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# taz.de -- Mauergedenken I: Open-Air-Geschichtsstunde
> An der Bernauer Straße zwischen Wedding und Mitte zeigte sich am Samstag,
> wie präsent die einstige Grenze für viele BerlinerInnen noch ist. Trotz
> geballter Prominenz versank die Gedenkfeier nicht im Pathos.
Bild: Warten am weißen Band: Schaulustige bei der offiziellen Eröffnung des z…
Natürlich gibt es auch Bratwurst und Bier an diesem 13. August, dem 50.
Jahrestag des Mauerbaus. Trotzdem: Die öffentliche Gedenkveranstaltung
entlang der Bernauer Straße ist weder gefühliges Volksfest noch Pathosbühne
für den Wahlkampf.
Nachdem Angela Merkel, Christian Wulff, Klaus Wowereit und andere schwarz
gekleidete Ehrengäste einem Gedenkgottesdienst in der Kapelle der
Versöhnung gelauscht, ihre Reden gehalten und Kränze niedergelegt haben,
nimmt das Volk vom ehemaligen Todesstreifen Besitz. Um kurz vor zwölf
stehen tausende Menschen gleichzeitig still und blicken schweigend auf die
Reste der Mauer. Noch über die offiziell vereinbarte Gedenkminute hinaus
ist es ruhig, einige haben Tränen in den Augen. Wie der ältere Herr, der
sich daran erinnert, wie ihn die Mauer über Nacht unwiderruflich von seiner
Schwester trennte: Sie hatte kurz vor dem Mauerbau geheiratet und war in
eine Wohnung zwei Straßen weiter gezogen, in den Wedding. Ihrer Einladung
zur Wohnungsbesichtigung habe er nicht mehr nachkommen können, erzählt der
ehemalige DDR-Bürger laut einer Bekannten. Umstehende hören mit, prompt
werden Mauergeschichten ausgetauscht, Biografien erzählt.
Die Veranstaltung, ausgerichtet von den Kulturprojekten Berlin und der
Gedenkstätte, ist aufgebaut wie eine räumlich erfahrbare Geschichtsstunde:
volksnah, aber nicht unterkomplex, voller Informationen, aber nicht ohne
Gefühl. Rund um den Nordbahnhof gibt es Infostände sämtlicher
Organisationen, die sich mit dem Erbe von DDR-Diktatur und Mauer
beschäftigen - vom Gefängnis Bautzen bis zur FDP-nahen
Friedrich-Naumann-Stiftung. Im Dokumentationszentrum der Gedenkstätte ist
die Ausstellung "Berlin, 13. August 1961" zu sehen, die nüchtern
Vorgeschichte und Ablauf des Mauerbaus darstellt. Im "Zeitzeugencafé"
können sich Besucher Fluchtschicksale anhören - Flucht durch die
Kanalisation, Flucht über Afghanistan im Tschador, organisierte
Fluchthilfe. Voll ist es überall, besonders an der Freilichtbühne Ecke
Ackerstraße, wo zwangsgeräumte Anwohnerinnen der Bernauer Straße,
Feuerwehrleute, S-Bahn-Fahrer und Reporter vom Maueralltag erzählen. Auch
die Hörstationen entlang der Grenzanlagen sind voller Zuhörer. Gerade junge
Leute können nicht genug kriegen von Geschichten, die ihnen eine fremde
Zeit vergegenwärtigen. Allein der vom Bundespräsidenten frisch eröffnete
zweite Abschnitt der Gedenkstätte wurde nach Angaben der Organisation bis
zum Abend von 20.000 Menschen besucht. Dort verweisen 26 Infostelen und 22
großformatige Fotos an umliegenden Häuserwänden auf gegrabene Fluchttunnel
und Häuser, die mit dem Beginn des Mauerbaus Teil der Grenze und später
abgerissen wurden.
"Das olle Teil soll eine Grenze gewesen sein?", zweifelt ein Mädchen und
klopft auf den löchrigen Beton. Ihr Vater nimmt sie an der Hand und zeigt
ihr die Markierungen auf dem Boden: Grenzposten, Hinterlandmauer,
Suchscheinwerfer. Schon die jüngsten Kinder, die im Zickzack durch die
Stelen laufen, werden gefilmt beim symbolischen Grenzübertritt. Vereinzelte
Spinner, wie der Mann, der auf einem Transparent Maueropfer gegen
"getötetes ungeborenes Leben" aufrechnet, ernten lautstarken Protest. Was
genau der alte Mann bezweckt, der mit weißem Anzug und bestickter Kippa
rote Rosen verteilt, weiß keiner so genau. Aber er passt zur gelösten
Stimmung, in der alle mit allen reden. An eine Wand hat einer ein
dringliches Gesuch gehängt: "Suche meinen Fluchtpartner! Flucht nach
Nachtdienst bei der Post am 17. 10. 61 um 9 Uhr morgens über drei Dächer,
dann ins Sprungtuch - melde dich!" Die Mauer ist lange weg, aber die
Erinnerungen an sie sind offenbar noch sehr lebendig.
14 Aug 2011
## AUTOREN
Nina Apin
Nina Apin
## TAGS
Berliner Mauer
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