Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wahl in Berlin: Unterwegs zum dritten Sieg
> Klaus Wowereit ist wieder oben: Er lässt Renate Künast hinter sich, führt
> die SPD zum Erfolg und empfiehlt sich als Kanzlerkandidat. Auch wenn er
> dies bestreitet.
Bild: Sehen so Sieger aus? Klaus Wowereit.
BERLIN taz | Es ist derzeit viel zu lesen von den drei mächtigen Männern in
der SPD, die angeblich unter sich den nächsten Kanzlerkandidaten ihrer
Partei ausmachen. Da wird sogar schon festgelegt, wer wann beim nächsten
Bundesparteitag reden wird.
Ein vierter, der einiges mitzureden hätte, hält sich dagegen bedeckt. Das
hat seinen Grund. Der vierte Mann heißt Klaus Wowereit und will in zwei
Wochen erneut die Landtagswahl in Berlin gewinnen. Da käme es gar nicht gut
an, wenn der Spitzenkandidat noch mehr in den Ruf geriete, nicht mehr lange
im Roten Rathaus bleiben zu wollen, dem Amtssitz des Regierenden
Bürgermeisters.
Faktisch aber kommt die SPD nicht an Wowereit vorbei, wenn der am 18.
September wieder gewinnt, so wie schon 2001 und 2006. Und dafür stehen die
Chancen gut: 8 Prozentpunkte liegt die SPD in Umfragen derzeit vor der
Konkurrenz. Wowereit wird sich voraussichtlich aussuchen können, ob er mit
Bündnis90/Grünen oder der CDU regiert. Möglicherweise könnte es auch wieder
mit der Linkspartei reichen. Verhindern könnte das alles nur ein
grün-schwarzes Bündnis. Das aber ist bei den Grünen höchst umstritten.
Dreimal in Folge Wahlsieger, davon ist die dreiköpfige SPD-interne
Kanzlerkonkurrenz weit entfernt. Peer Steinbrück war es, unter dem die
Sozis 2005 ihr Stammland Nordrhein-Westfalen verloren. Die Wahl in
Niedersachsen hat 2003 der heutige Parteichef Sigmar Gabriel vergeigt. Und
Frank Steinmeier wurde bei der Bundestagswahl 2009 von Angela Merkel
überholt.
## "… und das ist auch gut so."
Von Kanzlerambitionen mag Wowereit, der zwei Wochen nach der Wahl 58 Jahre
alt wird, offiziell nichts wissen. Zu schmerzhaft waren die Erfahrungen der
nun zu Ende gehenden Wahlperiode, als er fast seine Berliner Basis verloren
hatte. Er wolle sich bundespolitisch stärker engagieren, hatte Wowereit
nicht lange nach seiner Wiederwahl 2006 verlauten lassen.
Zielgerichtet ernannte er den Vizechef der Frankfurter Rundschau zu seinem
Regierungssprecher - einen Mann, der örtlichen Journalisten gern mal zeigt,
dass er ihr Feld für kleines Karo hält. Auch eine Autobiografie legte er
vor, betitelt mit "… und das ist auch gut so.", jenen Worten, mit denen er
sich 2001 als schwul outete.
In diesem Buch erinnert er nebenbei auch daran, dass er es 1994 fast schon
auf die Bundesebene geschafft hatte. Damals fehlte Wowereit,
Volksbildungsdezernent in einer Berliner Bezirksverwaltung, eine einzige
Stimme, um SPD-Bundestagskandidat in einem Brandenburger Wahlkreis zu
werden. Dafür kam er ein Jahr später ins Landesparlament, wurde sofort
Fraktionsvize, vier Jahre später Fraktionschef und 2001 Regierender
Bürgermeister.
## Ein Scherbenhaufen
Im Spätherbst 2009 aber stand Wowereit vor dem Scherbenhaufen seiner
bundespolitischen Ambitionen. Zwar war er inzwischen beim SPD-internen
Kehraus nach der verlorenen Bundestagswahl einer von nur noch vier
Vizeparteichefs geworden. Daheim aber lief ihm die Sache aus dem Ruder. Im
Parlament scheiterte eine wichtige Personalie, Autos brannten, die
Senatsverwaltung bekam die Schweinegrippeimpfung nicht vernünftig hin, und
die Umfragewerte waren noch tiefer im Keller als im Bundesdurchschnitt.
Dennoch dauerte es über ein halbes Jahr, bis Wowereit aufwachte und sich
daran erinnerte, dass er nicht nur, wie Ministerpräsidenten von
Flächenländern, für die große politische Linie, sondern als Berliner
Bürgermeister auch für das schlichte, alltägliche Funktionieren der Stadt
zuständig ist.
Und da funktionierte vieles nicht: Die S-Bahn fuhr wegen
Materialverschleißes immer seltener, Glatteis wurde zu einem Dauerproblem.
Die generelle Wahrnehmung in der Stadt war, dass das alles den Regierenden
nicht mehr interessierte. Das gipfelte Anfang 2010 darin, dass Wowereit
Nöte vor Ort mit dem Verweis auf ein Erdbeben in der Karibik kleinredete.
Mit dem Satz "Wir sind nicht in Haiti" lehnte er Forderungen ab, das
Technische Hilfswerk gegen das Glatteis einzusetzen. Bei
Beliebtheitsumfragen rutschte er, der lange Zeit unumstritten war, auf
Platz 3 in der Berliner Skala ab, hinter seinen eher blassen
Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei und den SPD-Innensenator
Körting.
In der SPD wurde es unruhig. Der Klaus müsse wieder raus auf die Straße,
hieß es, er müsse sich sehen lassen, das gehe so nicht weiter. Und
Wowereit, der sonst oft so Beratungsresistente, hörte auf seine Leute.
Seither ist er wiederholt durch alle zwölf Bezirke der Stadt gezogen, hat
sich bei vielen Menschen sehen lassen, grüßte und herzte schier jeden, der
nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Es gibt viele dieser Rundgänge von Politikern, jeder örtliche Abgeordnete
versucht, ins Gespräch zu kommen. Kaum einer aber bekommt sie so gut hin
wie Wowereit. Nicht dass seine Fragen besonders intelligent wären. Doch
wenn er nach dem Einkauf, dem werten Befinden oder schlicht danach fragt,
was es denn gleich zu Mittag gebe, dann nehmen ihm die Leute das weithin
als echtes Interesse ab.
## Roter Koalitionspartner ausgebremst
Das gilt für den Westen der Stadt, wo Wowereit mit seinem Freund in
Kudamm-Nähe wohnt, genau so wie für den Osten. In Lichtenberg etwa, einer
Hochburg der Linkspartei, wo die SPD vielen als die Partei gilt, die den
roten Koalitionspartner ausbremst, wird er in einem Einkaufszentrum einen
Korb roter Rosen los, ohne sich ein wirklich böses Wort anhören zu müssen.
Es kommt vor, dass örtliche SPD-Honoratioren nervös von einem Fuß auf den
andere treten, weil der Zeitplan drängt, Wowereit sich aber ungerührt
weiter unterhält. Bei seiner grünen Gegenkandidatin Renate Künast kann es
hingegen passieren, dass sie bei einem Auftritt als Erstes sagt, dass sie
pünktlich wieder wegmuss.
Vieles ist bei Wowereit kalkuliert und zielt auf schöne Fernsehbilder.
Manches aber auch nicht. Die Kameras sind weit weg, als er im Wahlkampfbus
von einer Mitarbeiterin Wasserflaschen gereicht bekommt, sich im Sitz
umdreht und eine an seinen Bodyguard weitergibt. Das ist nicht
selbstverständlich bei Spitzenpolitikern, die kaum eine Tür mehr selbst
aufmachen müssen.
Dieser Mann, der so charmant sein kann, kann aber auch anders, biestig
sein. Er kann schlecht informierte Mitarbeiter und Senatskollegen
zusammenstauchen, Journalisten vor ihren Kollegen runtermachen. Kann heftig
reagieren, wenn man seine Homosexualität mit Politik in Verbindung bringt.
Als die taz ihn 2009 vor einem Volksentscheid über verpflichtenden
Ethikunterricht fragte, ob er auch deshalb Religion als Pflichtfach
ablehne, weil die katholische Kirche Homosexualität verurteilt, stand das
Interview auf der Kippe. Wowereit fühlte sich angegriffen: Das sei aber
eine sehr primitive Sichtweise, "Sie unterstellen mir da persönliche
Motive".
Den Wahlkampf aber prägt allein der charmante Wowereit. Was vor nur
eineinhalb Jahren nicht mehr möglich zu sein schien, ist der zentrale Punkt
der SPD-Kampagne geworden: alles auf den Spitzenkandidaten zu setzen. Die
Plakate in Schwarz-Weiß zeigen, fast ohne jeden Text, einen nachdenklichen
Wowereit im Halbprofil, einen Wowereit, Hand in Hand mit einer Seniorin,
oder einen Wowereit, der sich von einer Krokodilpuppe in der Hand eines
Mädchens in die Nase beißen lässt.
Auf dieses letzte Motiv ist er stolz. "Hast du Schnappi schon gesehen?",
fragt er Parteichef Gabriel, als der ihn begleitet. Das seien die besten
Plakate, die er in fast dreißig Jahren Wahlkampf gesehen habe, ist vom
SPD-Vorsitzenden zu hören. Die Konkurrenz ist sichtlich genervt von dieser
Gefühlsoffensive und verlangt, es müsse Schluss sein mit dem
"Schnappi-Wahlkampf". Inhalte und Wowereits Bilanz müssten in den
Vordergrund.
## Wieder brennen Autos
Es ist ein vergeblicher Ruf. Ginge es allein um Inhalte, könnten die
Sozialdemokraten nicht derart die Umfragen anführen. Berlin ist offiziell
ein Land in Haushaltsnotlage, die SPD hat noch kein Mittel gegen
Mietsteigerungen und Verdrängung aus hip gewordenen Kiezen gefunden. Was
aus der maroden S-Bahn werden soll, lässt Wowereit ebenfalls offen, und
eine große Schulreform geht im Kern auf seinen Koalitionspartner zurück,
die Linkspartei. Und zu allem Überfluss wurden in den vergangenen Wochen
wieder Autos abgefackelt.
Doch in diesem Wahlkampf interessiert weniger, was man macht, sondern was
man besser nicht macht - Fehler. Das überlässt Wowereit seit Monaten seiner
Herausforderin Künast. Keine vier Wochen waren seit ihrer Nominierung
vergangen, die Grünen standen noch bei 30 Prozent - heute sind es um die 20
-, als Künast erstmals Wähler vergrätzt hatte. Missverständliche Äußerung…
legten nahe, sie wolle stadtweit Tempo 30 einführen, das Gymnasium
abschaffen und den künftigen Großflughafen zum Europaflughafen degradieren.
Künast fühlte sich falsch verstanden, widersprach. Das war Ende 2010, doch
noch jetzt wird sie darauf angesprochen.
Wowereit passt es nicht, jetzt zu hören und zu lesen, dass ihm der Wahlsieg
deswegen in den Schoß fallen werde. Er scheint fürs Protokoll festhalten zu
wollen, dass er da gerade nicht irgendwen zu besiegen scheint, sondern die
Bundestagsfraktionschefin der Grünen, die als Bundesministerin so populär
war. Das lässt sich weniger als Eitelkeit denn als Sorge um die Rendite
nach der Wahl verstehen: Je stärker der Gegner, desto wertvoller der Sieg.
Eine abgeschriebene Künast brächte da wenig.
Womit da wieder das Thema Kanzlerkandidatur wäre: Besiegt Klaus Wowereit
die zwischenzeitlich wie eine Heilsbringerin gefeierte Renate Künast,
könnte er, der derzeit vierte Mann neben der SPD-Troika, künftig der erste
sein - und er wäre immer noch in Berlin.
2 Sep 2011
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berliner Wahl: Alternative sind keine Alternative
Im Kreuzberger Mehringhof fragt sich die linke Szene, wann genau eigentlich
die Grünen unwählbar wurden.
Konmentar Die Optionen des Klaus Wowereit: Der kann sich alles erlauben
Klaus Wowereit teilt in alle Richtungen aus. Das bedeutet für die Zeit nach
der Wahl nur eins: Er könnte mit allen.
Letzte Debatte im Abgeordnetenhaus: Wowereit schießt auf die Grünen
Bei der letzten Parlamentssitzung vor der Wahl am 18. September watscht der
Regierende Bürgermeister vor allem die Grünen ab und macht klar, dass er
sich von ihnen nichts diktieren lässt.
Kommentar SPD-Kanzlerkandidaten: Nahles' Flirt mit Wowereit
Andrea Nahles will deutlich machen, dass die SPD noch mehr
Kanzlerkandidaten hat, als Peer Steinbrück. Aber Klaus Wowereit hilft sie
damit nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.