatfetzen, die den Schockzustand an diesem | |
Sonntag schnörkellos offenbaren - oft in einer Art "Klappe zu, Affe | |
tot"-Resümee. | |
So wie dem von Christa Münchberg aus Friedrichshain, die im Westen gejobbt | |
hatte: "Dann musste ich natürlich in ganz kurzer Zeit auch wieder eine | |
Arbeit beschaffen und bin eigentlich von Pontius zu Pilatius gelaufen und | |
hatte denn aber trotzdem nach kurzer Zeit das Glück, beim VEB Progress | |
Filmvertrieb am 1. September 1961 anzufangen. Und habe dort eine Tätigkeit | |
angefangen, die mir sehr gefallen hat. Aber so eine ganz kleine Strafe habe | |
ich auch bekommen. Denn in dieser Sachbearbeitertätigkeit war ich die | |
schlechtestbezahlte Mitarbeiterin." | |
Man liest es förmlich von den Lippen mit. "Das Transkribieren war eine | |
Heidenarbeit", sagt Anke Baltzer, die ehrenamtlich die | |
Öffentlichkeitsarbeit macht. Schon 2008 und 2009 hat es | |
Zeitzeugenausstellungen gegeben über das Quartier, das der Bauunternehmer | |
Maximilian Koch vor einem Jahrhundert baute. Sein 1953 mit in den Westen | |
gezogener Enkel Martin Wiebel hatte die Häuser nach der Wende | |
zurückbekommen und saniert. Aus Neugierde auf seinen Heimatkiez zog der | |
Ex-WDR-Filmproduzent mit der Kamera los und befragte Ortszeugen. | |
"Geschichte von unten erzählen", nennt es Baltzer. Für die Ausstellung | |
"Leben mit der Mauer" wurden 2009 viele Videos mit Zeitzeugengesprächen | |
gedreht. Das brachte sie auf die Idee zum Mauerbaujubiläum: "Als ich die | |
historischen Fotos sah, dachte ich: Leute, erzählt eure Geschichte, solange | |
ihr die erzählen könnt!" | |
Zu den 24 Zeitzeugen, die können und wollen, gehören Gerda und Hartmut | |
Stachowitz. Ihre Geschichte, nachzuhören an einer Audiostation, | |
veranschaulicht geradezu plakativ, wie viel Wahn und wenig Sinn hinter der | |
Mauer steckte. Angeblich wollten die DDR-Mächtigen mit deren Bau nur das | |
Beste für die Menschen. Wer aber dieser Menschenliebe entfliehen wollte, | |
wurde aufs Übelste bestraft. | |
Hartmut Stachowitz hatte vor dem 13. August in Westberlin studiert, seine | |
Ehefrau, Mutter des gemeinsamen Kindes, in Dresden. Der Mauerbau | |
verhinderte das Zusammenziehen. Weil ihr Plan zur Flucht durch einen Tunnel | |
in der Kiefholzstraße verraten wurde, kamen beide mehrere Jahre ins | |
Gefängnis. Erst 1973 wurde ihre Ausreise gestattet. Ihre Geschichte ist in | |
ihrer Tragik sicher die spektakulärste, weshalb sie unter dem Titel | |
"Grenzenlose Liebe" am Dienstag zum dritten Mal im Fernsehen lief. | |
Die Eheleute Gisela und Eberhard Iskraut haben sie zu Hause auf DVD. Ihre | |
eigene Mauertrennungsgeschichte nahm eine andere Wendung. Gisela Iskraut | |
zog 1962 zu ihrem Mann in die DDR. Sie findet es gut, dass in der | |
Ausstellung auch dieser Weg deutlich gemacht wird. "Meistens wird ja nur | |
von Leuten berichtet, die nach dem Mauerbau in den Westen gingen. Aber es | |
gab ja etliche umgekehrte Fälle, besonders im Raum der Kirche." | |
Sie hatte den angehenden evangelischen Pfarrer 1959 in Westberlin | |
kennengelernt, wo die junge Frau aus Detmold zwei Semester Pädagogik | |
studierte. Schon vor ihrer Verlobung 1960 war klar, dass er seine Absicht, | |
in der DDR als Pfarrer zu arbeiten, nicht aufgeben würde. Er wollte die | |
Millionen Hierbleiber im Osten nicht im Stich lassen. Am 13. August war das | |
Paar just zu Besuch bei seinen Eltern in Babelsberg. Von der Weltgeschichte | |
sahen sie sich plötzlich vor die Wahl gestellt: Verlobung lösen oder bald | |
heiraten. "Er hatte es mir freigestellt, ohne Vorwürfe", sagt Gisela | |
Iskraut. "Mir war klar, wir gehören zusammen und ich dürfte ihn keinesfalls | |
überreden, in den Westen zu kommen." | |
1962 ging sie in die DDR, wo sie als Pfarrersfrau an der Seite ihres Mannes | |
lange im Oderbruch lebte, seit 1977 in Johannisthal. "Wir sind ja beide in | |
Frankfurt (Oder) geboren, unsere Eltern kannten sich, sie kannte die | |
Atmosphäre hier. Und die Kirche bot einen Raum für offenes Reden. Das hat | |
ihr die Entscheidung sicher erleichtert", sagt Eberhard Iskraut. Gemeinsam | |
erzogen sie drei Kinder zu kritischen, unangepassten Bürgern. Wenigstens | |
Gisela Iskrauts Mutter durfte ab 1972 zu besonderen Anlässen zum | |
Verwandtenbesuch rüber, nachdem eine Reise zur Beerdigung seiner Mutter | |
1971 noch unmöglich war. Ob die DDR irgendwann Heimat werden konnte? "Das | |
ginge zu weit. Aber es gab so ein Gefühl: Ich gehöre hierhin", sagt Gisela | |
Iskraut. Ein Satz wie aus einem Sat.1-Mauerfilm; aus dem Munde der | |
warmherzigen Frau klingt er so ergreifend unpathetisch, wie es die | |
doppelbödigen Prenzlberg-Café-Namen gern wären. | |
Titel und Form dieser Ausstellung mit ihrer Ergänzung durch Lesungen und | |
Filme findet Gisela Iskraut sehr angemessen. "Mauerjubiläen ermüden ja auch | |
oft gerade die Nichtzeitzeugen. Das kennen wir ja auch von unseren | |
Kindern." Sie weiß, da helfen auch keine Heroisierungen. "Ich mag keine | |
Zeitzeugen, die übertreiben oder zur Selbstdarstellung neigen. Mein | |
Rübergehen würde ich niemals als heroisch bezeichnen. Dabei habe ich auch | |
die Nacht davor nicht geschlafen, weil ich wusste, es gibt kein Zurück. | |
Zwei Lehrer aus meinem Kollegium in Detmold, die gerade aus der Zone | |
geflohen waren, hatten mir gesagt: ,Du musst einen Knall haben oder Angst, | |
dass du keinen Mann im Westen mehr kriegst.' " | |
Normales Gerede über die Folgen eines epochalen Ereignisses an einem | |
Sonntag im August 1961. | |
## "1961 - An einem Sonntag im August" in der Zwinglikirche, Rotherstraße | |
3. Die Ausstellung läuft bis 11. 9. Begleitend gibt es Filme und Lesungen | |
3 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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