# taz.de -- Kennzeichnung von Berliner Polizisten: Der Kummer mit dem Schild | |
> Die Berliner Polizisten müssen seit Ende Juli ihren Namen oder eine | |
> Nummer am Revers tragen. Die Beamten sind wenig begeistert, einige ziehen | |
> gar vor Gericht. | |
Bild: Schönes, aber umstrittenes Schild | |
Die Basis bockt. Dabei sieht das Schildchen an der neuen blauen Uniform gar | |
nicht schlecht aus. Richtig weltoffen und bürgerfreundlich wirken Berlins | |
Polizisten mit diesem Outfit. Beamte des höheren Dienstes, gemeinhin in | |
Führungspositionen, schmücken sich schon lange freiwillig mit einem | |
Namensschild. Die breite Masse indes, vom Abschnittsleiter abwärts, wird | |
schmallippig, wenn sie auf die Neuerung angesprochen wird. "Die da oben | |
haben ihren Hintern im Trocknen. Wir Beamte auf der Straße werden mal | |
wieder verheizt", fasst ein Polizist die Meinung seiner Kollegen zusammen. | |
Seit Ende Juli sind die 13.000 Uniformträger der Berliner Polizei zur | |
individuellen Kennzeichnung verpflichtet. Das Schildchen misst 75 mal 20 | |
Millimeter, ist aus silberfarbenem Kunststoff, die Schrift ist schwarz und | |
einen Zentimeter hoch. Ob dort der Name steht oder eine fünfstellige | |
persönliche Nummer, dürfen die Beamten selbst entscheiden. | |
Auch die rund 3.800 Angehörigen der geschlossenen Einheiten, die etwa | |
Demonstrationen begleiten, bekommen noch eine individuelle Kennung, | |
allerdings nur in Form einer fünfstelligen | |
Buchstaben-und-Ziffern-Kombination. Diese Stoffschilder werden aber erst im | |
September geliefert. Ende des Jahres würden alle Einheiten und | |
Dienststellen ausgestattet sein, hat Polizeivizepräsidentin Margarete | |
Koppers angekündigt. | |
Ein Polizeiabschnitt irgendwo in Berlin. Wie die Stimmung sei, fragt die | |
Reporterin. "Schreiben Sie, wir sind noch in der Findungsphase", sagt der | |
Dienstgruppenführer einsilbig. Einen Teufel werde er tun, seine ehrliche | |
Meinung zu Protokoll zu geben. Er wolle keine beruflichen Nachteile haben. | |
"Wenn wir rausgehen, tragen wir die Nummer, drinnen die Namen", verrät ein | |
anderer Beamter. Ein Philosophiewechsel habe stattgefunden. Selbst Beamte, | |
die früher freiwillig den Namen getragen hätten, würden nun die Nummer | |
tragen. | |
Die Kennzeichnungspflicht hat noch der frühere Polizeipräsident Dieter | |
Glietsch angeordnet. Gegen den hartnäckigen Widerstand von Gewerkschaften | |
und Personalräten hat er in seiner 9-jährigen Amtszeit durchgesetzt, was | |
Bürgerrechtsgruppen über 30 Jahre gefordert haben. | |
Glietsch ist im Mai pensioniert worden. Polizeivizepräsidentin Koppers | |
verwaltet nun das Erbe. "Für mich ist die Kennzeichnung Ausdruck von | |
Bürgerfreundlichkeit und Weltoffenheit - also eine Frage von Frage von | |
Kultur", sagt sie. In London, Amsterdam, Brüssel und Helsinki seien Namen | |
an den Uniformen ganz selbstverständlich. "Die Polizisten sind dabei | |
vollkommen entspannt." Diese Gelassenheit wünsche sie sich auch in Berlin. | |
Aber davon kann noch keine Rede sein. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) | |
spricht grundsätzlich von einer "Zwangskennzeichnung". Auch der | |
Hauptpersonalrat ist keinen Millimeter von seiner ablehnenden Haltung | |
abgewichen. Vier Polizisten wollen mit gewerkschaftlicher Unterstützung | |
klagen - wenn es sein muss, bis zum Verfassungsgericht. | |
Der Widerstand treibt die merkwürdigsten Blüten. In einer Beschwerde an die | |
Vizepräsidentin haben unlängst 40 Polizisten von KZ-Methoden gesprochen: | |
Durch die Nummer werde der Polizist "einem ehemaligen KZ-Häftling | |
gleichgestellt und zu einer Nummer degradiert, unter Verlust seines | |
sozialen Wert- und Achtungsanspruchs in der Gemeinschaft", heißt es darin. | |
Der Abschnitt 34 an der Invalidenstraße gilt bei der Polizei als | |
Vorzeigeabschnitt. Die rund 150 Beamten dort sind für das Regierungsviertel | |
und die Großveranstaltungen im Tiergarten zuständig. Hier gibt es kaum | |
normale Wohnbevölkerung. | |
Jasmin Gahlich ist 28 Jahre alt, Polizeikommissarin und erst seit drei | |
Monaten bei der Polizei. Der 35-jährige Polizeioberkommissar Dirk Schipper | |
trägt seit 10 Jahren eine Uniform. Gahlich und Schipper sind von der | |
Pressestelle der Polizei ausgesucht worden, um der Journalistin Rede und | |
Antwort zu stehen. | |
Gahlich ist eine zierliche Frau mit massigem Oberkörper - weil sie unter | |
ihrem Uniformhemd eine Schutzweste trägt. Sie fährt regelmäßig Funkstreife. | |
Die Weste habe sie immer an, sagt sie, wenn sie draußen sei. Auf dem | |
Schildchen, das sie trägt, steht eine Nummer. Gahlich bittet diese nicht im | |
Artikel zu nennen, damit keine Verbindung zu ihrem Namen gezogen werden | |
könne. | |
Es sei eine Herkulesaufgabe gewesen, die Nummer so zu verschlüsseln, dass | |
keine Rückschlüsse auf den Namen gezogen werden können, sagt Beatrice | |
Schuhmann, Mitarbeiterin der Zentralen Serviceeinheit der Polizei. Eine | |
eigene Datenbank sei angelegt worden. Nur 76 der insgesamt 23.000 | |
Mitarbeiter hätten Zugriff darauf. Dazu gehörten das Lagezentrum, als erste | |
Anlaufstelle bei Beschwerden, und die Kripo-Dienststelle für | |
Beamtendelikte. "Wir gehen davon aus, dass die Datei sicher ist." | |
16.000 Namens- und 16.000 Nummernschilder sowie 28.200 Klettschilder für | |
Neonwesten seien beschafft worden, listet Schuhmann auf. Dazu kommen | |
Rücken- und Funktionszeichen für die Angehörigen der geschlossenen | |
Einheiten. Kostenpunkt: 130.000 Euro. | |
Die fünfstelligen Nummern seien nach dem Zufallsprinzip verteilt worden, so | |
Schuhmann. "Selbst die Firmen wussten nicht, welcher Name zu welcher Nummer | |
gehört." Um keine Verbindung ziehen zu können, seien Namen und Nummern in | |
gesonderten Produktionen gefertigt worden. | |
Doch GdP und Hauptpersonalrat befürchten, feindlich gesinnte Bürger könnten | |
die Beamten und deren Familien ausspionieren und drangsalieren. Auch eine | |
Nummer stelle keinen Schutz dar, weil heutzutage jede Datei geknackt werden | |
könne. | |
Jasmin Gahlich vom Abschnitt 34 hat sich für das Nummernschild entschieden, | |
um ihre Privatsphäre zu schützen. "Wenn mein Name da stehen würde, hätte | |
ich ein ungutes Gefühl." Die meisten Bürger, Gahlich nennt sie | |
"polizeiliches Gegenüber", seien ihr zwar wohlgesinnt. Aber es gebe auch | |
andere: "Bei einem Einsatz wegen Zechbetrugs hat mir eine Person angedroht, | |
mich zu töten." | |
Dennoch gibt sich die junge Polizistin diplomatisch. "Es ist gut, dass der | |
Kompromiss gefunden wurde, dass wir selbst entscheiden können." Aber wäre | |
es nicht wichtiger, die Bürgernähe am Verhalten der Beamten zu messen statt | |
an einem Namensschild?, gibt sie zu bedenken. | |
Ihr Kollege, der Polizeioberkommissar Schipper, nickt zustimmend. Er trägt | |
seinen Namen auf der Brust. "Ich habe meinen Frieden damit geschlossen", | |
sagt er. Allerdings habe er hauptsächlich mit Bundestagsabgeordneten und | |
Botschaftsangehörigen zu tun. Früher sei er auf dem Abschnitt Pankstraße im | |
Wedding tätig gewesen, erzählt Schipper. "Dort gab es viele Einsätze, wo | |
wir Angst hatten, dass die Situation kippen könnte. Im Nachhinein waren wir | |
froh, anonym da rausgegangen zu sein." Wenn er heute noch in der Pankstraße | |
wäre, so Schipper, "würde ich auch die Nummer tragen". | |
## Der Gewöhnungseffekt | |
Polizeivizepräsidentin Koppers sagt: "Mein Eindruck ist, die Ablehnung ist | |
gar nicht so breit." Viele Beamte seien wegen der Möglichkeit, auch die | |
Nummer wählen zu können, beruhigt. Sie setzt auf den Gewöhnungseffekt. "Wir | |
leben das einfach. Dann wird sich zeigen, dass viele Probleme herbeigeredet | |
wurden." Etwa, dass die GdP behauptet, gekennzeichnete Polizisten würden | |
von Bürgern verfolgt und mit Anzeigen überzogen. "Dafür gibt es überhaupt | |
keine Anhaltspunkte", sagt Koppers. | |
Der härteste Brocken sind die geschlossenen Einsatzhundertschaften. | |
Straftaten durch diese Beamten, die aufgrund ihrer einheitlichen Montur | |
kaum zu identifizieren sind, waren einstmals der Grund für | |
Bürgerrechtsgruppen, die Kennzeichnung zu fordern. Der Deutsche | |
Anwaltsverein (DAV) hatte es so formuliert: Eines der tragenden Prinzipien | |
des demokratischen Rechtsstaats sei die Kontrollierbarkeit staatlicher | |
Macht. "Eine moderne Gesellschaft muss von ihrer Polizei erwarten können, | |
dass sie offen, transparent und bürgernah auftritt." | |
Die geschlossenen Einheiten stehen unter besonderem Schutz der | |
Interessenverbände und von großen Teilen der Politik. Bundestagsabgeordnete | |
der Linken wollten im November 2010 in einer kleinen Anfrage wissen, warum | |
Angehörige der Bundespolizei nicht auch individuell beschildert würden. Die | |
Bundesregierung antwortet: Bundespolizisten versähen ihre Aufgabe "häufig | |
unter schwierigsten Bedingungen". Bei einer namentlichen Kennzeichnung | |
"bestünde die Gefahr, dass sich die Übergriffe auf Polizeibeamte häufen und | |
berechtigte Schutzinteressen der Beamten gefährdet werden könnten". | |
Die Gewerkschaft der Polizei betont: Der Staat habe eine besondere | |
Fürsorgepflicht für seine Polizisten, weil die den Staat schützen. Die | |
Zwangskennzeichnung sei ein kollektives Misstrauensvotum und ein Kniefall | |
vor denen, die Gewalt gegen den Staat und dessen Repräsentanten | |
befürworten. | |
Vom Widerstand gegen die Kennzeichnung bis hin zum Streik ist die Rede, | |
wenn man sich zurzeit bei den geschlossenen Einheiten selbst umhört. Man | |
werde nicht klein beigeben, heißt es. Wo der Unterschied zur Bundespolizei | |
sei, fragt einer. Und gibt selbst die Antwort: "Wir haben verschiedene | |
Arbeitgeber, aber das kann es doch nicht sein." Margarete Koppers aber | |
bleibt optimistisch: "Die Polizeikultur in der gesamten Bundesrepublik wird | |
sich ändern. Berlin ist Vorreiter." | |
30 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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