| # taz.de -- Favoritin wider Willen: Ein Wurf, der Erwartungen weckt | |
| > Speerwerferin Christina Obergföll gilt als Favoritin bei der | |
| > Leichtathletik WM in Daegu. Das schafft Druck: Wer einmal an der Spitze | |
| > war, muss sie ständig verteidigen. | |
| Bild: Auf ihr lasten hohe Erwartungen: Christina Obergföll. | |
| BADEN BADEN taz | Christina Obergföll wird es auch diesmal gleich gespürt | |
| haben. Schon beim Anlauf, spätestens beim Abwurf. Speerwerfen hat | |
| schließlich viel mit Gefühl zu tun, nur selten trügen dabei die Gefühle, | |
| und so dürfte der 30-Jährigen aus dem badischen Offenburg schon klar | |
| gewesen sein, dass ihr Speer an diesem noch frühen Morgen von Daegu weit | |
| fliegt, noch bevor er wieder am Boden gelandet war bei genau 68,76 Metern. | |
| 68,76 Meter ist verdammt gut, verdammt weit. Am Ende war es Obergföll sogar | |
| ein wenig zu viel, es handelte sich schließlich nur um die Qualifikation. | |
| "Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte nur 64 Meter geworfen und im Finale | |
| am Freitag einen ausgepackt", sagte sie. Bestimmt war das scherzhaft | |
| gemeint. Ein bisschen ernst indes war es schon auch. | |
| Natürlich war Christina Obergföll hochzufrieden mit ihren 68,76 Meter aus | |
| diesem Vorkampf, den sie noch am Ort des Geschehens zur "besten | |
| Qualifikation meines Lebens" erklärte. Sie weiß jetzt, dass sie alles | |
| richtig gemacht in der Vorbereitung, dass die Form auf den Punkt stimmt, | |
| dass sie verdammt weit werfen kann. Das ist ein schönes Gefühl. Es | |
| beruhigt. 68,76 Meter in der Quali wecken aber auch Begehrlichkeiten fürs | |
| Finale, auch das hat Obergföll sogleich gespürt. "Die große Weite weckt | |
| hohe Erwartungen", hat sie gesagt. "Ein zwiespältiges Gefühl" hinterlasse | |
| der weite Wurf deshalb in ihr. | |
| ## Ewige Goldkandidatin | |
| Man kann Christina Obergföll verstehen, sie hat schließlich schon am | |
| eigenen Leib erfahren müssen, wie ist es ist, wenn Erwartungen so monströs | |
| werden, dass man ihnen nur schwer noch gerecht werden kann. Im Prinzip ist | |
| es so, seit sie vor sechs Jahren bei den Weltmeisterschaften in Helsinki | |
| Silber gewann, als junges Ding und mit einem Wahnsinnswurf von 70,03 m, der | |
| damals Europarekord bedeutete. Seitdem reist die nunmehr 30-Jährige als | |
| Topfavoritin durch die Welt der Leichtathletik. Keine WM, keine EM, keine | |
| Olympischen Spiele, bei der sie nicht als Goldkandidatin gehandelt worden | |
| wäre. Auch sie selbst hat lange Zeit nichts anderes von sich erwartet als | |
| dieses verdammte Gold. | |
| Und dass sie bei der Jagd nach diesem dreimal Silber bei WM und EM sowie | |
| Bronze bei Olympia in Peking gewonnen hat, wurde ihr bisweilen fast schon | |
| als Versagen ausgelegt, so absurd kann Leistungssport sein. Wer Gold sät, | |
| muss Gold ernten. Dabei hat auch Christina Obergföll erst lernen müssen, | |
| dass man dieses Gold nicht erzwingen kann, schon gar nicht im Speerwurf, | |
| der eine sensible Angelegenheit ist. | |
| Vor allem die Heim-WM vor zwei Jahren in Berlin geriet ihr dabei zu einer | |
| schmerzhaften Erfahrung, weil sich so viel Favoritendruck aufbürdete, bis | |
| sie unter ihm zusammenbrach. 64,43 m und Platz fünf waren schließlich | |
| Resultat dessen. Für Obergföll war es ein kleines Drama. | |
| Christina Obergföll hat ihre Lehren daraus gezogen. Sie will sich nicht | |
| mehr zu sehr unter Druck setzen, schon gar nicht unter jenen, Gold gewinnen | |
| zu müssen. Jedenfalls sagt sie das so. Zur WM nach Daegu ist sie als | |
| Favoritin angereist, aber nicht als Topfavoritin. Diese Rolle hat sie | |
| geschickt der tschechischen Olympiasiegerin Barbora Spotakova, | |
| Qualifikationsvierte mit 63,40 m, sowie der Russin Maria Abakumowa (62,49 | |
| m) in die Schuhe geschoben. | |
| Bis zum Donnerstagmorgen in Daegu ist diese Taktik prima aufgegangen. Fürs | |
| Finale am Freitag (ab 12.10 Uhr) aber muss sie sich wohl eine neue | |
| zurechtlegen. Mit ihren 68,76 Metern ist die Badenerin nun doch wieder zur | |
| Goldkandidatin Nummer eins geworden, ob sie will oder nicht. "Im Finale | |
| will ich noch weiter werfen", hat Christina Obergföll nach der | |
| Qualifikation gesagt. Sie hat aber auch angefügt: "Wenn dann eine andere | |
| noch weiterkäme, wäre das nicht tragisch." Das klingt verdammt gut. Es | |
| klingt verdammt weit. | |
| 2 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Ketterer | |
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